Am heutigen Tag feiert die Kirche den 1600. Todestag des Hl. Hieronymus. Er gilt als lateinischer Kirchenvater, Patron der Übersetzer und Verfasser der wichtigsten lateinischen Bibelübersetzung. Die Nachwelt verewigte ihn jedoch in ganz anderen, weit wirkmächtigeren Bildern: Und diese „Bilder eines Kirchenvaters“ beförderte vor allem einer: Hieronymus selbst. Von Elisabeth Birnbaum
Kardinal?
Hieronymus war nicht Bischof wie seine Zeitgenossen und „Kirchenvater-Kollegen“ Augustinus oder Ambrosius. Schon zum Priester ließ sich Hieronymus nur unter der Voraussetzung weihen, dass er das Amt nicht ausüben musste. Kardinal wurde er nie. Das tat jedoch seinem Selbstbewusstsein keinen Abbruch. Seinen späteren „Kollegen“ trat er mit Verachtung oder Desinteresse entgegen.
Den einflussreichen Bischof von Mailand, führenden Theologen und erfolgreichen Übersetzer Ambrosius verunglimpfte er als Plagiator und Schwätzer. Die umfangreichen bedeutenden Schriften des Augustinus interessierten ihn nicht. Und in seinem Werk „De viris illustribus“ (Über berühmte Männer) erwähnte er ihn nicht einmal.
Das Selbstbild des Hieronymus setzte sich später durch und der Kardinalshut wurde zu einem seiner wichtigsten Attribute. Und in den Kirchen steht er nunmehr in einmütiger Verbundenheit neben den von ihm so geschmähten kirchenpolitisch erfolgreichen Kollegen.
Eremit in der Wüste?
Hieronymus „brannte“ für seine Anliegen. Und sein Hauptanliegen war die Askese. Sexuelle Abstinenz, einfache Lebensgestaltung und Geringschätzung der Welt waren seine Ideale. Unermüdlich schrieb er daher gegen weltliche Freuden wie die Ehe an, manchmal so harsch, dass er sogar seine Freunde vor den Kopf stieß.
Das Bild des Eremiten in der Wüste verdankt Hieronymus sich selbst.
Doch ein Eremit war er nie. Seinen „Wüstenaufenthalt“ absolvierte er auf einem entlegenen Landgut eines Freundes, wo er sich zwei Jahre lang in Ruhe seinen Schriften widmen konnte. Zwar abseits der großen Städte, aber weder allein noch in der Wüste, und schon gar nicht in einer Höhle.[1]
Das Bild des Eremiten in der Wüste verdankt Hieronymus sich selbst. Um die reichen Frauen Roms in ihren asketischen Bemühungen zu bestärken, und um einer jungen Schülerin die Gefahren der „Welt“ aufzuzeigen, stellte er diesen Aufenthalt so dar, wie die Kunstgeschichte ihn später interpretiert hat: als ein von Versuchungen und Entbehrungen gezeichnetes Eremitendasein:[2]
„Als ich in der Wüste weilte, in jener weiten, von der Sonnenglut ausgebrannten Einöde, die den Mönchen ein schauriges Asyl bietet …“ (Hier., ep. 22,7)
so beginnt sein Rückblick. Und malt dann in Folge jenes Bild, das auf zahlreichen Gemälden übernommen werden sollte:
„Meine ungestaltet Glieder starrten im Bußgewande, und meine rauhe Haut war schwarz geworden gleich der eines Äthiopiers. (…) [S. 69] … in der einzigen Gesellschaft von Skorpionen und wilden Tieren, dachte [ich] oft zurück an die Tänze der Mädchen. Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden.“ (Hier., ep. 22,7)
Die schaurige Erzählung diente einzig und allein propagandistischen Zwecken. Das wird im nächsten Satz deutlich:
„Wenn nun schon ein Mensch solche Kämpfe bestehen muß, der bei ausgehungertem Körper nur gegen Gedanken anzugehen hat, was droht da erst einer jungen Frau, welche mitten im Leben mit seinen Genüssen steht?“ (Hier., ep. 22,8)
… und ein Löwe
Mit diesen Worten überzeugte er nicht nur die angesprochene junge Dame, Eustochium, die mit ihrer Mutter Paula zu seiner treuesten Begleiterin werden sollte, sondern auch die Biographen und Künstler. Und noch mehr: Das Bild wurde noch weiter ausgestaltet. Zum ausgezehrten Asketen gesellte sich später ein Löwe, dem Hieronymus einen Dorn aus der Pranke gezogen haben soll. Die Legende ist vermutlich über einen Asketen ähnlichen Namens (Geronimus) zu Hieronymus übergewechselt.
