Dass die Klimakrise mit ihren massiven Auswirkungen auch in Liturgie und Spiritualität angemessene Formen findet, fordert Georg Sauerwein. Er ist Mitherausgeber eines gerade erschienenen Buchs mit Entwürfen für Klimaandachten und -gottesdienste.
Die Klimakrise ist die größte Bedrohung unserer Zeit und sie durchdringt unser Leben in vielfältiger Art und Weise. Es erfordert große Transformationen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Es droht der Zusammenbruch grundlegender ökologischer und gesellschaftlicher Systeme, vom Verlust des Amazonas-Regenwaldes bis zum Ende des Anspruches, Menschenrechte zu schützen. Doch selbst wenn die schlimmsten Folgen der Klimakrise mit entschiedenem Handeln noch abgewendet würden, wären trotzdem ganz besonders heute schon marginalisierte Menschen existentiell betroffen. Zudem ist das Vertrauen auf eine bessere Zukunft für sehr viele Menschen nicht mehr gegeben.
Wie Hoffnung bewahren?
Eine so große Krise ist auch eine spirituelle Herausforderung, für einzelne und für Gemeinschaften. Diese stellt sich in vielfältiger Art und Weise: Wie gehen wir mit unseren Emotionen um? Der Angst vor der Zukunft, der Angst vor Veränderung, der Wut auf die Verantwortlichen und der Schuld für die eigene Verantwortung, der Trauer über Vergangenes und Zukünftiges? Und wie bewahren wir in all dem Hoffnung? Diese Fragen betreffen fast alle Menschen, als Theologe in der Klimabewegung habe ich einen klimaaktivistischen Ausschnitt davon erlebt. Von Andachten[1] mit Menschen, die nicht wissen, wie sie auf die große Bedrohung reagieren sollen, über wütende Andachten wenn bei Aachen mal wieder eine Kirche an RWE abgetreten wurde bis zu einer sehr bewegenden Andacht nach der großen Demonstration gegen den Braunkohleabbau unter Lützerath mit einigen Menschen, die dabei Polizeigewalt erlebt hatten.
Andachten sind immer
öffentlich und politisch
Spiritualität geht aber über Emotionen hinaus. Die Klimakrise braucht politische Antworten und politisches Engagement. Spiritualität und Liturgie stehen vor einer alten, sich in dieser extremen Bedrohungssituation noch einmal intensiver stellenden Frage, wie sie weder in unmoralische Vertröstung noch rein politische Verzweckung abdriften. Andachten sind aber immer gemeinschaftlich und damit öffentlich, sodass sie auch in gewisser Weise immer politisch sind. Die Klimakrise und die mit ihr verbundenen Verantwortlichkeiten zu verschweigen ist auch ein politischer Akt. Dabei können die Inhalte einer Andacht politisch sein, aber auch die Andacht selbst kann man als politischen Akt sehen. Sei es beim Erntedank in der Kirchengemeinde, bei der Andacht vor dem Klimastreik oder bei Andachten, die während zivilen Ungehorsams stattfinden. Zugleich stellt die Krise aber nicht nur einfach eine politische Herausforderung dar, sondern sie stellt unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen und ganz besonders zu unser Mitnatur in Frage. Fragen von dem Verhältnis von Individuum zu Gemeinschaft und von Mensch zu Natur sind zutiefst spirituelle Fragen und brauchen ihren Raum und ihre Reflexion in Spiritualität und Liturgie. Dies erschöpft sich nicht nur in Reflexion, sondern Andachten können Gemeinschaften stiften. Bei Christians for Future sind Andachten in vielen Ortsgruppen wichtige Gelegenheiten um zusammen zu kommen. Andachten können aber auch durch ihre Verbindung von Reflexion, besonderem Ort und symbolischem, gemeinschaftlichen Handeln eine Erfahrung ermöglichen, die reines Nachdenken oder z.B Vorträge in der Form nicht geben können.
Vielfalt der Klimaspiritualiltät
Die vielfältigen Themen und Situationen der Klimaspiritualität treffen auf die genauso vielfältigen christlichen Traditionen. Ich glaube diese Vielfalt ist eine große Stärke. Wir verfügen als Christ*innen über einen enormen Schatz an vielfältigen Ansätzen, um mit dieser Krise umzugehen, und wir können zudem auch in gewissem Maße auf andere religiöse Traditionen zugreifen und zudem Neues entwickeln. Zugleich ist eine Wertschätzung der Vielfalt auch der einzige Weg, wie Spiritualität gerade bei einem solch großen Thema nicht übergriffig werden kann. Menschen brauchen in der Krise Unterschiedliches und wir sollten sie dazu befähigen, das für sie Passende zu finden.
Es gibt viele Wege, sich spirituell mit der Klimakrise auseinander zu setzen. Wichtig ist, es zu tun. Als Christ*in die Realität zu ignorieren und sich mit dem Kopf im Sand in eine spirituelle Scheinwelt abzukoppeln trägt nicht nur all die Gefahren eines Realitätsverlustes in sich, in dem nur noch spirituelle Nabelschau stattfindet, sondern es ist auch verantwortungslos gegenüber den Menschen, die die Klimakrise nicht ignorieren können. Das heißt nicht, dass jeder Sonntagsgottesdienst ein Klimagottesdienst sein sollte. Aber so wie die Klimakrise immer wieder sehr deutlich unser Leben und ganz besonders das Leben marginalisierter Menschen beeinflusst und verändert, so muss sie auch unsere Liturgie beeinflussen und verändern. Ich sehe das als ermutigende Herausforderung. In einer Zeit abnehmender Religiosität und leerer Kirchen ist es für mich als Theologe immer wieder stärkend, das große Interesse von Aktivist*innen an theologischer und spiritueller Auseinandersetzung und Verarbeitung der Klimakrise zu erleben.
