Leben in Zeiten des Terrors – ein Kommentar von Christian Bauer
Terror ist der überall und jederzeit mögliche Ausnahmezustand. Und souverän ist, so Carl Schmitt, wer über den Ausnahmezustand verfügt. Terroristen darf man diese uneingeschränkte Souveränität nicht zugestehen. Sie dürfen nicht die Macht bekommen, andere Menschen zu homines sacri zu machen. Homo sacer ist, so eine von Giorgio Agamben aktualisierte alte römische Rechtsfigur, der Mensch im Zustand des nackten Lebens – der aller seiner Würde entkleidete, jenseits aller Rechtsordnungen stehende und auf seine schiere Körperlichkeit reduzierte Einzelmensch. Im Falle eines permanenten Ausnahmezustands, wie er während der tausend deutschen Jahre zwischen 1933 und 1945 herrschte, kann man ihm scheinbar straflos das Leben nehmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die neue deutsche Verfassung durch einen grandiosen, kontrafaktisch formulierten Satz eröffnet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (GG 1). Diese immer wieder und auf verschiedenste Weise angetastete Würde gilt es unter allen Umständen zu bewahren, den Ausnahmezustand unbedingt zu vermeiden: „Eine Gesellschaft, die sich nicht einschüchtern lässt, die Opfer aushält und ihr offenes Leben weiterlebt, ist vom Terror nicht zu besiegen“, so der trotzige Kommentar eines SZ-Journalisten nach den Anschlägen des 11. März 2003 in Madrid. Eine prinzipielle Verletzbarkeit ist der notwendige Preis dieses Zeugnisses einer offenen Gesellschaft. Sie steht damit vor der Herausforderung einer Frage, die Ottmar Fuchs bereits mit Blick auf die Selbstmordattentäter des 11. September 2001 formuliert hatte: „Haben wir auf dem gleichen vitalen Niveau der Hingabe etwas anderes entgegenzusetzen?“
In diesem religionspolitischen Machtfeld gilt es, Religiosität aus christlichen und anderen Motiven säkular einzuhegen. Sedisvakanz ist ein wünschenswerter Dauerzustand im religiösen Herzen des Politischen: „Der leere Stuhl wartet auf den Messias.“ (A. Heller). Lieber keine Religiosität als eine, deren enthemmte „Resakralisierung des Politischen“ (Th. Meyer) massenhaft homines sacri produziert. Im christlichen Glauben ist der Mensch homo sanctus: ein unantastbar heiliger, nichtsakraler Mensch, dessen bloße Existenz bereits die unteilbare Gotteswürde aller anderen offenbart. Eine entsprechende christliche „Desakralisierung“ (M.-D. Chenu) des Religiösen tritt für eine politische ‚Sanktifizierung’ des homo sacer ein – welchem Glauben er auch immer anhängt.
Ein wenig mulmig wird mir dennoch sein, wenn ich demnächst wieder in einen Thalys steige.
(Bild: http://benjaminkanarekblog.com/2015/11/14/je-suis-paris-i-am-paris/)