Im biblischen Buch Ijob kommen Ijobs Freunde nicht gut weg. Sie versuchen, Ijob den Grund und Sinn seines Leides zu erklären – und scheitern. Trotzdem helfen sie Ijob weiter, findet Elisabeth Birnbaum und versucht eine Rehabilitation.
Das biblische Ijob-Buch beschreibt das Ringen eines Menschen, den ohne eigenes Verschulden größtes Leid trifft. Seine Freunde eilen, ihm zu helfen, doch ihre Versuche, Ijobs Leid angemessen zu begründen und ihren Freund damit zu trösten, scheitern. Am Ende des Buches entbrennt sogar Gottes Zorn gegen sie, „denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Ijob“ (Ijob 42,7). Und tatsächlich: Die Gründe, die sie als Ursache für Ijobs Leid vorbringen, stehen zwar in bester weisheitlicher Lehrtradition, erweisen sich aber im Fall Ijob als unzutreffend und damit kränkend.
Ihr habt nicht recht von mir geredet (Ijob 42,7)
Kontraproduktive Hilfe?
Das Ijobbuch stellt von Beginn an wiederholt und unmissverständlich fest, dass Ijob der gerechteste und gottesfürchtigste Mensch auf Erden ist. Gott selbst sieht das so. Erst auf die Intervention des Satans wird Ijobs Frömmigkeit auf ihre Uneigennützigkeit hin geprüft und Ijob in größtmögliches Leid gestürzt. Besitz, Ansehen, Gesundheit, Kinder – alles wird ihm genommen. Für Ijob bricht seine Welt und vor allem sein Gottesbild zusammen.
Die Freunde kommen und beginnen mit den allgemein üblichen Erklärungen für Ijobs Leid. Gefangen in der Schuldfrage müssen sie, um Gottes Gerechtigkeit zu verteidigen, den Fehler bei Ijob suchen. So vermuten und behaupten sie immer unverbrämter angeblich begangene Sünden und gröbstes soziales Fehlverhalten Ijobs. Ijob weist das mit steigender Vehemenz zurück, weiß er doch um seine Unschuld.
Üblicherweise schließt man sich der Meinung Ijobs an und bewertet die Freunde als „leidige Tröster“ (Ijob 16,2), als starre Vertreter des klassischen Tun-Ergehen-Zusammenhangs ohne Empathie und Einfühlungsvermögen. Ist also ihre Hilfestellung kontraproduktiv?
Ähnliches habe ich schon viel gehört; / leidige Tröster seid ihr alle (Ijob 16,2) – ?
In meinen Augen nicht, im Gegenteil behaupte ich: Ohne seine Freunde wäre Ijob nicht so gut durch die Krise gekommen. Die Freunde haben vielleicht nicht alles, aber sicherlich vieles richtig gemacht. Warum?
Freunde, die kommen, um zu trösten
Zunächst: Sie sind Freunde, die, als sie von Ijobs Leid erfahren, von weit her kommen (Ijob 2,11), mit der ausdrücklichen Intention, Ijob zu trösten. Sie kommen und sie bleiben. Sie sagen erst einmal tagelang gar nichts, sondern setzen sich schweigend zu Ijob. Sieben Tage lang. Bis Ijob selbst zu reden beginnt. Sie geben ihm damit Zeit und Nähe und die Gelegenheit, selbst zu entscheiden, wann und was er sagen möchte.
Die Freunde helfen Ijob – wenn auch nicht auf inhaltlicher Ebene
Ein zweites: Als Ijob endlich spricht, stimmt er eine große Klage an, in der er sein Dasein verflucht und sich den Tod wünscht. Vor allem sehnt er sich danach, von Gott vergessen zu werden. Darauf reagieren die Freunde und sprechen zu ihm von einem guten Gott, der gerecht ist und nur die Schuldigen leiden lässt. Ijob kann das nur als Hohn empfinden. Er fühlt sich von Gott selbst grundlos angegriffen (was ebenfalls nur teilweise zutrifft) und beteuert seine Unschuld. Doch die Freunde versuchen weiter, ihm Erklärungen anzubieten. Erklärungen, die nicht Gott die Schuld zuschieben, sondern die Überzeugung in sich tragen, dass Gott ein gerechter Gott ist. Sie helfen Ijob damit zwar auf der inhaltlichen Ebene nicht, im Gegenteil: Was sie sagen, trifft immer weniger auf Ijob zu. Doch sie helfen ihm auf einer anderen Ebene.
Aufrüttelnder Widerspruch
Einerseits reizen die Freunde Ijob mit ihren Reden zum Widerspruch und reißen ihn dadurch aus seiner destruktiven Apathie. Andererseits bieten sie ihm mit ihrem unerschütterlichen Glauben an Gottes Güte einen Reibebaum, an dem Ijob seinen langsam aus ihm herausbrechenden Zorn, seine tiefe Enttäuschung und seine schwere Irritation abarbeiten kann. Und – noch einmal – sie bleiben bei ihm und hören sich seine Wut und seine oftmals auch über das Ziel schießenden Vorwürfe an Gott an.
So kann Ijob nach und nach sein inneres Exil verlassen und entwickelt allmählich eine neue, konstruktive Hoffnung: mit Gott ins Gespräch zu kommen, seine Unschuld vor ihn zu tragen und von ihm gehört zu werden. Neuer Lebensmut und neue Kraft entstehen in ihm durch diesen neu erwachenden, innigen Wunsch.
Und die drei Freunde[1] bleiben weiterhin bei ihm. Obwohl sich Ijobs Zorn nun gegen sie wendet. Je mehr Ijobs Wunsch Formen annimmt, desto mehr kommt die Diskussion mit den Freunden zum Erliegen. Der dritte der drei Redegänge endet, ohne dass der dritte Freund noch etwas gesagt hätte.
Ijob seinen Weg gehen lassen
Doch auch das muss nicht zwingend negativ gesehen werden. Denn auch wenn die Frage nach dem Leid nicht diskursiv beantwortet wird und das Gespräch darüber scheitert, haben die Freunde erreicht, dass Ijob nun seinen eigenen, ganz persönlichen Weg durch das Leid findet. Ihr Schweigen beinhaltet daher wohl auch die Erkenntnis, dass Ijob ihres Zuspruchs gar nicht mehr bedarf.
Nicht recht reden und doch helfen
Die Freunde haben „nicht recht“ von Gott „geredet“. Sie haben jedoch Ijob durch ihre treue Anwesenheit, durch ihre beharrlichen Glaubensüberzeugungen, ihr provokantes Dagegenhalten zu Ijobs Klagen und Fragen und durch ihr Ausharren an Ijobs Seite den Weg eröffnet, seinen eigenen Weg zu finden. Seinen eigenen, neuen, vertieften Weg zu Gott. Und das halte ich für eine gute Nachricht – für Leidende, die die Erfahrung machen dürfen, dass ihre Freunde bei ihnen bleiben, auch wenn sie klagen, wüten, schreien und anklagen. Aber auch für Menschen, die Leidende begleiten. Sie dürfen hoffen, auch dann zu helfen, wenn sie nicht die richtigen Worte finden.
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Elisabeth Birnbaum, Wien, ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.
[1] Eine weitere Person, Elihu, der im Anschluss an das Gespräch noch vier Reden hält (Ijob 32–37) wird hier ausgeklammert. Es fehlt jede Bezugnahme auf die anderen und auch jede Reaktion auf diese Reden, sei es von den anderen drei Freunden, sei es von Ijob. Die Reden werden meist als späterer Einschub und als retardierendes Moment bewertet.
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