In Wien fand an der Universität am 25.-26.11. das 250-Jahr-Fest der Gründung der Pastoraltheologie statt. Johann Pock mit einer Zusammenfassung zentraler Punkte des Symposiums.
Das Fach Pastoraltheologie feiert in diesem Jahr seine 250 Jahre des Bestehens. Nach dem Fachkongress der AG Pastoraltheologie in Berlin im Sept 2024 wurde nun am Gründungsort Wien ein Fachsymposium durchgeführt, ausgehend von den Schwerpunktsetzungen von Christian Friesl, Regina Polak und Johann Pock, die den Fachbereich seit vielen Jahren in Lehre und Forschung gestalten.[1]
Herkunft – Geschichtliches zur Pastoraltheologie
Die theologische Szene in Österreich war in der Gegenreformation über 150 Jahre vom Jesuitenorden geprägt. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens aus politischen Gründen durch Papst Clemens XIV. 1773 (erst 1814 wurde der Orden wieder erlaubt) gab es ein Bildungsvakuum. Da die Situation absehbar war, hatte Maria Theresia bereits 1772 die Ausarbeitung eines neuen Studienplanes angeordnet.
Der Prager Benediktinerabt Franz Stephan Rautenstrauch legt einen „Entwurf einer besseren Einrichtung theologischer Schulen“ vor, der von Kaiserin Maria Theresia akzeptiert und am 3. Okt. 1774 in Kraft gesetzt wurde. Damit war die Pastoraltheologie in den Fächerkanon der Theologie aufgenommen. Ein Tabellarischer Grundriß der in deutscher Sprache vorzutragenden Pastoraltheologie sowie die erste Besetzung des pastoraltheologischen Lehrstuhls mit Franz Giftschütz erfolgte dann 1777.
Das Anliegen Rautenstrauchs war es, „den wahren Charakter eines Seelsorgers … zu bilden“[2]. Das Anliegen der Kaiserin lag jedoch primär in der Befriedung des Volkes. Die Herkunft des Faches liegt somit zunächst im Auftrag eines absolutistischen Staates, der die Religionsdiener für seine Zwecke nutzen wollte: mitzuarbeiten an Ruhe, Ordnung und Sittlichkeit des Volkes. Dies sollte u.a. über die entsprechende Ausbildung des Klerus gelingen. Von diesem klerikalistischen und enggeführten Verständnis verabschiedete sich das Fach dann erst im Umfeld des II. Vatikanischen Konzils.[3] In Wien kam es nach dem Konzil zu Schwerpunktsetzungen zunächst im Bereich der Gemeindetheologie (Klostermann), dann der Religionssoziologie (Zulehner).
„Zukunftsarbeit ist Hoffnungsarbeit“
Jetzt – Die Bedeutung von „Kairologie“
Paul Michael Zulehner prägte in seiner vierbändigen Pastoraltheologie (1989) den Begriff der „Kairologie“.[4] Für Regina Polak hat das „Mitwirken an der Zukunft von Kirche und Gesellschaft im Sinne einer ‚Hoffnungsarbeit‘“ als Voraussetzung, dass „wir uns ausführlich der Gegenwart widmen, in der sich Zukunft ankündigt und Weichen gestellt werden. Wir nennen diese Gegenwart ‚Kairos‘“. Diesem Kairos (dessen Konterfei als Gott mit Glatze und Schopf auch das Einladungsschreiben und den Plakat zierte) wurde im abendlichen Festakt ein wunderbares gereimtes Kabarett gewidmet (nach Idee, Planung und viel Arbeitsaufwand von Regina Polak und einem nicht genannt werden wollenden Dichter).
Zukunftsarbeit
Pastoraltheologie ist Mitarbeiterin an einer guten Zukunft für die Menschen. Die Zukunft ist ein zentrales Thema auch der Bibel: Nicht nur in den apokalyptischen oder eschatologischen Texten, sondern in sehr vielen prophetischen aber auch neutestamentlichen Texten.
„Zukunftsarbeit ist Hoffnungsarbeit“ (Polak). Was wir mit unseren Forschungen versuchen, ist auf der Grundlage der biblischen Tradition und einer guten theologischen Gegenwartsanalyse Optionen und Visionen zu entwickeln, wie diese Gegenwart in eine gute Zukunft gehen kann. Pastoraltheologie versucht gemeinsam mit den Menschen, die Optionen und Potentiale zu erarbeiten, die eine gute Zukunft ermöglichen.