Das von Hieronymus propagierte Bild setzte sich also durch. Bis heute ist „Hieronymus in der Wüste“ die häufigste Darstellungsweise des Kirchenvaters in der Kunst. Und der Löwe gehört zu seinen unverzichtbaren Attributen.
Sprachgewaltiger Gelehrter
Alle diese Aspekte wurden allerdings erst durch seine größte Begabung fruchtbar: Durch die Kraft seiner Sprache. Hieronymus war ein sprachliches Genie. Wortgewaltig und rhetorisch brillant schuf er sich einen Namen als Übersetzer, Kommentator und Verfasser von Briefen, Traktaten und Mönchsromanen.
Seine Bibelübersetzungen und -kommentierungen sind auch nach heutigen Standards großartige Leistungen. Mit seiner Hinwendung zu den Originalsprachen der Bibel, vor allem zur „hebraica veritas“, setzte er Maßstäbe.
Hieronymus im Gehäus: über seinen Büchern sitzend und schreibend.
Bis heute ist seine Bibelübersetzung, die „Vulgata“, die maßgebliche lateinische Version in der katholischen Kirche. Als Kommentator war er ähnlich rührig: Er war der einzige lateinische Kirchenschriftsteller, der Kommentare zu sämtlichen biblischen Prophetenbüchern schrieb.
Und so gibt es noch eine dritte Darstellung des Hieronymus, die einzige, die Eingang in die Kunstgeschichte gefunden hat und tatsächlich von historischem Gehalt ist: die Darstellung des „Hieronymus im Gehäus“. Hieronymus, in der Studierstube über seinen Büchern sitzend und schreibend.
Betlehem und die Bilder eines Kirchenvaters
Die Saat der späteren Bilder des Kirchenvaters wurde in Rom gesät. Endgültig aufgehen sollte sie dann aber erst in Betlehem. Dazwischen lag 385 n. Chr. die unrühmliche Abreise aus Rom. Sie war notwendig geworden, weil sich Hieronymus durch seine übertriebenen Askesevorstellungen und durch seine Anwürfe gegen den Klerus zahlreiche Feinde eingehandelt hatte.
Er stilisierte sich selbst zum Parade-Gelehrten.
Und doch: Gerade am Rande der lateinischen Welt, im zwar religiös bedeutsamen, aber karrieretechnisch wenig verheißungsvollen Betlehem schuf Hieronymus die Bilder, die bis heute wirkmächtig sind. Seine Vertreibung wurde zur freiwilligen Hinwendung zum „erhabeneren“ Betlehem. Sein Bibelkommentar zum Buch Kohelet/Prediger (388/389 n. Chr.) war nicht weniger als eine leidenschaftliche Werbeschrift für Weltverachtung und festigte sein Image als Asket. Und in zahllosen weiteren Schriften stilisierte er sich selbst zum Parade-Gelehrten, erhaben über Bischöfe und geistliche Lehrer.
So ging Hieronymus als Kardinal, als Eremit in der Wüste und als Gelehrter im „Gehäus“ in die Geschichte ein: in den selbst geschaffenen Bildern eines Kirchenvaters.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
Bildnachweis: Hl. Hieronymus, Vatikanische Museen; Foto: privat
[1] Vgl. Alfons Fürst, Hieronymus. Askese und Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg i. Br. 22016, S. 51.
[2] Hieronymus, ep. 22,2; Übersetzung: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe. (Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften Bd. 2-3; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 16 und 18) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1936-1937; Für die BKV im Internet bearbeitet von: Heiner Bösch; https://bkv.unifr.ch/works/171/versions/190/divisions/106402; einges. am 28.9.2020.