Wie die Ächtung der Gewalt in modernen Gesellschaften die Hölle in Theologie und Pastoral (fast) zum Verschwinden brachte. Von Michael N. Ebertz.
Wenn das Flugwild steil nach oben steigt, nachdem es vom Schuss getroffen wurde, heißt das in der Jägersprache ‚himmeln‘. Jäger wissen freilich, dass das tote Tier, getreu den Gesetzen der Gravitation, danach abstürzt. In der Kirche hierzulande scheint man immer häufiger zu hoffen, dass der Mensch, an dem ‚die Axt angelegt‘ wurde, steil nach oben steigt und postmortal oben bleibt. Was treibt diese Innovation des Himmelns an, gegen die Gesetze der dogmatischen Gravitation?
Die Vorstellung von der ewigen Hölle bildete die Grundlage der Pastoralmacht der Kirchen.
Die Gesetze der christlichen Dogmatik kennen tatsächlich eine Schwerkraft, die im Wesentlichen auf Augustinus (gest. 430) zurückgeht und die Massen anzieht. Es ist die in der heutigen Theologie umstrittene Schwerkraft der Ur- und damit Erbsünde, auf der die göttliche Todesstrafe steht, die zur Hölle führt, der nur eine Minderheit entkommt. Alle Menschen finden sich nach Augustinus in einer massa damnata wieder, von der nur ein Teil auserwählt sei, die durch den Engelssturz freigewordenen himmlischen Behausungen wieder zu besetzen.
Mit einem solchen harten Exklusionsprogramm hatte sich Augustinus gegen Origenes von Alexandrien (gest. 253) und die Origenisten abgegrenzt. Diese hatten mit einem therapeutischen Inklusionsprogramm experimentiert, indem sie die Vorstellung von der ewigen Hölle in ein vorübergehendes – metaphorisches – ‚Fegefeuer‘ auflösten, womit sie eine postmortale Resozialisationsstrafe favorisierten. Diese therapeutisch-inklusionistische Lehre von der Allerlösung (vgl. Apg 3,21; 1 Kor 15,25) wurde nicht nur durch Augustinus heftig bekämpft, sondern auch schließlich auf einem Ökumenischen Konzil, dem zweiten von Konstantinopel (553), ausdrücklich verdammt. Augustinus wurde darüber zum „großen Töter der Hoffnung“ (Friedrich Heer), indem er jeder „Hoffnung auf Allerlösung jede Grundlage entzog“1, aber damit für die ‚Pastoralmacht‘ (Michel Foucault) der Kirchen die Grundlagen legte.
Seit der Aufklärung verliert das Höllenfeuer mehr und mehr an Plausibilität.
Die Vorstellung von der ewigen Hölle, die wir in Varianten auch in anderen Kulturen haben, avancierte zu demjenigen Topos der christlichen Eschatologie, der z.B. von Ernst Bloch als das „härteste“ aller christlichen Dogmen bezeichnet wurde. „Nach der Lehre Christi und der Apostel steht es also fest“, so heißt es im einst einflussreichen „Lehrbuch der Dogmatik“ von Bernhard Bartmann noch aus den 1930er Jahren, „dass es eine Hölle, einen Strafzustand gibt für die Bösen, und dass die Strafen dort endlos, ewig sind; aber ungleich, entsprechend der Schuld“.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg argumentiert der katholische Theologe Michael Schmaus in seiner Katholischen Dogmatik: „Gott verurteilt zu Peinen und Qualen, damit so die Übertretung des Sittengesetzes gerächt werde.“ Zu den „geschöpflichen Medien, die Gott für die Bestrafung des Sünders verwendet“, sei „das Feuer“ als „ein wirkliches Feuer“ zu rechnen: „Wegen der Schmerzen, die es bereitet, ist es … Sinnbild und Werkzeug seines Zornes und seines Gerichtes, seiner Strafen und seiner Prüfungen.“3
Überkommene Jenseitsvorstellungen werden ikonisiert und es gibt wieder Hoffnung.
