Johannes Wiedecke war ein erfolgreicher Opernsänger und arbeitet nun als Pastoralassistent in der Erzdiözese Salzburg. Warum das so kam, erzählt er im folgenden Artikel.
Als ich 16 Jahre alt war, habe ich meinen Glauben verloren. Typische Geschichte, nichts Besonderes. Kafka, Sartre und Kerouac machen den Menschen schlau, aber nicht unbedingt glücklich. Mann, hat mir da was gefehlt! Chopin, Mozart, Miles Davis, 2Pac, Nirvana, Portishead machen nicht weniger gescheit, aber machten mich glücklich. Und da lag der Unterschied. Diese Verbindung, diese Ganzheitlichkeit, diese Ausrichtung gab es für mich in der Musik. Das absichtslose Einklinken in die Frage: Was könnte sein? Das Annähern und Umkreisen der Frage nach dem was, unbewegt bewegend ist und so echt, dass wir uns darauf zubewegen müssen. Ein Freund, von Beruf Konzertpianist, sagte bei dem einen oder anderen Bier einmal zu mir: „Man wird ja nicht Künstler, weil es so lustig ist, sondern, weil man nicht anders kann“ – weil man nicht anders kann als zu suchen und zu entdecken.
Hingerichtet auf etwas, dem ich mich mein Leben lang annähere
Und deshalb folgte ich diesem Ruf und nutzte meine Sozialisierung und mein bisschen Gottesgeschenk und wurde Musiker. Das hat mir den Glauben gerettet. Das Annähern ohne Ballast, die Möglichkeit nicht aussprechen zu müssen, wovon man redet. Ganz im Rahnerschen Sinne: Anzuerkennen, dass es ein Mysterium ist, von dem wir erzählen, obwohl wir Christen manchmal so tun, als wüssten wir genau, wovon wir sprechen. Das ist das Eine, was ich als ich Geschenk empfinde: hingerichtet sein zu dürfen auf etwas, dem ich mich mein Leben lang annähere.
Das Zweite ist das Dazwischensein. Das Gefühl nirgendwo so richtig dazu zu gehören; auch das Unbehagen, wenn man zu sehr in einer Gruppe aufzugehen scheint. Ein Intendant eines deutschen Opernhauses, an dem ich einige Jahre engagiert war, hat es mir einmal auf die Nase gebunden. Er sagte es mir direkt ins Gesicht: „ Herr Wiedecke, ich schätze Sie sehr, aber Sie fordern mich heraus. Sie sind ein Mann zwischen den Welten.“
Linksliberale Katholen
Ich bin in Hamburg aufgewachsen, diaspora-katholisch und reformpädagogisch erzogen worden. Mein Vater, ein typischer Mann der 68er Generation, konvertierte auf Grund unserer familiären Flüchtlingsgeschichte mütterlicherseits zum Katholizismus. Mit beiden ‚Vereinen’ kenne ich mich generell ganz gut aus. Linksliberale und Katholen, wie man sie bei uns in Hamburg nennt, haben mein Leben geprägt. Ein postmaterielles Elternhaus katholischer Gesinnung, mit Großeltern, die hohe Tiere bei Axel-Springer und IBM waren. Da wird Orientierung schwierig und Rebellion zum Selbstzweck, denn deine Eltern haben schon die ganze Zeit von Revolution geredet.
In meinem Theaterleben hat mir dieses Dazwischensein sehr geholfen. Ich war privilegiert und habe früh Karriere gemacht. Oft habe ich mich gefragt: „Wieso hat das bei dir so schnell, so gut funktioniert mit der Theaterkarriere?“ Klar bisschen Talent, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort… .
Aber da ist noch etwas anderes, das viele Theaterschaffende gespürt haben. Ich habe Freiheit in mir.
