Kinder und Jugendliche sind nicht die Kirche von morgen. Sie gehören zur Kirche von heute. 2018 dreht sich die Jahresaktion der deutschen Pfadfinderinnen und Pfadfinder (DPSG) um das Thema „Spiritualität“. Katharina Metzl und Andreas Naumann-Hinz werfen einen Blick auf das kommende Jahresthema.
Die Jahresaktion 2018 der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg hat einen selbstbewussten wie herausfordernden Titel. Der Hebräerbrief inspiriert zu einer lebendigen Gemeinschaft, zu kraftvollen und kraftspendenden Aktionen und auch zu einer „scharfen Weise“, Kirche zu sein – mit Profil und Geschmack.
Schon einmal wurde der biblische Text Impulsgeber für eine Bewegung, als sich der 31. Deutsche Kirchentag 2017 das Motto gab. Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) ergänzt es durch ein viertes Wort, das darauf hinweist, worum es dem katholischen Pfadfinderverband geht: Der Blick richtet sich auf den Glauben und die Spiritualität. Beides sind unverzichtbare Bestandteile des Menschseins.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene suchen nach ihren (Glaubens-)Quellen und wollen voneinander wissen: „glaubste“?
Der Gründer der Pfadfinderbewegung Robert Badon-Powell sieht in der Religion ein notwendiges Element der Pfadfinderinnenidentität. Notwendig, weil Religion vom Egoismus zur Selbstlosigkeit führt. Es geht um eine Lebenshaltung, die in vielen christlichen Theologien, z.B. der Theologie der Befreiung Compassion oder Proexistenz genannt wird. (vgl. Brief Robert Badon-Powell. “Religion in the boy scout and girl guide movements. An address by the Chief Scout to the Joint Conference of Commissioners of both Movement at High Leigh” 2. Juli 1926)
In früheren Jahresaktionen der DPSG ging der Blick nach außen und zu Themenfeldern, die sich aus den Idealen der Pfadfinderbewegung ergeben. Das soziale und ökologische Engagement sowie der Einsatz für Gerechtigkeit und Teilhabe ist für Pfadfinderinnen und Pfadfinder selbstverständliche Haltung. Im Themenjahr 2018 geht es nach „innen“. Die Verbandsmitglieder beschäftigen sich mit sich. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene suchen nach ihren (Glaubens-)Quellen und wollen voneinander wissen: „glaubste“– also: „glaubst du“? Pfadfinderinnen und Pfadfinder leben ihren Glauben immer in der Tat. Deshalb geht es um drei Schwerpunkte:
Lebendig – Kraftvoll – Schärfer
Lebendig ist der Glaube da, wo er zur praktischen Erfahrung wird. „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele“ (Ignatius von Loyola), sondern Gott erleben und Geschmack an ihm und den Dingen des Lebens bekommen. Die Katechese steht nicht Vordergrund. Sie ist wichtig, aber innerhalb des Verbandslebens nicht vorrangig. Dass die jungen Menschen heutzutage ja nicht mehr wüssten, was Pfingsten sei und da gefeiert würde, ist ein häufig gehörtes Lamento.
Mit den Pfingstlagern geht es den Georgspfadfindern beispielsweise um die Erfahrung von Gemeinschaft, Begeisterung und Inspiration. Und es geht in einem weiteren Schritt um gedeutete Erfahrung – dies auch (!) mit der Perspektive des Glaubens und auf Spiritualität hin. Ganz wesentlich geht es um Lebensgestaltung und Lebensbezug. Baden-Powell spricht 1926 im oben erwähnten Brief von der Sonntagsschule des victorianischen Englands, die den jungen Menschen viel beigebracht habe, aber keine Hilfe für deren Leben geboten hätte. Um letztes, um eine Botschaft und Hoffnung, aus der man leben kann, geht es den Verantwortlichen für die Jahresaktion.
Kraftvoll möchten die Georgspfadfinder sein, wenn es um die Auseinandersetzung mit den Lebensthemen und Krisen geht. Ganz praktisch wollen sie in ihrer typischen Weise aktiv sein. Angehen wollen sie die Feier des Georgstages (ihrem Namenstage), einen spirituellen Hike (die typische Wanderung in Gemeinschaft), internationale Begegnungen in Taizé sowie das kirchenpolitisch heiße Eisen „Firmung im Jugendverband“. Die Vorbereitungsgruppe hat Hilfen für die konkrete Auseinandersetzung mit Krisensituationen in der Gruppe vorbereitet. Sie können besonders dann wichtig werden, wenn es um zentrale Lebensthemen geht, wie Tod und Trauer.
Schärfer wollen sie sein, wenn es darum geht, was junge Menschen in der Kirche und in der Glaubensgemeinschaft wollen und brauchen.