Dieses Dogma hat seit der Aufklärung bei den Intellektuellen und im Bürgertum und heute in der gesellschaftlichen Breite einen massiven Plausibilitäts- und Akzeptanzverlust erfahren, auch in der neueren Theologie. Zum gleichen Zeitpunkt, als Michael Schmaus das Höllenfeuer noch einmal kräftig zum Lodern brachte, lässt sich innerhalb der katholischen Eschatologie der Einstieg in einen massiven Paradigmenwechsel beobachten. Hierzu gehört die Ikonisierung der überkommenden Jenseitsvorstellungen. Sie seien, so Karl Rahner, nicht als „antizipierende Reportage später erfolgender Ereignisse“, sondern als „in Bildern beschworene“ Zukunft zu sehen.
Mit dieser Umstellung vom Informations- und Wissensmodus auf den Bildmodus war durchgängig eine Verschiebung in einen Hoffnungsmodus verbunden, in Richtung Heilsoptimierung: „Es kann nicht um eine exakte Beschreibung der Zukunft gehen, sondern ‚nur‘ um Bilder. Bilder … sind unverzichtbar. Gerade für die Hoffnung. Aber das Wissen um den Bild-Charakter unserer Hoffnungssprache wirkt entspannend“ beschreibt schließlich der Theologe Franz Josef Nocke4 den neuen Denkstil. Die christliche Lehre von den sogenannten Letzten Dingen wird seit den 1950er Jahren zur Hoffnungstheologie geframt. Bis heute breitet sich ein antiaugustinischer Neoorigenimus im Hoffnungsgewand aus – im Wissensgewand könnte er innerkirchlich unter Häresieverdacht geraten. Damit vollzog sich auch eine Umgewichtung der Gottesattribute ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Barmherzigkeit‘ zugunsten des Letzeren, die als ‚bedingungslose Liebe‘ auch über den Tod hinaus wirksam sei.
Das Gottesbild wird aus einem Lohn- und Straf-Schema herausgelöst.
Letztlich geht es darum, das Gottesbild zu purifizieren, genauer gesagt: es zu entpönalisieren, um es schließlich zu therapeutisieren. Mit der Herauslösung des Gottesbildes aus einem Lohn- und Straf-Schema werden auch ‚Fegefeuer‘ und ‚Hölle‘ nicht mehr im bisherigen – für die lateinische Kirche gängigen – Sanktionsmodus gedacht. ‚Hölle‘ kann dann allenfalls noch als eine Art Selbstverletzung oder Selbstbestrafung gesehen werden. Gott ist nicht mehr Teil der Sanktionslogik. Es gehe um „Entgiftung“ (Franz Josef Nocke), nicht um Bestrafung.
Wissenssoziologisch gesehen, zeigt sich freilich, dass das neue therapeutische Inklusionskonzept des Jenseits gesellschaftlich ebenso voraussetzungsvoll ist wie das überkommene exklusionistische Strafkonzept. Dessen Plausibilitätsbasis dürfte im zivilisierten Wohlfahrtsstaat der Gegenwart immer weniger gegeben sein. Sein Denkstil war offensichtlich im Erfahrungsraum einer bestimmten Gewaltkultur der spätantiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Gesellschaft eingebettet, in der körperliche Instrumentalgewalt im Erziehungskontext und ‚autotelische Gewalt‘ (Jan Philipp Reemtsma) im Kriminalkontext – von der Prügelstrafe bis zur Verbrennung und Vierteilung in öffentlichen Hinrichtungsszenen – als Selbstverständlichkeiten galten: „Die Freude am Quälen und Töten anderer war groß, es war eine gesellschaftlich erlaubte Freude“, wie Norbert Elias in seiner großen Studie über den „Prozess der Zivilisation“ gezeigt hat.
Gewalt steht in der heutigen modernen Gesellschaft unter einem besonderen Legitimationsdruck.
Von einer solchen „autotelischen Gewalt“ lässt sich dann sprechen, wenn die Verletzung, ja Zerstörung des Körpers des anderen selbst das Ziel ist und sich darin erschöpft. Sie ist in der heutigen modernen Gesellschaft erfolgreich als barbarisch stigmatisiert. Andere Formen von Gewalt, die raptive und die instrumentelle Gewalt, die noch lange auch im Erziehungskontext von Familie, Heimen, Schulen und Kirchen Praxis war, wurden „unter einen besonderen Legitimationsdruck gestellt“,5 ja geächtet, als es der Staat in einem langen Prozess der Zivilisation erfolgreich geschafft hat, die physische Gewalt zu monopolisieren und damit seine Mitbürgerinnen und Mitbürger sozusagen zu entwaffnen, sie also auch gezwungen hat, ihre Konflikte gewaltfrei zu lösen. Gewalt wird – zumindest in der dominanten Kultur unserer Gesellschaft – nur noch für legitim erachtet, wo Gewalt vor schlimmerer Gewalt schützen soll.