Immer ein wenig außerhalb
Oft sucht man in dem Gestus des Regietheaters nach neuer Wahrheit, nach Sinn und Wiedererfindung des Sinnvollen. Dadurch, dass ich Sinn in meiner inneren Hinrichtung trug, hatte ich immer die Möglichkeit, eine betrachtende Perspektive einzunehmen und den Prozess der Sinnfindung gestalten zu können, aber nicht neu erfinden zu müssen. So wurde man zwar nie Teil des Systems, da man als Beobachtender immer ein wenig außerhalb angesiedelt ist, aber man konnte sehr produktiv auf den Gestaltungsprozess einwirken. Also ein Mann zwischen den Welten, der geschätzt wird, aber herausfordert.
Irgendwann hat es mir dann gereicht mit dem Löcher in den Bauch assoziieren und auch dem dauernden Kümmern um mich selbst als Künstlerpersönlichkeit.
Ich habe noch zwei andere Dinge als Berufung in meinem Leben erahnt.
Meine Frau Monika und ich waren schon verheiratet und wir wollten eine Familie gründen. Das Nomadenleben eines Opernsängers wollte ich meiner Frau und meinen zukünftigen Kindern nicht auf Dauer zumuten. Ich wollte ein Vater sein, der präsent ist und für seine Kinder da sein kann.
Meine Freiheit als Christ
Weiterhin spürte ich, dass ich noch mehr meinem eigenen Hingerichtetsein nachgehen musste und auch anderen von meiner Freiheit als Christ erzählen und sie, soweit sie möchten, daran teilhaben lassen wollte. So beschloss ich, Pastoralassistent zu werden.
Seit einigen Jahren arbeite ich jetzt für die Kirche. Die Arbeit macht mir Spaß, aber so richtig dazugehören tue ich hier wirklich nicht. Meine Sozialisierung, so wie auch meine beruflichen Erfahrungen sind meist grundlegend andere als die meiner Kolleginnen und Kollegen. Wenn ich in Diskussionen etwas sage, schauen mich viele Leute oft an als hätten sie den Mond verschluckt. „Ich verstehe nicht was Du meinst, aber es hört sich an, als hättest Du da einen wichtigen Punkt“, sagte ein Kollege zu mir.
Ich bin wieder dazwischen. Aber auch hier definiert mich die mir geschenkte Freiheit. Ich bin hingerichtet auf den Urgrund und daran ändern auch die Mühlen des Systems Kirche nichts. Ich gehe nicht auf im System, aber ich darf hineinkommen. Dass Verantwortliche in der Kirche dies zulassen, halte ich für einen echten Mehrwert des Systems.
Personen, die nicht in der Gruppe aufgehen
Es führt zwangsläufig natürlich aber zu Konflikten. Ich werde von vielen Menschen geschätzt und viele Personen erkennen die Chancen, die in der Auseinandersetzung mit Personen, die nicht in der Gruppe aufgehen, liegen können. Die Herausforderung anzunehmen und daran zu wachsen ist jedoch etwas, das schwer fällt. Es ist oft schwierig, man möchte auch einfach mal mitschwimmen und angenommen sein.
Sicherlich geht es vielen Menschen so wie mir. Viele Menschen machen solche oder ähnliche Erfahrungen. Was ich sagen möchte ist, dass es für mich ein Geschenk ist: einerseits die Sicherheit, dass meine Sinnsuche eine Ausrichtung hat und andererseits die Chancen, die sich aus meinem Dazwischensein ergeben. Es ist nervig, aber ich bin dankbar dafür und es ist gut, so wie es ist.
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Johannes Wiedecke ist 39 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seiner Tochter an der österreichisch-bayerischen Grenze. Er wurde im Alter von 24 Jahren aus dem Studium heraus ins Solo-Ensemble der Wiener Staatsoper engagiert. Seit 2013 arbeitet er als Pastoralassistent bei der Erzdiözese Salzburg und ist mitverantwortlich für Projekte wie die Lange Nacht der Kirchen und den Offenen Himmel.
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