Thematische Schwerpunktsetzungen
Das Symposium thematisierte die aktuellen Schwerpunktsetzungen am Institut: Die grundsätzliche Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen unter dem Begriff des Epochenwechsels; die Frage, wie man heute überhaupt von Gott reden kann und reden muss – und was das für die Verkündigung der Kirche für Konsequenzen hat; die Frage nach den bestimmenden Werten unserer Gesellschaft – und der Bedeutung von Religion in der Wertelandschaft; die sozioreligiöse Transformation und die Frage nach der Zukunft des christlichen Glaubens; und schließlich das Thema von Seelsorge und dem guten Leben für alle Menschen. Im Folgenden werden exemplarische Zugänge daraus genannt. Im Folgenden werden vor allem die zentralen Thesen dieser Eingangsstatements wiedergegeben. Die vielen Beiträge der Podiumsteilnehmer:innen sollen in Beiträgen auf dem Institutsblog www.theocare.network ausführlicher zur Sprache kommen.
„Die Gotteskrise muss in das Zentrum des pastoraltheologischen Forschens treten“
Epochenwandel und sozioreligiöse Transformation
Das Statement von Regina Polak zum Epochenwandel bzw. zur Zeitenwende ist ausführlich nachzulesen in der Furche.[5] Bezug genommen wird dabei u.a. auf eine aktuelle Studie, die von ORF-Religion gemeinsam mit Forscher:innen vom Institut für Praktische Theologie (Regina Polak, Patrick Rohs) sowie mit dem Forschungszentrum Religion and Transformation (Astrid Mattes-Zippenfenig) durchgeführt wird: „Was glaubt Österreich?“ Darin wird deutlich, dass der Glaube an Gott bzw. eine göttliche Wirklichkeit nur mehr von 22 % der Befragten geteilt wird. 35 % gehen von einem „höheren Wesen, einer höheren Energie oder einer geistigen Macht“ aus, und auch die Anzahl der „Unsicheren“ ist im Steigen begriffen.
Für Polak ist offen, ob es sich bei diesen Entwicklungen um eine Transformation des Transzendenzbezugs handelt – oder nicht doch auch um einen Einbruch des christlichen Glaubens.
Zugleich ist „die Vorstellung einer ‚Zeitenwende‘ zutiefst biblisch und mit Krisenerfahrungen verbunden“. Selbst in den eschatologischen und apokalyptischen Texten gibt es Hoffnung in allem Unheil. „Diese Hoffnung ist kein Optimismus, sondern eine praktisch-theologische Kategorie: Sie stärkt Resilienz und Mut und eröffnet Widerstandskraft.“
Aus der Sicht von Polak „muss die Gotteskrise“, die durch empirische Daten (z.B. der Wertestudie) belegt wird, „in das Zentrum unseres pastoraltheologischen Forschens treten. Denn mit der Frage nach Gott, wie er biblisch bezeugt und in der Tradition immer wieder durch Auslegungen in die jeweilige Gegenwart übersetzt wurde, steht und fällt die Zukunft des Christentums.“
„Es benötigt Lernorte für ein gelingendes Miteinander und den demokratischen Austausch“
Wertewandel
Zu den zentralen Schwerpunkten des Instituts gehört seit dem Ende der 1980er Jahre (und auf Initiative von Paul Michael Zulehner) die empirische Werteforschung, die sich inzwischen auch zu einem überfakultären „Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung“ weiterentwickelt hat – aktuell am Institut durch Christian Friesl und Patrick Rohs verantwortet.
Beim Symposium wurde der Zusammenhang der Aspekte „Werte, Gesellschaft und Politik“ dargelegt und mit mehreren Thesen aufbereitet, die hier wiedergegeben werden:
- Aufgrund des Fokus auf die „kleine Welt“ bleibt weniger Energie für gesellschaftliches Interesse und Engagement.
- Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist volatil und veränderbar. Es aufzubauen braucht Ressourcen, Verlässlichkeit und Beteiligung.
- Wer will, dass die Demokratie gewünscht und geschätzt wird, muss die Qualität der politischen Praxis steigern. Dies könnte auch ein Gegenmittel zum wachsenden Populismus sein.
- Der soziale Zusammenhalt wurde während der vergangenen Jahre stark beansprucht, die verschiedenen Krisen haben wichtige Ressourcen aufgezehrt.
- Angesichts der fortschreitenden Individualisierungsprozesse benötigt es Lernorte für ein gelingendes Miteinander und den demokratischen Austausch.
- Ein wichtiger Baustein kann qualitätvolle Wertebildung sein. Im politischen Kontext kommt der Demokratiebildung eine wichtige Rolle zu.