Dies erklärt auch erheblich mit, weshalb die Überlieferung der Letzten Dinge bei ihren theologischen Expert*innen und den wohlinformierten Kirchenmitgliedern erhebliche kognitive Dissonanzen hervorrufen musste. Höllen- wie Fegefeuervorstellungen geraten bei den Zivilisationsmenschen und -priestern von heute, denen Gewaltausübung im Alltag als ebenso verpönt gilt wie Folter, Todes- und Körperstrafe als Maßnahmen des Staates, in den Verdacht der kognitiven Barbarei und werden als Ausdruck eines längst überwundenen gesellschaftlichen Zivilisationsstadiums betrachtet.
Die Hölle lodert noch im Weltkatechismus, ist aber in der Theologie und Pastoral dabei zu veraschen.
Die überkommene Rede von den Letzten Dingen gerät mit ihrer erheblichen Gewalt- und Exklusionsmetaphorik in massivsten Widerspruch zum Erfahrungsraum des „wohl bedeutsamsten zivilisatorischen Fortschritts der Menschheitsgeschichte“ (Jan Philip Reemtsma), sofern er die Gewalt unter erhöhten Legitimationsdruck stellt. Es scheint von daher nur konsequent, wenn Papst Franziskus der Todesstrafe die theologische Legitimation entzieht, sie im Weltkatechismus für „unzulässig“ erklärt. Konsequent ist es aber auch, dass er mit dieser „Autokorrektur“ eine weitere „Krise lehramtlicher Kontinuitätskosmetik“6 auslöst und Häresievorwürfe auf sich zieht.
Die Hölle lodert freilich noch immer im Weltkatechismus, ist aber in der Theologie und Pastoral dabei zu veraschen. Man himmelt dort nur noch, zivilisiert und bar jeder Pastoralmacht, aber auch ohne Innovationsverschleierung und ohne Kontinuitätskosmetik, freilich gegen das ‚Gesetz der dogmatischen Gravitation‘. Auch dies steht – wie so vieles in der Kirche – vor einem Paradigmenwechsel, von dem die derzeit öffentlich grassierenden internen Kirchenkämpfe zeugen. Eine lehramtliche Emeritierung der Hölle ließe neue Aporien entstehen, droht doch dabei die „Legitimation des Leidens“ (Max Weber) auf der Strecke zu bleiben, d.h. das unausrottbare Bedürfnis nach einer letzten Gerechtigkeit, das die überkommene Vorstellung der Hölle einmal befriedigte.
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Prof. Dr. rer. soc. habil, Dr. theol. Michael N. Ebertz ist Soziologe und Theologe. Er lehrt und forscht an der Katholischen Hochschule Freiburg.
Ausführlicher: Michael N. Ebertz: Der Kampf um Hölle und Fegfeuer. Ein soziologischer Blick. In: Theologisch-praktische Quartalschrift 167 (2019), 115-124.
Bild: icon0.com (Pexels)
- Balthasar, Hans Urs von: Eschatologie. In: Feiner, Johannes u.a. (Hg.): Fragen der Theologie heute. 2. Auflage. Zürich/Köln 1958, 403-421, hier 413. ↩
- Bartmann, Bernhard: Lehrbuch der Dogmatik. 8. Auflage. Freiburg 1932, 484-495. ↩
- Schmaus, Michael: Katholische Dogmatik. Band 4, 2. Halbband: Von den Letzten Dingen. 3. und 4. Auflage. München 1953. ↩
- Nocke, Franz Josef: Ein Leben lang mit dem Thema ‚Eschatologie‘ unterwegs – und heute?. In: Lebendige Seelsorge 63 (2012), 315-319, hier 319. ↩
- Reemtsma, Jan Philipp: Hässliche Wirklichkeit und liebgewordene Illusionen. In: Süddeutsche Zeitung, vom 25.01.2008. ↩
- Seewald, Michael: Todesstrafe, Kirchenlehre und Dogmenentwicklung. In: Concilium 55 (2019), 100-112, hier 108f. ↩