Mit einer gehörigen Portion Selbstironie, tatkräftigem Ideenreichtum und dem nötigen Biss, setzen sich die „Sozialhelden“ durch digitale Kampagnen für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe vor allem für Menschen mit Behinderungen ein. Eine Erkundung von Simon Schwamborn.
Ist jemand, der sich mit dem notorisch streitlustigen und reißerischen Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner anlegt, ein Held? Darüber lässt sich bestimmt diskutieren. Mutig und notwendig ist eine kritische Medienbeobachtung aber in jedem Fall! Die „Sozialhelden“ widersprechen durch ihr Projekt Leidmedien.de journalistischen Stigmatisierungen und haben auch keine Angst, prominenten Publizist*innen einen kritischen Spiegel vorzuhalten. Als Helden verstehen sie sich aber nach dem Motto „So sollen Helden aussehen???“ nur mit einem selbstironischen Augenzwinkern.
Wie sehen Held*innen aus?
Das Mediengesicht der „Sozialhelden“ ist ihr Gründer, der an den Rollstuhl gefesselte Raul Krauthausen. Arrgh, STOP! Da ist sie, die klassische Stigmatisierungsfalle. Denn so der humorige Rollstuhlfahrer: „Sollten sie tatsächlich jemanden treffen, der an den Rollstuhl gebunden ist, binden Sie ihn los“. Nicht nur Bild-Kolumnist*innen sondern auch der Autor dieses Artikels tappt allzu oft gedankenlos in das Meer aus Klischees hinein. Statt die Löschtaste zu nutzen, stehe ich heute zu meinem Fehler. Denn aus ihnen lässt sich ja bekanntlich am besten lernen. Dabei unterstützt Leidmedien.de durch Formulierungshilfen, Workshops und Beratung.
Sehen lernen – Bildauswahl ist politisch.
Doch nicht nur Formulierungen können danebengehen, auch die Bildauswahl ist verflixt kompliziert. Aber auch da bin ich nicht länger allein! Das Partnerprojekt von Leidmedien.de heißt Gesellschaftsbilder.de und bietet mit seiner Fotodatenbank kostenlose (möglichst) klischeefreie Bilder. Menschen mit Behinderungen nicht auf ihre Defizite beschränken, so lautet das Ziel. Einen überdimensionierten Rollstuhl braucht keiner, der Mensch zählt.
Medien-Monitoring ist aber nur eine von vielen Aufgaben, denen sich der Verein „Sozialhelden“ verschrieben hat, um soziales Handeln attraktiv und transparent zu machen. Er versteht sich als Dachverein, unter dem sich unterschiedliche, immer neue Initiativen bilden können.
Eine Plattform mit barrierefreien Cafés.
So hat das Team von Menschen mit und ohne Behinderung die sehr erfolgreiche und vor allem lebenspraktische Internet-Plattform Wheelmap.org gegründet, eine Datenbank mit rollstuhlgerechten Orten von Behörden über öffentliche Toiletten bis hin zu touristischen Attraktionen. Die Nutzer*innen entdecken Tag für Tag neue Orte, teilen ihre Erfahrungen und können auch mal ihren Frust über unzugängliche Orte mit ihren Stufen und Treppen loswerden. Kircheneinträge gibt es laut meiner kurzen Recherche nicht. Wieso eigentlich nicht?
Der Aktionsradius von „Sozialhelden“ bewegt sich vor allem in den digitalen Medien. Gefragt nach dem Grund ihres Erfolges antworten die Macher*innnen, mit wohl bekannten Medienstrategien: Die Angebote dialogisch konzipieren um die User*innen partizipieren zu lassen, dabei vor allem der eigenen Persönlichkeit treu zu bleiben und das Beste, eine Lust am Geschichtenerzählen zu versprühen. Das höre ich alles nicht zum ersten Mal!
Hier ist die soziale Seite der Social Media zu sehen.
Und da ist sie wieder, ganz unvermittelt, die Frage aus der Mottenkiste, die mich als katholischer Theologe immer wieder einholt: Warum ist eigentlich die katholische Medienpräsenz im world wide web nicht erfolgreicher? Aber diese mitschwingende Frage aus meinen Hinterkopf muss da jetzt einmal bleiben, denn das ist ein ganz eigenes (fast tragisches) Thema. Das Engagement der „Sozialhelden“ zeigt, und das ist mir gerade viel wichtiger, die soziale Seite der sozialen Medien jenseits aller Fake-News Debatten. Wie human Medien sind, hängt immer von ihren Macherinnen und Nutzern ab. Da gibt es Vorbilder und Schurken und eben auch: Sozialhelden.
PS: Eine Frage bleibt dann doch nun zum Schluss: Gibt es keine Sozialheldinnen?
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Autor: Simon Schwamborn (Theologe, Priester der Erzdiözese Paderborn, Absolvent des Studienprogramms Medien und öffentliche Kommunikation an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt)
Foto: Andi Weiland / Gesellschaftsbilder.de