Seit vielen Jahren begleitet mich ins Neue Jahr ein Text von Rose Ausländer (aus: Wieder ein Tag aus Glut und Wind. Gedichte. 1980-1982 (=Band 6, Gesamtausgabe), S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1986, S. 69 ), geschrieben mit Anfang 80, im Altenheim in Düsseldorf: „Im neuen Jahr“
„Im neuen Jahr
grüße ich
meine nahen und
die fremden Freunde“
Rose Ausländer kam als Rosalie Beatrice Ruth Scherzer am 11.5.1901 in Cernowitz in der Bukowina in Österreich-Ungarn zur Welt.
1921 wanderte sie zusammen mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer in die USA aus, sie heirateten 1923, 1930 kam es zur Scheidung.
1931 kehrte sie zur Pflege der kranken Mutter nach Czernowitz zurück, beruflich war sie als Lyrikerin, Journalistin, Übersetzerin und Englischlehrerin tätig.
„grüße die
geliebten Toten
grüße alle
Einsamen“
Als Jüdin überlebte sie die Belagerung Czernowitz durch die Nationalsozialisten, sie überlebte das Ghetto, die Zwangsarbeit.
Nach dem Krieg lebte sie in den USA und in Deutschland, die letzten Jahres ihres Lebens verbrachte sie im Nelly-Sachs-Haus, dem Altenheim der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, wo sie am 3.1.1988 starb.
„grüße die Künstler
die mit
Worten Bildern Tönen
mich beglücken“
Die Freunde, die Verstorbenen, die Einsamen und die Künstler – eine wunderbare Verbindung von Menschen.
„grüße die
verschollenen Engel
grüße mich selber
mit dem Zuruf
Mut“
Die „verschollenen Engel“ – vielleicht begleiten sie im Neuen Jahr.
Auf jeden Fall: „grüße mich selber“.
Das wünsche ich Ihnen für 2018: Mut.
Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Pädagogische Psychologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Photo: Rainer Bucher