Berenike Jochim-Buhl ist schwanger. Was das alles auslöst, was ihr an Erwartungen und Kommentaren begegnet und wie sie sich durch dieses neue normative Dickicht durchschlägt, das liest sich wie eines der letzten verbliebenen Abenteuer.
„Und, isch bald soweit?“ Der Barista einer italienischen Cafébar am Bahnhof lächelt meinen Bauch an. Bisher beschränkte sich unsere Kommunikation auf „einen koffeinfreien Cappuccino in mittlerer Größe, bitte“ – „macht 3,50 €“. Ich bin schwanger in der 34. Woche und heute ist mein letzter Arbeitstag vor dem Mutterschutz.
Lange Zeit hat man mir die Schwangerschaft nicht angemerkt, doch seit die Kugel nicht mehr zu übersehen ist, bin ich für viele nur noch Bauch. Gebenedeit die Frucht meines Leibes. Wobei – eher der Leib, die umgebende Schale, als die Frucht selbst.
Ein Bauch schiebt sich ins Blickfeld
Der Bauch einer offensichtlich Schwangeren scheint als Irritation und positive Unterbrechung des Alltags zu funktionieren. Er schiebt sich ins Blickfeld, fordert die Mitmenschen zu Kommentaren, Reaktionen, zur Kontaktaufnahme heraus. Zumeist sind das positive Reaktionen oder zumindest Situationen, die unter „nett gemeint“ abgespeichert werden können. Regelrecht erleichtert wirken Fremde, wenn sie endlich mal Kommunikation zu etwas positiv, hoffnungsvoll, freudig Konnotiertem machen können. Denn sehen und wahrnehmen können wir gar nicht ohne einen Rattenschwanz an Assoziationen, an Vorwissen und Vorurteilen, ohne unsere ganz subjektive Brille – das wissen wir spätestens seit Merleau-Ponty. Doch wo wir uns bei anderen augenscheinlichen äußerlichen Merkmalen und Auffälligkeiten zurückhalten müssen – wildfremde Menschen auf ihre Gehbehinderung, eine riesige Narbe oder eine Pigmentstörung anzusprechen, ist den meisten dann doch zu intim oder heikel – bricht es beim Anblick des Kugelbauchs aus vielen heraus.
Ihnen eine geschmeidige Geburt!
Von verschwörerischen Blicken und solidarisch-freundlichem Anlächeln, über das ungefragte Bauchtätscheln bis hin zu unterschiedlichsten Wünschen und Kommentaren („ich wünsche Ihnen eine geschmeidige Geburt!“, „au, da knallt’s bald!“, „meinen Segen hat es!“ – inklusive Kreuzzeichen über der Babykugel): mein Bauch und ich haben schon viel erlebt. Dabei scheint nicht nur der Bauch und wie dieser sein sollte, genormt zu sein, sondern auch das Babybauchgespräch als solches.
Zunächst war mein Bauch zu klein. Freunde wiesen mich auf andere Schwangere am Nachbartisch hin: „So muss ein schwangerer Bauch aussehen! Nicht so wie bei dir, wo man ja gar nichts sieht.“ Hatten wir uns dann einige Wochen nicht gesehen, wurde zunächst der Bauch mit einem ungläubigen Juchzer oder erstaunten Ausruf begrüßt: „Mensch, jetzt aber, da ist ja ganz schön was gewachsen, ey!“
Wo verlaufen die Grenzen der Intimität?
Das Gattungsformular des Babybauchgesprächs sieht die immer gleichen Fragen und Themen vor, auch die Antworten müssen natürlich dazu passen. So provoziert der Bauch das unbändige Interesse am Geburtstermin, gleich gefolgt vom Geschlecht des Kindes. Gerne auch in Kombination mit einem fröhlichen Rätselraten in Verbindung mit der Größe, Form oder dem Sitz des Bauchs. „Also wenn der Bauch so spitz ist, dann wird es sicher ein Junge!“ Ist klar, da muss ja dann auch was spitz herausragen. Zum Bauch kann jede*r etwas sagen. Schließlich sind wir alle zumindest mal aus einem Bauch herausgekommen. Allein diese Tatsache, geboren zu sein, kann offenbar Philosophien des Alltags hervorrufen, wie schon die Fantastischen Vier sie besingen: „Du wirst geboren … Wo gehen wir hin? Wo kommen wir her? Was ist der Sinn? Ist da noch mehr? …“
Wie oft beim Smalltalk geht es nicht darum, wie es einem als Schwangere wirklich geht. Von Körperlichkeiten, die über den schönen, prallen, zu großen, zu kleinen Bauch hinausgehen, will ja niemand etwas wissen. Wobei die Grenzen der Intimität bei solchen Gesprächen eher von den anderen gezogen werden. (Ich wollte ganz sicher nicht wissen, wie der mir bis vor fünf Minuten unbekannte Vermessungstechniker damals seiner Frau unter Wehen 20 Stunden den Daumen in den Rücken gedrückt hat.)
Wichtig: Du musst dich freuen
Und ganz wichtig: du musst dich freuen. Du musst dich wahnsinnig freuen und es wird alles ganz arg wunderbar. Was für eine frohe Botschaft, welch ein schönes Ereignis!
