Das Abschlusspapier der gerade abgeschlossenen Jugendsynode liegt noch gar nicht auf Deutsch vor – und schon analysiert Eva-Maria Faber es für feinschwarz.net: nah am Wortlaut, klar in der Deutung, relevant für die Praxis.
Wer je schon in einer mehrköpfigen Gruppe einen Text zu schreiben hatte, wird sich hüten, den Stab über Ungereimtheiten in Dokumenten zu brechen, die in größeren Versammlungen entstanden sind. Dies gilt erst recht für das Abschlussdokument der Bischofssynode 2018. Die darin erkennbaren Spannungen können sogar als positives Zeichen von Dynamiken gelten, denen die Synode Raum gab und die sich nun im Text bemerkbar machen.
1. Variationen eines Dreischritts
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die dreiteilige Struktur des Abschlussdokumentes, dem das Grundschema „Sehen – Urteilen – Handeln“ zugrundeliegt. Dieser in der Jeunesse Ouvrière Chrétienne entwickelte und im 2. Vatikanischen Konzil für die Pastoralkonstitution Gaudium et spes bedeutsame Dreischritt erfährt im Pontifikat von Papst Franziskus eine ignatianische Wendung. Dies macht sich schon in den Synoden von 2014/15 mit dem Begriff der Unterscheidung und der Sendung bemerkbar[1] und integriert nun das Motiv des Wählens. Das Instrumentum Laboris vom Juni 2018 überschreibt seine drei Teile mit den Titeln: „Erkennen: Die Kirche beim Anhören der Realität“ – „Interpretieren: Glaube und Berufungserkenntnis“ – „Wählen: Wege der pastoralen und missionarischen Veränderung“. Ähnlich reflektiert das Abschlussdokument den Dreischritt in Nr. 4, verwendet allerdings in Orientierung an der Emmausperikope andere Teilüberschriften.
Erkennen und Zuhören
Bemerkenswert ist im ersten Glied des Dreischritts die Modifikation des Sehens zum Erkennen und näherhin zum Hören (vgl. im Abschlussdokument die Überschrift zu Beginn des ersten Teils: „Una chiesa in ascolto“). Insbesondere in der ersten Phase der Synode würdigten viele Teilnehmende die Haltung des Zuhörens als wichtige Erfahrung.
Eine Befragung der Bischöfe im Vorfeld von Bischofssynoden gab es seit 1969, und grundsätzlich hätten die Bischofskonferenzen schon früher breitere Personenkreise einbeziehen können. Doch faktisch ist die umfassende Beteiligung des Volkes Gottes im Prozess der Vorbereitung der Bischofssynoden 2014/15 und 2018 ohne Vergleich in der bisherigen Geschichte. Bemerkenswert ist vor allem die im Frühjahr 2018 abgehaltene Vorsynode, die es jungen Menschen erlaubte, ihre Perspektive direkt einzubringen. Inzwischen hat die Apostolische Konstitution „Episcopalis communio“ vom 15. September 2018 die Konsultation des Volkes Gottes fest als Sinn der Vorbereitungsphase deklariert (Art. 5 und 6) und die Möglichkeit einer Vorsynode als Instrument institutionalisiert (Art. 8).
Perspektive der Beteiligten beachten
Während im Dreischritt von Sehen – Urteilen – Handeln die Gefahr besteht, dass die Kirche meint, sich ein Bild von Lebenswirklichkeiten machen zu können, ohne die Perspektive der beteiligten Menschen zu beachten, lässt sie diesen im Hören Raum, sich selbst zu artikulieren. Menschen werden als Subjekte behandelt, deren Sichtweise für eine authentische Wahrnehmung der Situation nicht übergangen werden kann.
Unterscheiden und Interpretieren
Der zweite Schritt des Dreischritts gestaltet sich in der ignatianischen Variante als Unterscheiden bzw. als Interpretieren. Zumal der Rekurs auf die Unterscheidung der Geister trägt der Einsicht Rechnung, dass die Deutung des Wahrgenommenen im Licht des Evangeliums ein durchaus schwieriger Prozess ist. Es wäre zu kurz gegriffen, die Kirche nach dem Wahrnehmen eines Lebensfeldes, mit dem sie sich vertraut machen muss, beim Urteilen nun auf dem festen Boden des Eigenen zu sehen. Auch die Unterscheidung dessen, was eine authentisch christliche Deutung der Situation ist, führt in Neuland und bedarf einer spirituellen Haltung.
