Nach der Veröffentlichung ihres Debütromans „Blauer Hibiskus“ im Jahr 2003, mussten die Feuilletons der Welt sich an ihren Namen gewöhnen: Chimamanda Ngozi Adichie. Der Schriftstellerin und Feministin aus Nigeria geht Sonja Karl nach.
Im stillen Kämmerchen Bücher schreiben, internationale Literaturpreise abräumen und dann wieder in der Versenkung verschwinden, das ist nicht ihr Ding. Die heute 45-jährige Chimamanda Ngozi Adichie ist der Star unter den Schriftsteller:innen Nigerias und mit einer Mission unterwegs. Sie ist zur Ikone einer polyglotten, ethnisch gemischten Generation von jungen Frauen geworden, die sich mit ein paar Swipes mühelos zwischen den Kulturen hin und her bewegen. Weltweit engagieren sie sich für Frauenrechte sowie mehr soziale Gerechtigkeit. Jeglicher Form von Sexismus und Rassismus treten sie entschieden entgegen. Adichie ist ein echtes Vorbild und hat dank Social Media eine enorme Reichweite. So fand z. B. ihr TED-Talk „We should all be feminists“ bis heute 7,5 Mio. Zuschauer:innen. Wer die charismatische Chimamanda Ngozi Adichie auf You Tube oder live auf dem Podium sprechen hört, versteht sofort, weshalb sie so viele Fans hat.
Begnadete Schriftstellerin und Aktivistin:
Ihr Verstand ist messerscharf – und ihre Sprache auch.
Pointiert haut sie ihrem Publikum ohne Vorwarnung mit sanftmütiger Stimme die Wahrheit um die Ohren. Schonungslos entlarvt sie tiefsitzende Vorurteile oder die unreflektierte Art über „Afrikaner“ und „Schwarze“ zu sprechen. Zugleich lädt sie aber auch ein, genau hinzusehen, einzutauchen in ihre Sicht der Dinge und schlicht mehr zu erfahren.
Die Perspektive wechseln
und sich dabei selbst erkennen.
Immer wieder ermöglicht Adichie einen Perspektivenwechsel: Es ist der Blick durchs Schlüsselloch in eine unbekannte, vielschichtige Gesellschaft mit ungeschriebenen Regeln und Gesetzen. Sie nimmt ihre Leser:innen mit in die Welt des alltäglichen Rassismus und Sexismus, vollkommen mühelos, geradezu beiläufig.
Ganz besonders wirkungsvoll gelingt ihr dies in ihrem letzten Roman „Americanah“, der 2014 im S. Fischer Verlag erschienen ist.
Der Roman ist auf den ersten Blick eine Liebesgeschichte mit autobiografischen Zügen, die in Nigeria, den USA und England spielt. Es entspinnt sich ein Universum an Personen rund um die beiden Hauptfiguren, die Studentin Ifemelu und ihr Jugendfreund Obinze. Die junge Frau verlässt ihre Heimat Nigeria, um in den USA zu studieren. Ihre Familie hat es zu etwas gebracht und zudem hat sie ein Stipendium für Princeton in der Tasche. Sie hat nicht den geringsten Grund, sich minderwertig zu fühlen. Schon gar nicht wegen ihrer Hautfarbe. Doch schon bei der Einreise in die Vereinigten Staaten wird ihr klar, dass dies plötzlich nicht mehr der Fall ist. Für weiße Amerikaner:innen ist sie schlicht nur eine „Schwarze“. Und für alle People of Color ist sie eine verwöhnte, eingebildete Afrikanerin. Dritter Schauplatz ist London. Hier wird sie als minderwertige Migrantin aus den Ex-Kolonien angesehen und ihr gesellschaftlicher Status schlägt erneut eine Volte. In der nigerianischen Diaspora geht es aber auch untereinander nicht gerade zimperlich zu. Herkunft, Bildung und vor allem der Stammes-Dünkel der Black Community machen die einen gleicher als die anderen. Zurück in Nigeria ist sie auch nicht mehr dieselbe. Sie ist die ‚Americanah‘, die für den Geschmack der zuhause Gebliebenen ein bisschen zu lange in den USA gelebt hat und somit auch dort nicht mehr richtig ins Bild passen will.
Vielleicht ist es gerade diese sozio-politische Dimension, die das Buch zur spannenden und lohnenden Lektüre macht. Zugleich ist „Americanah“ ein beindruckender Entwicklungsroman, der von einer tief empfundenen Liebe zweier junger Menschen zueinander erzählt. Es ist eine Liebe, die im Strudel der verpassten Chancen und tragischen Ereignisse nach und nach in eine Spirale des Schweigens und Vergessens gerät. Und die dennoch überdauert und ganz im Innersten das Hohelied der Liebe singt.
Adichie ist Feministin im besten Wortsinn.
Ihr Credo: Feministisch ist eine Person, die an die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichheit der Menschen glaubt. Und solange dies nicht der Fall ist, brauchen wir uns auch nicht auf dem scheinbar schon Erreichten auszuruhen. Männer UND Frauen sollten feministisch werden. Nur dann könne etwas daraus werden.
Von Nigeria aus die Welt verändern.
Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Enugu, Nigeria, geboren. Sie wuchs in einem durch und durch akademischen Milieu auf. Ihr Vater lehrte als Professor für Statistik an der Universität von Nigeria, Nsukka, ihre Mutter war die erste Frau, die Kanzlerin der Universität wurde. Im Alter von 19 Jahren ging sie in die USA an die Eastern Connecticut State University, wo sie ihr Studium in Kommunikation und Politikwissenschaften mit summa cum laude abschloss. Dem folgten ein Master in kreativem Schreiben an der Johns Hopkins University und ein Master of Arts in afrikanischer Geschichte an der Yale University.
Übrigens: Von dem Begriff „afrikanische Literatur“ hält Chimamanda Ngozi Adichie wenig. Was sollte das auch sein? Sie sieht sich als Schriftstellerin, die aus Nigeria kommt und selbstverständlich ihre kulturellen Wurzeln dort hat. Dazu zählt auch die Kenntnis großer Autor:innen wie u. a. Chinua Achebe, Wole Soyinka oder auch Ola Rotimi, um nur einige zu nennen. Aber all diese Größen haben keine „afrikanische Literatur“ geschrieben, sondern sind Afrikaner:innen, die großartige Schriftsteller:innen sind und herausragende Werke geschaffen haben. Alles eine Frage der Perspektive.
___
Autorin: Sonja Karl ist Freelance Texterin und Inhaberin von africamodern.org aus Frankfurt am Main
Buch: „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie, Roman, 2014, S. Fischer Verlag, 15,00 €.
Bild 1: Autor:in Chimamanda Ngozi Adichie; Foto: (C) Manny Jefferson
Bild 2: Cover Verlag