„Verkündigung und Rede von Gott entzieht sich dem amtlich-regulierenden Zugriff“
Rede von Gott
Ein zentrales Thema war die Frage, wie in dieser Situation von Gott geredet werden kann. Es wurde dafür plädiert, dass die religiöse Sprachfähigkeit erneuert werden müsse. Eine vorfindbare religiöse Sprachunfähigkeit (nicht nur bei jungen Menschen) mache es schwer, sich in den überlieferten Religionen und Glaubensformen zurecht zu finden. Hubert Knoblauch plädierte in seinem Statement, dass sich die (Pastoral-)Theologie stärker auf die „Refiguration“ bzw. Transformation des Religiösen bei jungen Menschen ausrichten müsse.
Die Frage ist somit einerseits eine inhaltliche (was bzw. wer wird verkündigt); aber auch eine strukturelle – nämlich die Frage nach den Orten, den Medien und den Personen, die von Gott reden bzw. nach den Sozialformen, die durch social media refiguriert werden.
Durch die Entwicklung der Medien und vor allem durch die Möglichkeiten der social media entzieht sich Verkündigung dem amtlich-regulierenden Zugriff immer mehr – sowohl in der Sender- wie auch in der Empfängerperspektive. Religiöse Angebote in den diversen Internetforen sind mittlerweile nicht mehr zu überblicken – und der Druck für die Kirchen, hier selbst entsprechende Angebote zu machen, wird immer größer.
Formal werden die Verkündigungsangebote kürzer, bildreicher, und jünger – wie die Diskussionsteilnehmerin Stephanie Sandhofer, selber christliche Influencerin, deutlich machte. Mit ihrem Blog „weilmaglaubn“, mit Coronabeginn entstanden, werden Menschen erreicht, die großteils über die klassischen Verkündigungsorte nicht erreichbar wären.
„Gutes Leben für alle“ benötigt eine Optionalität für Caritas und Seelsorge
Der Fokus auf das „Gute Leben für alle“ – Caritas und Seelsorge
Im abschließenden Panel „Ein gutes Leben für alle“ wurde deutlich, wie sehr die Themen „Seelsorge“ und „Caritas“ in der Praxis der Kirchen nachgefragt und anerkannt sind – und wie wenig (im Vergleich zur Bedeutung) sie letztlich in der wissenschaftlichen Lehre und Forschung vorkommen. Es gibt zugleich eine wahrnehmbare Verschiebung des Interesses von Theolog:innen weg von der klassischen Pfarrpastoral hin zu kategorialen Bereichen wie z.B. der Krankenhausseelsorge.
Gerade der Bereich der Caritas und der Seelsorge für alle weitet jedoch das Feld so aus, dass es eine Optionalität braucht: Bei geringer werdenden personellen oder auch monetären Ressourcen stellt sich vermehrt die Frage, wofür diese eingesetzt werden. Im Nachgang des Konzils war es die „Option für die Armen“, welche für Pierre Ganne zentral auch für die Theologie ist. Er erkannte schon damals die Gefahr einer „idealisierten“, realitätsenthobenen Theologie oder Kirche, die „entmenschlicht“ ist. „Ohne die Gegenwart der Armen aber, die das prophetische Licht ‚inkarnieren‘, verliert die Theologie ihr Schwergewicht, sie beginnt, die Geschichte zu überschweben und hängt sie an ein angeblich Ewiges, das sich bloß als ein Zeitloses entpuppt.“[6]
[1] Nähere Informationen dazu finden sich unter: https://pt-ktf.univie.ac.at/detailansicht/news/herkunft-zukunft-jetzt/ (Stand 28.11.2024).
[2] Vgl. dazu Näheres bei: Heinz Schuster, Geschichte der Pastoraltheologie, in: Handbuch der Pastoraltheologie, hg. v. F.X. Arnold, Karl Rahner u.a., Bd. I, Freiburg 1964, 41-48.
[3] Vgl. zur Geschichte der Pastoraltheologie und vor allem des Wiener Lehrstuhls für Pastoraltheologie bis nach dem Konzil: Alois Schwarz, Pastoraltheologie und Kerygmatik, in: Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien 1384-1984. Festschrift zum 600-Jahr-Jubiläum, hg.v. Ernst Suttner, Wien 1984, 247-272.
[4] Vgl. Paul M. Zulehner, Pastoraltheologie. Band 1: Fundamentalpastoral, Düsseldorf 1989, 140-148.
[5] Regina Polak, Der Glaube an Gott implodiert, in: Die Furche 48 (28.11.2024), 10.
[6] Pierre Ganne, Die Prophetie der Armen, Einsiedeln 1986. (Original: Le Pauvre et le Prophète, Culture et Foi, Lyon 1973, übers. v. Hans Urs von Balthasar), 135.
Johann Pock, Wien, ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net
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