Aus einem Ansatz
der Klimagerechtigkeit
Es ist ein großer Schatz, dass momentan einige Menschen in unterschiedlicher Art und Weise auf dem Weg sind, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Ich hatte die große Freude zusammen mit Kathrin Fingerle und Anna Böck im Laufe des letzten Jahres Andachten und Andachtsbausteine einiger dieser Menschen zum ersten Mal in einem Buch zusammen zu bringen. Dabei bildet sich die Vielfalt konkret ab: Von franziskanischen und ignatianischen Ansätzen, über Lobpreis und interreligöser Meditation bis zu queerer Spiritualität und Befreiungstheologie. Dabei kommen unterschiedliche Menschen zusammen: Vom Theologieprofessor über Ordensleute, Pfarrer*innen bis zu Klimaaktivist*innen aus ganz unterschiedlichen Ecken der Klimabewegung. Neben dieser Vielfalt war es uns zudem wichtig, aus einem Ansatz der Klimagerechtigkeit heraus zu arbeiten. Deswegen finden sich im Buch einige Andachten, die von den Gruppen geprägt sind, die besonders von der Klimakrise betroffen sind.
Dies ist das erste deutschsprachige Buch, das Entwürfe für Klimaandachten sammelt. Es darf nicht das letzte sein, denn die spirituelle Auseinandersetzung mit der Klimakrise ist enorm wichtig und drängend.
Belastungen für Menschen mit
spirituellen Gewalterfahrungen
vermeiden
Ich nehme dabei ein paar Gedanken aus der Bearbeitung des Buches mit:
1) Wir stehen in Theologie und Spiritualität erst am Anfang davon, spirituelle Freiheit stärker zu reflektieren. Das spürt man in allen Spiritualitätsformen, also auch hier. Es zeigt sich sogar verstärkt, wenn man neue Formen ausprobiert. Auffällig ist dies vor allem an zwei Punkten: Erstens verwenden gerade Protestant*innen häufig Bekenntnisse in ihren liturgischen Formen. Dabei liegt es für sie nahe, auch in Klimaandachten ökologische Bekenntnisse zu formulieren. Dies ist ein Problem, wenn die Teilnehmenden der Andacht darauf nicht vorbereitet sind und sich somit nur schwer distanzieren können.
Zweitens ist es eine große Herausforderung wie man innovative Formate ankündigt, deren Inhalte und Formen für die Besuchenden im Vorhinein unklar sind. Gerade letzteres braucht aus meiner Sicht interdisziplinäre Forschung von Liturgiewissenschaft, Pastoraltheologie und Psychologie, um gute Wege zu finden informierten Konsens herzustellen und Belastungen für Menschen mit spirituellen Gewalterfahrungen zu vermeiden. Wir haben im Buch versucht, mit diesen Fragen sehr sensibel umzugehen, man merkt aber wie schnell man an die gegenwärtigen Grenzen des Diskurses und der Forschung stößt.
Potenziale für weitere Arbeit
2) Als Fundamentaltheologe denke ich, dass wir nicht nur mehr Theologie brauchen, die die Klimakrise und das Verhältnis von Mensch und Umwelt reflektiert, sondern auch noch viel mehr Austausch zwischen dieser Theologie und Menschen in der praktischen Spiritualität. Das ist keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess der gegenseitigen Bereicherung. Wir hoffen, mit dem Buch einen Schritt auf diesem Weg gegangen zu sein, indem neue liturgische Formen sichtbarer werden.
Gerade bei dem Bearbeiten von intersektionalen Themen in Andachtsform gibt es ein enormes Potential für gegenseitigem Austausch. Die Zusammenhänge zwischen feministischen, queeren, antirassistischen und postkolonialen Theologien und ökologischen Theologien werfen sehr tiefgehende theologische Themen auf, die man dann wieder in Andachten reflektieren kann. Wir haben zu einigen dieser Themen wegweisende Andachten zusammen getragen, sehen aber ein sehr großes Potential für weitere Arbeit in dieser Richtung – sowohl theologisch als auch liturgisch.
Die spirituelle Auseinandersetzung mit der Klimakrise wird uns so lange begleiten, wie uns die Klimakrise begleitet, und wird immer wieder neue Reflexion und neues Ausprobieren erfordern. Die Auswirkungen der Klimakrise werden immer spürbarer und dramatischer. Wir können nicht früh genug damit anfangen sowohl theologisch als auch spirituell unsere Antworten zu vertiefen.
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Georg Sauerwein ist Theologe und Physiker. Er ist Doktorand an der Universität Innsbruck und engagiert sich als Klimaaktivist bei „Christians for Future“. Er ist zusammen mit Kathrin Fingerle Herausgeber von „Trösten. Hoffen. Handeln: Gottesdienste und Andachten im Angesicht der Klimakrise“ im Neukirchener Verlag.
[1] Ich verwende Andachten als Sammelbegriff für alle Formen christlicher gemeinschaftlicher, ritueller Betätigung. Dies scheint mir im katholischen Sprachgebrauch der breitere Begriff zu sein als Gottesdienst oder Liturgie.
Titelbild: Juliane Liebermann / unsplash.com