Ich selbst habe das Glück, eine relativ unkomplizierte Schwangerschaft erleben zu dürfen und mich auf ein Wunschkind zu freuen. Aber was ist mit den Frauen, die nicht „guter Hoffnung“ sein können? Mit Frauen, die ungewollt schwanger sind, die voller Sorgen und Ängste sind, denen es körperlich schlecht geht? Was ist mit Frauen, die ein Kind aus einer zerbrochenen Beziehung erwarten oder ein Kind, das aus einer schrecklichen Gewalttat heraus entstand? Was ist mit denen, die ein Kind mit schwerer Behinderung austragen und deren Gedanken vermutlich um andere Dinge kreisen als es ein Schwangerbauch-Smalltalk aushält? Am Bauch sieht man es den Frauen nicht an.
Früher: Schwangerschaft als peinliches Zeugnis von Sexualität.
Denken wir eine Generation zurück, war der Bauch nicht im Mittelpunkt. Eher verschämt wurde er unter weiter, wallender Umstandsmode versteckt. Man flüsterte sich zu „Du, die Soundso ist in anderen Umständen!“ Der Bauch einer Schwangeren war peinlich, körperliches Zeugnis von Sexualität.
Heute sind wir im omnipräsenten Inszenierungszwang der Postmoderne angelangt. Von hautenger, sexy Schwangerschaftsmode (auf Instagram mit #stylethebump gefeiert) über den fast obligatorischen Gipsabdruck oder das erotische Bauch-Fotoshooting, deren Ergebnisse dann stolz als Kunstwerke ausgestellt werden, bis hin zu Bauchtanz für Schwangere: Es gibt nichts, was es im bunten Performanz-Bauchzirkus nicht gibt. Und der Druck, den perfekten Kugelbauch ohne Dehnungsstreifen zu präsentieren wird dann nach der Geburt vom umgehend erwarteten superschlanken, schnell wieder in Shape gebrachten #afterbabybody abgelöst. Die Medien stürzen sich auf jeden Bauch: Gefühlt wird mehr über Meghan Markles royale Babykugel berichtet als über den Brexit.
Schwanger in der Sektkellerei
Es hat natürlich auch seine positiven Seiten, wenn der Bauch von anderen gesehen wird: Es werden Sitzplätze, ein Glas Wasser oder Hilfe beim Tragen schwerer Sachen angeboten. Doch diese besondere Fürsorge kann auch schnell in übergriffige Entmündigung umschlagen: Im 9. Monat schwanger waren mein Bauch und ich mit Kolleginnen bei einer Sektkellerei-Führung. Damit verbunden war auch die Verkostung von dreierlei Sektsorten. Als ich so vor meinem Mineralwasser saß, das mir verschwörerisch als Alternative kredenzt wurde, bat ich beim Ausschenken um einen kleinen Schluck Sekt zum dran Nippen. Mit entsetztem Blick schwang die Dame der Sektkellerei ihre Moralkeule über mir. „Nein, also das kann ich auf keinen Fall machen! Ich bitte Sie, machen Sie das nicht! Das wäre so schade!“ Was genau so schade wäre, hatte ich nicht verstanden, aber dass mir hier die Verantwortung für meinen Körper abgesprochen wurde, das verstand ich ziemlich gut.
Mein Bauch gehört mir!
Davon abgesehen, dass die zwar wahnsinnig gesunde, aber leider schon etwas überreife Kiwi zum Frühstück vermutlich mehr Alkohol enthalten hatte als das Schlückchen Sekt, das ich mir dann aus dem Glas einer Kollegin gönnte, hätte mir die Dame eigentlich nicht einmal die drei vollen Gläser Sekt, die die Verkostung beinhaltete, vorenthalten dürfen, wenn ich darauf bestanden hätte.
„Mein Bauch gehört mir!“ Was im Moment im Kontext der diskutierten Paragraphen 218 und 219 zum Thema Abtreibung wieder hoch aktuell proklamiert wird, kann ich auch für die Schwangerschaft sagen. Auch beim Aufschrei, den Jens Spahn mit seiner geplanten 5 Millionen Euro teuren Studie zu den Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen hervorgerufen hat, geht es um die Frage, wer über Frauengesundheit entscheidet oder Menschen in ihrer Mündigkeit und Selbstbestimmung ernst nimmt und respektiert, aber das ist eine andere Geschichte.
Kein Umstand, die anderen Umstände?
Seit ich sichtbar in anderen Umständen bin, hat sich die Art, wie Menschen mit mir umgehen, deutlich verändert. Das Wort „Umstand“ hat ursprünglich zwei Bedeutungen: zum einen etwas, das für ein Geschehen wichtig ist, das Geschehen entscheidend mit bestimmt: ein wesentlicher Umstand. Zum anderen eine zeitraubende, eine verzögernde Handlung oder Verrichtung: Mach dir doch keine Umstände! „In anderen Umständen“ kann beides sein. Es ist ein Zeitanhalten, ein Entschleunigen und Verzögern, ein aus allem anderen Herausfallendes und zugleich eine neue Qualitätszeit, ein prägendes, entscheidendes Novum, ein Bestimmendes in jeder Hinsicht.
Der Umstand, dass diese besondere Zeit körperlich sichtbar wird, führt dazu, dass auch andere daran teilhaben und teilnehmen.
Ich bin gespannt, welche Geschichten ich in den verbleibenden Wochen noch mit meinem Babybauch erleben werde. Bis dahin schiebe ich eine ruhige Kugel – denn mit Sicherheit wird es mit einem Kind als sichtbare Unterbrechung im Alltag nicht weniger spannend. Ich ahne: Der Bauch ist erst der Anfang.
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Berenike Jochim-Buhl ist wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Altes Testament der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.
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