Schärfer meint in diesem Zusammenhang, dass Pfadfinderinnen und Pfadfinder genauer hinschauen, konkreter sprechen und deutlicher werden können. Sie wollen mehr vom Glauben verstehen, wissen und ausdrücken. Spiritualität braucht auch Sprache. In Jahresaktion soll es auch darum gehen, sprach- und auskunftsfähig „über die Hoffnung, die erfüllt“ (vgl. 1 Petr 3,15) zu werden. Schärfer wollen die Pfadfinderinnen und Pfadfinder daher auch sein, wenn es darum geht, was junge Menschen in der Kirche und in der Glaubensgemeinschaft wollen und brauchen, wie sie die Botschaft vom Reich Gottes verstehen und leben.
Nehmen sich die Pfadfinderinnen und Pfadfinder da nicht ein bisschen viel vor? Es handelt sich bei ihnen doch nicht um Profis in Sachen „Spiritualität“. Sie zeichnen sich doch nicht gerade durch übermäßige Frömmigkeit und Mitfeier von Gottesdiensten in den Kirchengemeinden aus? Kann sein.
Die Georgspfadfinder sind Teil der kirchlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit – auch mit ihren religiösen Veränderungsprozessen. Nähe und Distanz der Stämme und Gruppen zu Kirchengemeinden und zum Gottesdienst sind ganz unterschiedlich. Für viele Mitglieder ist das Leben im Verband jedoch die einzige Form ihren Glauben in Gemeinschaft zu leben und oft auch der ausschließliche Berührungspunkt mit religiösen Menschen. Das unterscheidet sie, ehrlich gesprochen, nicht unbedingt von kirchlichen Schützenbruderschaften oder manchem Kirchenchor, die sich ebenfalls nicht durch ausgesprochene Kirchlichkeit oder Frömmigkeit hervortuen müssen.
Ziel der Jahresaktion: Bewusstsein, dass Spiritualität und Glauben integrale Bestandteile des Lebens sind.
Das Ziel der Jahresaktion ist wesentlich und ganz basal: ein Bewusstsein, dass Spiritualität und Glaube keine separaten und ausschließlich privaten Teile des Lebens sind. Vielmehr sind sie integrale Bestandteile, die auf Gemeinschaft ausgerichtet sind und sich von der Gemeinschaft herausfordern, inspirieren und korrigieren lassen. Die DPSG soll ein Ort sein, an dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene selbstverständlich und angstfrei über ihren Glauben, ihre Freude und Hoffnung, aber auch Trauer und Angst sprechen können (vgl. Gaudium et spes 1).
Müsste bei einer Jahresaktion Spiritualität nicht mehr gemacht werden? Vielleicht.
Perspektiven und Ausdrucksformen von Pfadfinderinnen und Pfadfindern bereichern die Kirche.
Jugendbewegungen und christliche Verbände haben ihr je eigenes Charisma, eine Gabe und Sendung, die mit Gott und seiner Sache zu tun haben. Die Ordensgeschichte zeigt, dass wir in der Geschichte und Gegenwart sehr unterschiedliche Bewegungen entdecken können: Von kontemplativ, monastisch, caritativ tätig bis hin zu Säkularinstituten.
Kinder und Jugendliche sind nicht die Kirche von morgen. Sie gehören zur Kirche von heute.
Auch bei Jugendverbänden und kirchlichen Gruppen und Bewegungen können wir Unterschiedliches finden. Von diakonischem Handeln, schulischer Bildung und Freizeitgestaltung bis hin zu Anbetung und starker Betonung einer Gottesbeziehung aufgrund von persönlicher Entschiedenheit. Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder bringen sich mit ihrer Perspektive in das christliche Leben ein und setzen ihren Akzent auf einen Glauben in der Tat. Ihre Perspektiven und Ausdrucksformen, die nicht exklusiv, sondern ergänzend miteinander und aufeinander bezogen sind, bereichern die Kirche.
Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg ist ein katholischer Jugendverband und das ist gut so! Im kommenden Jahr soll der Mehrwert des Glaubens herausgestellt und deutlich werden. Kinder und Jugendliche sind nicht die Kirche von morgen. Sie gehören zur Kirche von heute. Jugendverbände sind vollgültig Kirche und dabei lebendig, kraftvoll und scharf! „So wie die Pfadfinder und Leiter vor uns – wenn wir es recht verstehen – haben wir die eine großartige Chance der Kirche hilfreich zu sein, indem wir mit jungen Menschen üben und leben. Wir können einen direkten Beitrag zum Kommen des Friedensreiches Gottes und des guten Willens auf der Erde leisten.“ (Robert Badon-Powell)
___
Katharina Metzl ist Religionspädagogin und Diözesankuratin in Passau.
Andreas Naumann-Hinz ist Pastoralreferent und Diözesankurat in Münster.
Bild: Cover der Jahresaktionsbroschüre. Illustration: Kea von Garnier
Lesetipp zum Thema: