Sie möchten einen positiven Zugang zu Sexualität schaffen und beschränken ihre Liebe dabei nicht auf die Menschen. Ökoerotik als Performance und politischer Aktivismus – Julia Enxing lässt sich von dem Projekt „Sexecology“ herausfordern.
Es klingt verrückt und möchte es auch sein: Zwei Künsterlerinnen, Elizabeth Stephens („Beth“) und Annie Sprinkle, die die Erde lieben, sich in Erde suhlen, die Erde heiraten. „Die Erde zu lieben“, ist an sich nichts besonders Aufregendes, in theologischen Kontexten werden einige dabei womöglich direkt an Papst Franziskus Worte in seiner Enzyklika „Laudato si‘“ erinnert oder an Franz von Assisis Zwiegespräche mit Vögeln. In anderen Bereichen würden Menschen vielleicht eher an Peter Wohllebens Wald-Expeditionen denken; bei wieder anderen würden Assoziationen an Naturforschende oder Naturromantiker:innen geweckt. Das Projekt „Sexecology“ („Sexökologie“) von „Beth und Annie“ ist nur bedingt romantisch. In erster Linie ist es radikal. Vor fast zwei Jahrzehnten haben die beiden Künstlerinnen und Aktivistinnen das „ecosex movement“ gestartet, womit sie ökoaktivistisches Engagement unter anderem aus seiner verstaubten Ecke herausholen wollen. Jutebeutel und Strickhosen waren gestern, Nacktsein ist heute – Naturnähe wird bei Sexecology wörtlich genommen.
Mit ihren ökosexuellen Performances, Ausstellungen, Vorträgen, Filmen, Workshops und Führungen haben es die beiden Künstlerinnen zu internationalem Renommee gebracht. 2014 war ihr Projekt „Water Makes us Wet“ Teil der documenta. Theoretisch sehen sie sich posthumanen Ansätzen wie denen von Donna Haraway nahe, künstlerisch jenen von Joseph Beuys. Ziel der beiden ist es stets, Theorie, Praxis und Aktivismus miteinander zu verknüpfen – „Botschaft“, „Vergnügen“ und „Bildungsauftrag“ sollen in ihren Projekten Hand in Hand gehen. Vielfach kollaborieren die beiden promovierten Künstlerinnen mit Universitäten und Kunsthochschulen, Beth Stephens ist selbst Professor of Arts an der University of California, Santa Cruz, Annie Sprinkles nimmt ebenfalls zahlreiche Lehraufträge an Universitäten wahr. Beide verfolgen zudem Solo-Projekte.
Sex mit dem Erdigen. Dirty Sex.
Sexecology oder auch „Ecosexuals“, also „Ökosexuelle“, wie sie sich selbst nennen, begreifen die Erde (unseren Planeten, aber durchaus auch die Erde i. S. v. „Humus“) nicht als Gegenüber zum Menschen, sondern als geliebte Materie. Der Vorstellung einer harten und definierten Grenze zwischen „Mensch“ und „Nicht-Mensch“ wollen sie eine andere Wahrnehmung entgegensetzen, ebenso wie der Vorstellung vom Menschen als einem Ausnahmezustand des Seins. Für sie sind die materiellen Grenzen fließend, fluide – auch die Grenze zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem. Ökosexuelle lieben die Erde in all den Facetten, die ein solcher Liebesbegriff mit sich bringt: genau, auch im erotischen Sinne. Dirty Sex, eben. Ihre Liebe zur Erde ist eine erotische; sie beschreiben sie als „wahnsinnig“, „leidenschaftlich“, „heftig“, als „zärtlich“, „respektvoll“ und „gütig“. Stephens und Sprinkle sind sich der Radikalität und des Verstörungspotenzials ihrer Kunst- und Lifestyle-Performances bewusst: Sex mit der Erde zu haben, ist für viele absurd. Neben ihrem „Ecosex Manifesto“, finden sich auf ihrer Website zahlreiche Vorschläge und Anschauungsmaterial zum Thema. Die Idee, unter einem Wasserfall zu masturbieren, erscheint angesichts des sonst Gebotenen fast schon konventionell.
Finden Sie Ihren individuellen E-Punkt.
Annie und Beth kann man buchen. Als Privatperson, Uni-Gruppe, Museum, Theater – sie bieten diverse Workshops und Performances an. Während gerade die sexuelle Konnotation als der „fun-fact“ ihrer Kunst erscheint, würde eine Reduktion hierauf dem Œuvre der Künstlerinnen keineswegs gerecht. Es stimmt, ein Teil ihrer Arbeit lässt sich als „E-Porn“ (Eco-Porn, in etwa: „Öko-Pornografie“) bezeichnen. So bieten die beiden Workshops an, in denen die Teilnehmenden – übrigens: Vorerfahrungen nicht nötig! – „eco-sexercises” anbieten. Ganz nach dem Motto „find your own E-spot”. Schnell wird klar: „Hug a tree“ und „waldbaden“ sind hier nur das Vorspiel.