Wählen
Der größeren Komplexität des Unterscheidens und Erkennens entspricht es, in der Dimension des Handelns auf die zugrundeliegende Wahl hinzuweisen. Bei verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ist eine Wahl zu treffen. Vor allem aber verlangt das Handeln eine vorausgehende Entschiedenheit. Möglicherweise haben Blockaden und Reformstaus auch damit zu tun, dass Optionen und Richtungsanzeigen zwar formuliert, jedoch nicht mit Entschlossenheit gewählt werden.
2. Das Abschlussdokument als Ausdruck des synodalen Geschehens
Betrachtet man das Abschlussdokument der Bischofssynode von 2018 näher, so fällt auf, dass weder der Dreischritt von Erkennen, Interpretieren und Wählen noch die damit verbundene Geschehensfolge der Emmauserzählung stimmig durchgehalten werden. Zwar umschließen die einzelnen Teile sehr unterschiedliche Aspekte, so dass die Diagnose zu pauschal sein mag. Doch sollen die folgenden Beobachtungen das zumindest partielle Recht der Einschätzung aufzeigen und zudem erhellen, inwiefern die Inkohärenzen des Abschlussdokumentes Indiz einer bemerkenswerten synodalen Dynamik ist.
Erster Teil: Erkennen / Zuhören
Das Abschlussdokument fokussiert im ersten Teil auf das Erkennen und näherhin das Zuhören. Die Synode versucht, die Lebenswelten der jungen Menschen zu erkennen (vgl. Nr. 4), und sie tut dies, indem sie ihnen zuhört.
Der Text rekurriert zur Beschreibung solchen Hörens auf das Vorbild Jesu, der sich den Emmausjüngern zugesellt und ihnen auf der gemeinsamen Wegstrecke zunächst ganz einfach zuhört (Nr. 6). Die hörende Kirche will sich hier in die Nachfolge Jesu begeben und auf junge Menschen hören.
Zweiter Teil: Interpretieren
Der zweite Teil hat interpretativen Charakter und stellt – gemäß Nr. 4 – einige Schlüsselperspektiven bereit, um das Thema der Synode anzugehen. Dieser Teil lässt sich am wenigsten auf eine einzige Perspektive resümieren. Teilweise sucht er – den Vorsynoden vergleichbar – die „Jugend“ im Heilsplan Gottes anzuschauen. Damit liegt er im Rahmen dessen, worauf im Dreischritt der mittlere Schritt hinauswill: das Urteilen und Interpretieren im Licht des Glaubens. Großes Gewicht erhält in diesem Teil jedoch das Thema der Unterscheidung im Sinne der Berufungsunterscheidung (Kap. 2–4), womit das Titelthema der Bischofssynode „Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung“ aufgenommen wird. Damit allerdings wechseln im Dreischritt des Gedankengangs die Akteure. Das Erkennen und Hören ist der Synode bzw. der Kirche aufgetragen, während es die jungen Menschen selbst sind, die ihrer Berufung in Unterscheidungsprozessen auf die Spur kommen müssen. Damit befindet sich der Gedankengang auf einer sachlich anderen Ebene als das vorausgehende Hören (und das nachfolgende Wählen).
Angelehnt an die Emmausperikope ist dieser Teil überschrieben: „Es gingen ihnen die Augen auf“, und zwar infolge eines verwandelnden Wortes Jesu (Nr. 58). An wen richtet er es in der Logik des Synodendokumentes? Die Frage lässt sich nicht klar beantworten, doch im Text dürfte prioritär daran gedacht sein, dass Jesus es berufend an junge Menschen richtet. Die Kirche ist in einer begleitenden Rolle beteiligt (vgl. Kap. 3).
Dritter Teil: Wählen
Der dritte Teil wendet sich der Wahl zu. Nun ist bereits im zweiten Teil mehrfach von der Berufungswahl der jungen Menschen die Rede. So ist im dritten Teil eher von jener Wahl die Rede, welche die Kirche zu vollziehen hat. Allerdings bleibt die Auslegung der Emmausperikope hier uneindeutig. Der Rückweg der Jünger nach Jerusalem wird dem Weg verglichen, den die Kirche mit den und für die jungen Menschen geht (vgl. Nr. 115). Im Ganzen beschreibt der dritte Teil jedoch gemäß Nr. 4 die Wahl einer spirituellen, pastoralen und missionarischen Umkehr. Im Dreischritt von Erkennen/Zuhören, Interpretieren und Wählen ist hier also wieder die Kirche die hauptsächliche Akteurin[2].
