Ein Projektteam von Theologinnen aus dem Kreis der Jungen AGENDA ist auf der Suche nach Erzählungen von Menschen, die die akademische Theologie verlassen haben. Nach einer ersten Veröffentlichung im September 2021 unter dem Motiv „unsichtbares Scheitern“ kam es zu einer partiellen Neuformulierung der Projektskizze; inzwischen läuft das Projekt unter dem Titel „Leerstelle“. Mehrere Erzählungen sind dem Team daraufhin zugegangen, die erste wurde im April 2022 veröffentlicht. Die Autorin dieses neuen Beitrags möchte anonym bleiben.
Es gibt aus meiner Sicht verschiedene Einwände gegen eine Karriere in der Wissenschaft und somit auch in der Theologie: das Hangeln von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag ohne die Garantie, dauerhaft in der Wissenschaft Fuß fassen zu können; die begrenzte Anzahl an Stellen und daher die notwendige Bereitschaft, jede Lehrstuhlvertretung und jeden Ruf anzunehmen, egal in welchem Teil der deutschsprachigen Welt; und damit verbunden auch die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. All diese Vorbehalte verblassen jedoch in meinem Fall angesichts zweier Gegebenheiten, die es mir unmöglich machen, die zuvor genannten Einwände gegen alle Vorteile und Bestrebungen abzuwägen und eine Karriere in der Wissenschaft ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Und das obwohl ich derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem theologischen Lehrstuhl sowie an einer Promotionsschrift arbeite.
Studienleistungen nachholen – nicht denkbar neben Arbeit am Lehrstuhl, Lehre, Dissertation und Familie
Der erste Punkt, der mir eine Professur zwar nicht theoretisch, aber sehr wohl praktisch verunmöglicht, ist mein Studienabschluss: Ich habe Theologie »nur« auf gymnasiales Lehramt studiert – zwar erweitert durch einen Bachelor- sowie einen Masterabschluss, aber eben keinen Magister theologiae. An meinem Universitätsstandort kann ich daher zwar problemlos einen Dr. phil. erlangen; um einen Dr. theol. zu erwerben, müsste ich jedoch Studienleistungen in den theologischen Fächern, die in meinem eigenen Studium nicht abgedeckt wurden, nachholen und mich in diesen zudem im mündlichen Examen prüfen lassen. Neben meiner Arbeit am Lehrstuhl, der Lehre, der Dissertationsschrift und meiner Familie, die neben meinem Mann und mir auch unsere zwei kleinen Kinder einschließt, ist das für mich undenkbar.
Dabei ist es ja nicht so, dass ich insgesamt weniger studiert hätte als ein Magister bzw. eine Magistra theologiae – die Fächer unterscheiden sich nur zum Teil. Ich habe also nicht weniger, sondern partiell andere Kompetenzen erworben. Besonders mein erziehungswissenschaftliches Studium der Pädagogik, Fachdidaktik sowie Psychologie hilft mir in meinem Berufsalltag bei der Planung und Durchführung universitärer Lehrveranstaltungen in großem Maße. All dies wird mir im Hinblick auf einen Dr. theol. jedoch nicht positiv angerechnet, sondern der Fokus liegt allein auf meinen vermeintlichen fachlichen Defiziten.
„nur“ standesamtlich verheiratet
Der zweite Punkt, der jeglichen potentiellen Ambitionen meinerseits auf eine Karriere in der Theologie den Riegel vorschiebt, ist mein Familienstand: Ich bin »nur« standesamtlich verheiratet. Mein Mann ist nicht getauft und zu Beginn unserer Beziehung war er nicht bereit, sich kirchlich trauen zu lassen. Inzwischen würde er dies mir zuliebe vermutlich tun, doch sträubt sich einiges in mir dagegen.
Bevor ich meine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin antreten konnte, musste ich ein Pfarramtliches Zeugnis einholen. Um dies zu erhalten, lud mich der zuständige Pfarrer zum Gespräch vor. Gleich zu Beginn erkundigte sich der Pfarrer nach meinem Familienstand – „ledig“, antwortete ich. „Haben Sie Kinder?“, lautete die nächste Frage, was ich ebenfalls wahrheitsgemäß verneinte. Dass ich seit mehreren Jahren mit meinem Freund (und heutigem Ehemann) zusammenwohnte und die Pille wenige Wochen zuvor abgesetzt hatte, da wir unsere Familienplanung aktiv vorantreiben wollten, verschwieg ich. Und so erhielt ich mein Pfarramtliches Zeugnis sowie daran anschließend die bischöfliche Lehrerlaubnis, konnte meine Stelle an der Universität antreten und wurde quasi zeitgleich schwanger. Ich nahm circa ein halbes Jahr Elternzeit, kehrte dann auf meine Stelle zurück und als unser Kind etwa ein Jahr alt war, heirateten mein Mann und ich (standesamtlich). Inzwischen haben wir erneut Nachwuchs bekommen.