Earth as Mother? No.
Earth as Lover!
In Abgrenzung zu ökofeministischen Theorien und Strömungen, die Gefahr laufen, eine besondere Nähe zwischen „der Frau“ oder „dem Weiblichen“ und „der Natur“ zu suggerieren, möchten Annie und Beth mit ihrem öko-erotischen und öko-sexuellen Ansatz einen queeren Akzent setzen. Als Menschen sind wir materiell, spirituell und sinnlich mit der Erde verbunden. Indem Erde für sie ein „Lover“ – ein Geliebtes, ein Geliebter, ein Liebhaber, eine Liebhaberin – und nicht Mutter Erde ist, wird „weibliches“ nicht als natürlicher oder naturnäher als „nicht-weibliches“ begriffen. Die Künstlerinnen setzen in ihren Workshops und Performances nicht nur deutliche Zeichen der Verbundenheit zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Materie, für sie hat diese Verbundenheit eine spirituelle Dimension und eine politische Botschaft: Seine:n Geliebte:n beutet man nicht aus! Geliebte hält man am Leben! Um das Wohlergehen von Geliebten sorgt man sich!
I promise to love, honor and cherish you Earth, until death brings us closer together forever.
2014 haben Annie und Beth auf dem Donau Art Festival im österreichischen Krems die Erde (i. S. v. „Dirt“, nicht unseren Planeten Erde) geheiratet. Die Hochzeitszeremonie ist Teil einer ganzen Reihe von „Ecosex Weddings“ – polygame Akte der Liebe als künstlerischer Aktivismus, sozusagen. Bislang gaben die beiden Künstlerinnen in acht weitere Hochzeitszeremonien dem Nicht-Menschlichen das Ja-Wort. Ihr Versprechen: „I promise to love, honor and cherish you Earth, until death brings us closer together forever” (aus: Ecosex Manifesto).
So heirateten sie bisher den Kallavesi-See in der finnischen Region Savo, die Kohle (um ihre Liebe zu den für das Leben so elementaren Mineralien auszudrücken), die Steine (das war in Barcelona, Spanien). Es schloss sich die Hochzeit mit dem Schnee an, in Ottawa, Kanada; im kalifornischen Altadena heirateten sie den Mond – mit anschließendem Honeymoon Ecosex-Symposium. Sie heirateten die Appalachen in den USA, den Planeten Erde und das Meer.
Das Irritationspotenzial irritiert mich.
Über die Strahlkraft und das Veränderungspotenzial von Kunst lässt sich bekanntlich streiten, ebenso wie über die Aufgabe von Kunst. Hat sie eine? Sollte sie überhaupt eine haben? Politische Kunst wie die Sexecology von Elizabeth Stephens und Annie Sprinkle gibt sich selbst eine Aufgabe: Sie möchte irritieren – teils verstören – und „Spaß“ bringen. Zumindest der Aspekt des Irritierens gelingt den Künstler:innen zweifellos. Ihre Kunst macht mich nachdenklich. Dass sie es schafft, derart radikal zu wirken, sagt mehr über unser Verhältnis zum Nicht-Menschlichen aus als über die Kunst selbst. Denn: Wüssten wir bereits um unsere Verbundenheit mit dem Nicht-Menschlichen, wäre eine Verbundenheit mit allem Kreatürlichen uns längst „in Fleisch und Blut“ übergegangen, wären wir uns unserer Abhängigkeiten und Verstrickungen und unserer Verantwortlichkeiten für das planetarische Miteinander vollends bewusst, würde uns höchstens noch der Sex-Aspekt verstören. Wenn überhaupt.
Julia Enxing ist Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Sie ist Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Beitragsbilder: Elizabeth Stephens und Annie Sprinkle
https://sprinklestephens.ucsc.edu/about-us/press/
sowie: https://loveartlab.ucsc.edu/2016/07/06/press-photos/
Hier geht es zum Trailer des Films Water Makes Us Wet—An Ecosexual Adventure
Und hier zum Trailer des Films Goodbye Gauley Mountain—An Ecosexual Love Story
In Kürze scheint ihr Buch Assuming the Exosexual Position.
Von der Autorin zudem auf feinschwarz.net erschienen:
Unterwegs zu einer postklerikalen Kirche? Drei Jahre Feinschwarz
Macht Religion den Unterschied? Wie wir über die Kölner Silvesternacht reden sollten