Dynamik einer Synode
Bei der zurückliegenden Synode fällt somit im Durchgang durch das Erkennen, Interpretieren und Wählen der zweite Schritt aus dem Rahmen. Bei dieser Beobachtung nun geht es nicht darum, die Redakteure des Textes und die Synodenteilnehmer eines unlogischen Denkens zu überführen. Das Kunststück, die verschiedenen Anliegen und naturgemäß disparaten Perspektiven der Synode in einen lesbaren Text zu bringen, verdient Anerkennung. Vor allem aber lassen die Bruchstellen des Textes positiv die Dynamik des Synodenprozesses erkennen.
Zur Dynamik des Synodenprozesses gehört es, eine undifferenzierte Rede von der Kirche „und“ der Jugend zu überwinden. Die Kirche hat ihre Wege mit den jungen Menschen zu gehen (vgl. Nr. 115). Kühn interpretiert könnten in allen drei Teilen Synode/Kirche und Jugend in der Kirche gemeinsam Subjekte des Hörens, des Interpretierens und des Wählens sein. Würde dies in einer synodalen, partizipativen Kirche realisiert, so wäre die hier formulierte Diagnose zu entschärfen.
Die Kirche muss sich ändern
Ein weiterer Faktor des Synodenprozesses ist die wichtige Einsicht, dass das Synodenthema „Jugend“ der Kirche einen Spiegel vorhält und sie auf sich selbst zurückwendet. Kardinal Reinhard Marx formulierte in einer Medienkonferenz, es gehe nicht darum, immer neue Methoden für die Jugendpastoral zu suchen. Vielmehr müsse die Kirche sich ändern. Das heißt: Wer sich auf den Weg gemacht hatte in der Meinung, die Synode werde eine Bestandesaufnahme der Situation junger Menschen machen, um so erfolgreichere Methoden zu entwickeln, muss umdenken lernen. Das Abschlussdokument ist Zeugnis dieses Umdenkens, wenn es im dritten Teil nicht nur von jugendpastoralen Handlungsfeldern spricht, sondern von Grundentscheidungen und Reformen (vgl. Nr. 118), die in der Kirche anstehen. Dass dies gelungen ist, ist bedeutsamer als eine bloß stimmige Logik des Dokumentes.
Misslich dabei ist jedoch die Rückfrage, wie ein solches Wählen von Reform gelingen kann. Im bewährten Dreischritt bereitet die zweite Phase des Urteilens bzw. der Unterscheidung der Geister die Wahl durch einen spirituellen Prozess vor. Dieser zweite Schritt aber ist im Dokument wie schon im Synodenprozess anders ausgerichtet und betrifft nicht hinreichend die „Materie“ der folgenden Wahl. Für die Entschiedenheit der Wahl ist dies misslich. An diesem Punkt sind die Inkohärenzen des Dokumentes lehrreich. Eine Kirche, die auf Reform und Erneuerung aus ist, müsste das Erkennen/Hören und Interpretieren/Unterscheiden so gestalten, dass dadurch die Wahl vorbereitet würde. Ein solcher Prozess wäre zwar schon im Hören sehr unbequem, und es müssten im zweiten Schritt einer aufrichtigen Unterscheidung den kirchlichen Verantwortungsträgern selbst „die Augen aufgehen“. Für eine nachhaltige Wahl wäre dies heilsam. Nicht ohne Grund beobachteten Teilnehmende der Synode, wie schwer sich die Bischöfe mit dem Wählen schwertaten. Dabei weist der „ernsthafte Weg der Umkehr“ (Nr. 118) gerade darauf, dass in einer synodalen Kirche das effektive Wählen nicht den Bischöfe allein überlassen sein kann.
Eva-Maria Faber ist Professorin für Dogmatik im schweizerischen Chur.
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[1] Der Dreischritt lautet im Instrumentum Laboris 2015: Das Hören auf die Herausforderungen im Hinblick auf die Familie – Die Unterscheidung der Geister im Hinblick auf die Berufung der Familie – Die Sendung der Familie heute; im Abschlussdokument 2015: Die Kirche im Hören auf die Familie – Die Familie im Plan Gottes – Die Sendung der Familie. Siehe alle Dokumente auf http://www.vatican.va/roman_curia/synod/index_ge.htm (31.10.2018).
[2] Damit ist im letzten Glied die Dynamik des Dreischritts 2018 besser durchgehalten worden als in den vorausgehenden Synoden, die in den Überschriften des dritten Teils formal die Sendung der Familie und nicht explizit die Sendung der Kirche thematisierten.