das subtile Gefühl aufgrund meines Familienstandes angreifbar zu sein
Das Kollegium an der Universität gratulierte – sowohl zu den Geburten wie auch zur Hochzeit, beides war durch den Babybauch sowie meine Namensänderung auch nicht zu übersehen – und ich wurde nie gefragt, ob ich denn auch kirchlich verheiratet sei. Für meine Kolleginnen und Kollegen spielt das offensichtlich keine Rolle und dafür bin ich dankbar. Denn auch wenn ich nunmehr seit einigen Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeite, begleitet mich beständig das subtile Gefühl aufgrund meines Familienstandes angreifbar zu sein. Ich weiß nicht, ob mir die Lehrerlaubnis zum jetzigen Zeitpunkt entzogen werden könnte, und auch nicht, ob ich dann meine Stelle verlieren würde. Ich traue mich auch nicht, explizit danach zu fragen, um keine Aufmerksamkeit auf mich und meine Ehe zu ziehen. Um keine schlafenden Hunde zu wecken, verfasse ich auch diesen Text vorsichtshalber anonym.
Neben diesem Gefühl der Prekarität verspüre ich aber auch einen gewissen Trotz und Zorn: Warum habe ich den Eindruck, meinen Familienstand verstecken zu müssen beziehungsweise sollte dies tatsächlich tun? Warum spielt meine Ehe für meine Arbeit überhaupt eine Rolle? Auf welcher Grundlage können sich alleinstehende Kleriker ein Urteil über meinen Partner, meine Ehe und mein Familienleben erlauben?
Warum spielt meine Ehe für meine Arbeit überhaupt eine Rolle?
Auch auf die Gefahr hin, arrogant zu klingen: Ich bin extrem gut in meinem Job und mache ihn sehr gerne; ich hatte im Studium nur hervorragende Noten, mache gute Lehre, arbeite zuverlässig und effizient. Dennoch will mich die Kirche nicht haben, da meine Lebensführung angeblich nicht den Grundsätzen der katholischen Lehre entspricht. Das verletzt mich – und zwar ganz persönlich und umso mehr, da neben meiner fachlichen Eignung meine Familie und Ehe als defizitär abgetan werden. Als könnte ich die Kirche im Seminarraum oder Klassenzimmer nicht angemessen repräsentieren.
Es ist nicht so, dass ich unbedingt Professorin werden möchte und selbst der Beruf der Religionslehrkraft ist meinem Studium zum Trotz nicht mein dringlichster Wunsch. Dennoch schmerzt es zu wissen, dass ich diesbezüglich keine Wahl habe und dass mir ausgerechnet meine Ehe und meine Familie, die mir doch das wichtigste im Leben sind, negativ ausgelegt werden. Beinahe zynisch nehme ich vor diesem Hintergrund die Verstrickungen und Vertuschungen der Kirche im Zuge des sog. Missbrauchsskandals auf, auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass sich beides nicht direkt vergleichen lässt: Wenn etwa Erzbischof Heße aufgrund von mehreren nachgewiesenen Pflichtverletzungen seinen Rücktritt anbietet, fordert ihn der Papst auf, seine Sendung im Geist der Versöhnung fortzuführen – wenn ich mit dem Vater meiner Kinder standesamtlich verheiratet bin, widerspricht dies den Grundsätzen der katholische Kirche in einem solchen Maße, dass ich nicht Theologie oder Religion unterrichten darf.
Für den Bischof gilt nach Pflichtverletzung, dass er seine Sendung im Geist der Versöhnung fortzuführen hat.
Und so sehe ich für mich nur eine Option: weiter unter dem Radar fliegen und als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig sein, bis ich hoffentlich meine Dissertationsschrift fertig gestellt und den Dr. phil. erlangt habe – um mich dann nach einem Arbeitsplatz außerhalb des Einflusskreises der katholischen Kirche umzusehen.
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Sammlung der Texte: Projektteam der Jungen AGENDA. Die Junge AGENDA ist ein Netzwerk junger katholischer Theologinnen in AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.
Das Projekt ist nicht am Ende: Wenn sich Personen angesprochen fühlen, sind weitere Zusendungen an oder Kontaktaufnahmen über jungeagenda@agenda-theologinnen-forum.de herzlich willkommen! Die Anfragen werden vertraulich behandelt.
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