Der Benediktiner und Bestseller-Autor Anselm Grün (Auflage: 25 Millionen!) und der Münsteraner Professor für Islamische Philosophie und Mystik, Milad Karimi, haben zusammen ein Buch über Spiritualität geschrieben. Katrin Visse hat es gelesen.
Es ist ein leises und poetisches Buch über beider Glauben geworden, dessen theologischer Gehalt viel Nachdenkenswertes und Diskussionswürdiges bietet. Im größten Teil des Buches loten die Autoren „Horizonte der Spiritualität“ (Maria, Umgang mit der Schrift, Pilgerschaft, Toleranz, die Frage nach dem Leid u.v.a.) aus. Je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr wird eine Erfahrung deutlich, die am Ende auch artikuliert wird: „Sobald die Frage nach Gott ins Zentrum rückt, tritt das Fremde im anderen zurück.“ (269)
Benennung von Stolpersteinen
Vor dem eigentlichen Gespräch werden erst knapp sogenannte „Stolpersteine“ nicht etwa aus dem Weg geräumt, sondern benannt und erläutert. Es sind für Anselm Grün, der stellvertretend „für Christen“ fragt: Das Gottesbild der Muslime, das koranische Offenbarungsverständnis, Heil und Erlösung, wer den wahren Islam (hier ohne Anführungsstriche!) vertritt, Religion und Gesellschaft und – natürlich – die Gewaltfrage. Umgekehrt fragt Milad Karimi „für Muslime“ ebenso nach der Trinität, der Erbsünde, der Gewaltgeschichte und der gesellschaftlichen Rolle des Christentums und danach, wer für das Christentum sprechen kann (und warum gerade Dogmen dies zu tun beanspruchen), warum „der Herr aller Welten Mensch, genauer: ein Mann geworden ist“ und ob die Menschwerdung Gottes nicht auch eine Veränderung in Gott bedeute. Allein für die Fragen möchte man danken.
Das Gespräch mit Andersgläubigen hilft, die eigene Position nochmal anders und möglicherweise auch klarer zur Geltung zu bringen.
Neue Worte, um das Eigene dem Anderen zu erklären
Eine der Stärken des Buches ist es, dass die Autoren nach Formulierungen ringen müssen, um ihre eigene Theologie so zu erklären, dass sie der andere gut verstehen kann. So erklärt Anselm Grün die nicht nur für MuslimInnen schwer zu greifende Trinität daher wie folgt: „Das Bild des dreifaltigen Gottes will sich widerspiegeln im Bild des Menschen, der sich in der Tiefe seiner Seele für Gott öffnet und der sich zugleich in die Welt senden lässt, damit er diese Welt mit göttlicher Liebe gestaltet.“ (S. 71) So wird deutlich, dass das Gespräch mit Andersgläubigen hilft, die eigene Position nochmal anders und möglicherweise auch klarer zur Geltung zu bringen. Der „Durchgang durch das Kreuz“ sei im Koran keine „theologische Notwendigkeit“ (95), legt Karimi dar, und genau das regt Grün zum präzisierenden Widerspruch an: Notwendig ist hier gar nichts! Gott vergibt, weil er will, und darüber hinaus will er sich auch noch selbst hingeben. (99ff.) Eher en passant finden sich hier auch Aussagen, die noch weitere theologische Diskussionen bedürften, wie zum Beispiel Grüns Anerkennung Mohammads als Propheten: „Wenn wir den alttestamentlichen und den paulinischen Begriff des Propheten betrachten, dann können wir ChristInnen auch Menschen außerhalb des Christentums als Propheten bezeichnen, also auch Mohammed in diesem Sinn verstehen: als einen Mahner, der uns auf die absolute Wirklichkeit Gottes hinweist.“ (S. 85)
Gläubiges Staunen
Dabei gibt es durchaus nicht nur Harmonie und Unterschiede werden klar benannt: die Kreuzigung Jesu und seine Gottesssohnschaft und Göttlichkeit benennt Karimi klar als vom koranischen Jesus verschieden. Doch darauf folgt ein schönes Bekenntnis: „wie unmöglich es mir auch (…) erscheint, Gott im Antlitz eines Menschen zu erblicken, der selbst das Kleid der Endlichkeit getragen hat, so sehr bin ich berührt von dem Gedanken, dass Gott mein Leid, meinen Schmerz und meine Klage auf sich genommen hat, um mich zu tragen, zu trösten und zu heilen, dass nicht ein anderer, sondern Er selbst Mensch unter Menschen geworden ist, dass Er im Menschen Jesus den Weg ans Kreuz gegangen ist. Das kann ich nicht glauben, aber das ist auch kein Unglaube, der sich mir einstellt. Es ist vielmehr ein gläubiges Staunen, das mich als Muslim bewegt und zugleich in Hochachtung zurücklässt.“ (S. 95f.) Man darf diese Formulierung betrachten als ein muslimisches Geschenk an sein christliches Gegenüber. Selten ist aus muslimischer Feder so prägnant und empathisch der Kern dessen, was dieses Christentum ausmacht, formuliert worden, und nicht zufällig greift Karimi hier die Formulierung „Mit Hochachtung“ auf, mit der auch Nostra Aetate (1965) eine neue christliche Haltung gegenüber MuslimInnen begründet.
ChristInnen wie MuslimInnen beziehen sich – in unterschiedlicher Weise – auf denselben Gott.
Geistliche Freundschaft als Grundlage für das Gespräch
Die beiden machen so in ihrem Buch vor, dass man eine andere Religion wohl am tiefsten und besten erfassen kann, wenn man sich auf einen Gläubigen aus dieser Religion einlässt – so weit, dass eine „geistliche Freundschaft“ entsteht. Ohnehin bezweifelt Karimi nicht, dass es derselbe Gott ist, auf den sich beide in unterschiedlicher Weise beziehen: „Diese Offenbarung Gottes, die wir Muslime im Koran und die die Christen in der Selbstoffenbarung Gottes in der Person Jesu erblicken, versprechen dasselbe: einen Weg für das Eindringen Gottes in unser Leben.“ (S. 261)
Der Leser kann einen Teil dieser Freundschaft erahnen, als Anselm Grün zunächst den geistlichen Kampf als Weg zu Gott und dann Mönche als Athleten beschreibt, die mit den Leidenschaften ringen (113). Milad Karimi greift dieses Bild sofort für den Propheten Muhammad auf (116).
Es ist der Verdienst des Verlegers Rudolf Walter, dass er das Potenzial dieser Freundschaft erkannt hat und die beiden Liebhaber des Glaubens – trotz eines Altersunterschiedes von 34 Jahren – zusammengebracht hat. Daraus entstanden ist ein Buch, dem zunächst viele LeserInnen zu wünschen sind, dann aber: Menschen, die es den beiden nachtun.
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Zur Rezensentin: Katrin Visse ist Referentin für Islam und Theologie an der Katholischen Akademie in Berlin.
Rezensiertes Werk: Anselm Grün/Milad Karimi: Im Herzen der Spiritualität. Wie sich Muslime und Christen begegnen können. Herausgegeben von Rudolf Walter. Freiburg, Verlag Herder 2019. ISBN: 978-3-451-03131-1
Beitragsbild: Katrin Visse