Das „Haus der Religionen – Dialog der Kulturen“ in Bern ist keine Multi-Kulti-Utopie. Martina Bär berichtet von Konzeption und Alltag eines wegweisenden Begegnungsortes.
«Viele Menschen sagen, wenn sie das erste Mal das Haus der Religionen betreten, dass sie sich hier zuhause fühlen.» Das erzählte mir die vormalige Präsidentin des Hauses Gerda Hauck vor rund einem Jahr, als ich dort meine erste Vorstandssitzung besuchte. In der Tat: auch ich war tief beeindruckt von der Atmosphäre des Hauses, als ich es zum ersten Mal betrat. Ich bin für einen kurzen Augenblick innerlich überwältigt gewesen, als ich bei der Vorstandssitzung mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Religionen und unterschiedlicher kultureller Herkunft an einem Tisch sass, jede*r ihre bzw. seine Meinung zu einem Traktandum äusserte und dabei von allen ernst genommen wurde.
Wirklichkeit einer Utopie
Auch ich hatte wie die vielen Menschen, die hierherkommen und sich zuhause fühlen, eine Heimat für mein Idealbild von friedlichem Zusammenleben gefunden. Denn ein als blosse Utopie geglaubtes gesellschaftliches Idealbild von einem friedvollen, respektvollen, gleichberechtigten Zusammenleben von unterschiedlichen Menschen scheint an diesem Ort ein Stück Realität geworden zu sein. Wie konnte es dazu kommen und vor allem wie ist es gelungen, dass im Haus der Religionen religiöse und kulturelle Minderheiten derart respektvoll behandelt werden?
Einzigartig weil…
Das Haus der Religionen gründet auf der Initiative des runden Tisches der Religionen in Bern, der sich in den 1990er Jahren formierte, um den interreligiösen Dialog zu fördern. Im Dezember 2014 wurde das Haus der Religionen am Europaplatz in Bern eröffnet und stellt in seiner Art ein bislang europaweit einzigartiges Projekt dar. Einzigartig deswegen, weil das Haus nicht nur ein Begegnungs- und Dialogort zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen ist, sondern weil es dort auch sakrale Räume verschiedener Religionen gibt, in denen die Religion auch tatsächlich praktiziert wird.
Ganz explizit ist im Konzept des Hauses der Religionen verankert, dass religiöse Minderheiten der Stadt Bern einen Sakralraum haben, in dem sie auf würdige Art und Weise ihren religiösen Alltag leben können. Ferner ist das Haus der Religionen durch seinen Leistungsvertrag mit der Stadt Bern dazu verpflichtet, einen Beitrag in den Bereichen Bildung, Kultur und Integration zu leisten.
Das Quartier aufwerten
Dass das Haus überhaupt gegründet wurde, geht auf die provokante These der Imagestudie zum Stadtteil Bern-Bümpliz des Berner Stadtplaners Christian Jaquet von der Berner Fachhochschule für Gestaltung, Kunst und Konservierung zurück, die lautet: «Ohne Grund geht niemand nach Bethlehem-Bümpliz» – das ist der Stadtteil Berns, in dem die Stadtbewohner*innen mit Migrationshintergrund leben. Um dieses Quartier aufzuwerten schlug Christian Jaquet vor, ein «Haus der Religionen» zu gründen.
Diese Idee veranlasste die beteiligte Herrnhuter Sozietät, eine verhältnismässig kleine Kirche protestantischer Prägung, einen Verein zu gründen, der das von Jaquet vorgeschlagene «Haus der Religionen» realisieren würde. Denn ein solches Haus fördert nicht nur die Integration und das Zusammenleben der Berner Stadtbevölkerung, sondern es gibt auch den religiösen Gemeinschaften des Stadtviertels, die eine gesellschaftliche Minderheit darstellen, einen angemessenen Kultusraum. Die Hindus oder Muslime waren bis dahin in Fabrikhallen oder Tiefgaragen untergebracht. Im Juni 2012 konnte der erste Spatenstich stattfinden und die konkrete Gestaltung des Hauses weitere Gestalt annehmen.
Muslime, Hindus, Buddhisten, Christen und Aleviten
Im Haus der Religionen haben die Muslime, Hindus, Buddhisten, Christen und Aleviten einen sakralen Raum. Neben diesen Religionen sind ohne eigenen Sakralraum die Jüdische Gemeinde Berns, die Sikh-Gemeinde und die Bahai’s am Haus mitbeteiligt. Im räumlichen Zentrum befindet sich der sogenannte Dialogbereich, der – wie der Name sagt – Raum für den Dialog zwischen den Menschen mit ihren unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen bietet.
Das geschieht im alltäglichen Zusammenleben, bei Anlässen und Veranstaltungen des gemeinsam erstellten Kulturprogramms, das jedes Halbjahr ein neues Thema hat, wie z.B. Musik und Religion, oder im Rahmen der Bildungsarbeit bei Workshops und Führungen zwischen Gästen und Mitarbeitenden. Dialogmöglichkeiten entstehen aber auch im hauseigenen ayurvedischen Restaurant Vanakam oder in einem grossen Raum für Kinderbetreuung. Das Haus der Religionen in Bern hat im Laufe seiner bisher kurzen Geschichte schon erstaunlich viele Preise erhalten oder hohen Besuch gehabt, wie beispielsweise den Dalai Lama.
Hoher Besuch vom Dalai Lama
Das Besondere am Haus der Religionen liegt vielleicht auch darin, dass es in einer Zeit entstanden ist, in der sich die religiöse Landschaft in der Schweiz, aber auch in ganz Westeuropa strukturell stark verändert. Verändert nicht nur deswegen, weil in den letzten Jahren ein anderes Bewusstsein für die gesellschaftliche Relevanz des interreligiösen Dialogs zur Sicherung eines friedlichen Zusammenlebens entstanden ist, sondern auch deshalb, weil die Grosskirchen durch die Säkularisierungsprozesse an Bedeutung verlieren und ihre vormalige gesellschaftliche Stellung einbüssen. Letzteres hat ein religiöses Vakuum entstehen lassen, in dem ein gemeinsames Haus der Religionen, das Minderheitsreligionen einen würdigen Platz geben kann, möglich werden konnte.
Hybride Religiosität mit hohem Toleranzspielraum
Eine religiöse Heimat finden im Haus der Religionen also nicht nur religiöse Minderheiten oder Menschen mit Idealbildern eines neuen gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern auch diejenigen aus der Mehrheitsgesellschaft, die heute auf Sinn- und Identitätssuche sind und nicht unbedingt im Schoss der christlichen Kirchen fündig werden. Sie zeichnen sich durch eine hybride Religiosität aus, die wiederum mit einem hohen Toleranzspielraum gegenüber den Weltreligionen einhergeht. Auch für sie ist das Haus der Religionen ein idealer Ort, um ihrer religiösen Sinnfindung nachzugehen. Die Grosskirchen, die im ökumenisch getragenen Kirchenraum aktiv sind, haben hier ganz neue Möglichkeiten das christliche Sinnpotential für Kirchendistanzierte ins Spiel zu bringen.
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Martina Bär ist seit 1. April Gastdozentin für Systematische Theologie am Seminar für Katholische Theologie an der FU Berlin und war zuletzt als Fachperson für Interreligiösen Dialog bei der Katholischen Kirche der Region Bern tätig (und in dieser Funktion im Haus der Religionen aktiv). Habilitiation zum Thema „Urbane Logik und Theo-Logik. Gottesrede in (post-)modernen Stadtgesellschaften».
Bild: Haus der Religionen