Der Jesuitenpater Klaus Mertes fordert in einem Beitrag die systematische Aufarbeitung der Homophobie in der katholischen Kirche. Dieser Aufruf kommt zeitgleich mit der Aussage von Papst Franziskus bei seinem Rückflug aus Armenien, dass die Kirche Homosexuelle um Vergebung bitten sollte.
Der Jesuitenpater Klaus Mertes, der im Januar 2010 durch seinen Brief an die ehemaligen Schüler des Berliner Canisius-Kollegs die öffentliche Diskussion um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland angestoßen hatte, hat in einem Beitrag für den 11. Band der an der Universität des Saarlandes herausgegebenen wissenschaftlichen Zeitschrift „theologie.geschichte. Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte“ eine systematische Aufarbeitung der Homophobie in der Katholischen Kirche gefordert.
„Dass die Kirche sich nicht aufraffen kann, grundlegende Menschenrechte für homosexuelle Menschen einzuklagen, widerspricht dem Evangelium.“
Mertes schreibt: „Dass die Kirche sich nicht aufraffen kann, grundlegende Menschenrechte für homosexuelle Menschen einzuklagen, dass sie es vielmehr zulässt, wenn sogar hohe kirchliche Repräsentanten um Verständnis für kulturelle Traditionen werben, in denen homosexuelle Menschen mit dem Tod bedroht werden, widerspricht dem Evangelium.“
Insbesondere der Katechismus der katholischen Kirche enthalte nach wie vor eine große Anzahl homophober Aussagen. Offen diskriminierend werde es, so Mertes, „wenn der Katechismus Homosexualität als ’schlimme Abirrung‘ bezeichnet und dazu als biblischen Beleg auf Gen 19,1-29 verweist.“ Dabei gehe es in dieser Bibelstelle um sexualisierte Gewalt und nicht um Homosexualität.
Selbst die Debatte um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche werde benutzt, um einen „Zusammenhang von Homosexualität und sexuellem Missbrauch“ herzustellen und dadurch die „homophobe Argumentationsstrategie“ weiter zu tradieren, “ die in der katholischen Kirchenleitung viele Jahre lang die strategische Antwort auf die Missbrauchsskandale darstellte: ‚Entfernt die Schwulen aus dem Klerus, dann haben wir keine sexuellen Übergriffe mehr‘.“ Dabei hätten Untersuchungen der amerikanischen Bischofskonferenz eindeutig das Vorurteil widerlegt, dass „Priester mit einer homosexuellen Identität eher Kinder sexuell missbrauchen als Priester mit einer heterosexuellen Orientierung“.
„Homophobie erlebt Diskurs als bedrohlich und schlägt zurück, statt zuzuhören und zu argumentieren.“
Die heftige Ablehnung, auf die der Bericht eines australischen Ehepaars über ihren in homosexueller Partnerschaft lebenden Sohn vor der römischen Bischofssynode im Jahr 2014 gestoßen sei, habe einmal mehr das „Gesicht der Homophobie“ offenbart. Die Homophobie , so Mertes, „will den Diskurs nicht. Das ist ihr Problem. Denn der Diskurs ist wie Paste, die man nicht mehr in die Tube zurückgedrückt kriegt. Homophobie erlebt Diskurs als bedrohlich und schlägt zurück, statt zuzuhören und zu argumentieren.“ Der Diskurs werde aber nicht durch das „‚Sprechen über‘ in der dritten Person Singular“ ausgelöst, sondern nur durch „das Sprechen in der ersten Person Singular (oder Plural)“.
Mertes schließt: „Die von Homophobie Getriebenen halten sich für Opfer, obwohl sie Täter sind. Die Aufarbeitung ist so schwer, weil der homophoben Verblendung eine Wahrnehmungsdifferenz zugrunde liegt, die nur durch eine grundlegende metánoia (Mk 1,13) im eigenen Selbstverständnis aufgelöst werden kann. Die Macht, vor der die Homophobie kapituliert, ist die der Wirklichkeit, zur Sprache gebracht in der ersten Person Singular. Das sich aussprechende ‚Ich‘ ist der kleine David, das den mit viel Ressentiment, Ideologie und wortreichen Rationalisierungen gepanzerten Goliath zur Strecke bringt.“
Der ganze Artikel von Klaus Mertes, Überlegungen zur Aufarbeitung von Homophobie in der katholischen Kirche, findet sich hier: http://universaar.uni-saarland.de/journals/index.php/tg/article/view/841/885.
Klaus Mertes ist ein deutscher Jesuit, Gymnasiallehrer, Autor und Chefredakteur. Seit September 2011 ist er Direktor des Kollegs St. Blasien.
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