Er war führender bayerischer Politiker und bis vor kurzem Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Fragen an Alois Glück zu seinen Erfahrungen in Kirche und Politik.
Herr Glück, Sie waren von 1964 bis 1971 Landessekretär der Katholischen Landjugendbewegung Bayerns. Dann begann eine überaus erfolgreiche politische Laufbahn: 1970 bis 2008 Mitglied des Bayerischen Landtags, von 1986 bis 1988 Staatssekretär im Umweltministerium, von 1988 bis 2003 Vorsitzender der CSU Landtagsfraktion, schließlich von 2003 bis 2008 Präsident des Bayerischen Landtags. Und dann kam wieder Kirche: von 2009 bis November 2015 Vorsitzender des ZdK, also oberster Repräsentant des deutschen Laienkatholizismus. Was unterscheidet die kirchliche von der politischen Konfliktkultur?
Die kontroverse Debatte, der inhaltliche Konflikt gehört zum Wesen der freien Gesellschaft und damit ebenso zum Wesen der politischen Debatte und des politischen Konfliktes. Dies ist eine Selbstverständlichkeit, auch wenn die Qualität und damit die „Kultur“ der Auseinandersetzung immer wieder auch zu wünschen übrig lässt.
Diese Debatte ist in aller Regel mit Transparenz verbunden. Dies ist nicht immer gewünscht, aber in der modernen Kommunikationsgesellschaft auch unvermeidlich. Die Verfahrenswege und die demokratischen Entscheidungen sind transparent. Natürlich gibt es auch immer wieder mehr oder minder verdeckte Versuche der Einflussnahme, aber dies hat nur sehr begrenzte Wirkung. Sachliche Kontroverse ist nicht gleichbedeutend mit persönlicher Gegnerschaft. Unterschiedliche Positionen unter Rollen gehören dazu und werden respektiert.
In unserer Kirche gibt es in Hinblick auf die notwendigen Regelungen für unser Zusammenleben die Dominanz hierarchischer Ordnungen, eine Dominanz der Amtsautoritäten wie es vor 50 Jahren auch in der Gesellschaft noch die Regel war. Die Folge ist, dass es kaum Regelungen für transparente Meinungsbildung und die Transparenz der Gründe für Entscheidungen gibt.
Hinzu kommt, dass mit der Binnenkultur „einem Bischof widerspricht man nicht, dem Pfarrer widerspricht man nicht“ häufig eine verkrampfte Atmosphäre die offene Aussprache blockiert. Dies führt zu Frustrationen, zur inneren Emigration und früher oder später zum Rückzug. Die andere Reaktion ist der Versuch, „unterirdisch“, verdeckt, doch Einfluss zu nehmen.
Nicht selten und jedenfalls mehr als ich es in der Politik oder in anderen gesellschaftlichen Strukturen erlebt habe, erfolgt dies mit Methoden der Verdächtigungen, etwa im Hinblick auf die Kirchlichkeit und Gläubigkeit, mit anonymen Schreiben und Aktionen. In fast 40 Jahren des politischen Mandats mit Führungsämten habe ich auch nicht annähernd so viele gehässige und auch anonyme Reaktionen bekommen, wie als Präsident des ZDK.
Die Binnenkultur der Kirche mit Intransparenz, immer wieder auch verbunden mit überhöhtem Amtsverständnis, ist die Ursache für so dramatische Krisenentwicklungen wie in Teilen der Kurie oder in Limburg. In der Kirche ist Großartiges und Abgründiges leider oft eng beieinander.
Welcher Rat eines erfahrenen Politikers und engagierten Katholiken ergibt sich daraus für seine Kirche?
Die Regeln und die Strukturen des demokratischen Staatswesens sind so, dass ihre Wirksamkeit nicht von der Vollkommenheit der einzelnen Akteure abhängig ist. Dieser Grundsatz ist auch für kirchliche Strukturen im Hinblick auf das Zusammenleben der Gemeinschaft der Glaubenden und der Kirche als Institution wichtig, ja unverzichtbar. Das ist der wirksamste Schutz gegen Fehlentwicklungen und die beste Voraussetzung für konstruktive Zusammenarbeit.
Dazu gehört freilich die Selbsterkenntnis der eigenen Schwächen und Gefährdungen, unser Ego, die Gefahr der Selbstüberhöhung durch das Amt, durch die Weihe. Die Erfahrungen, die Gefährdungen in der weltlichen Existenz gelten ebenso für das kirchliche Leben. Die Regeln und die Strukturen sind die Statik des Hauses und prägen die Räume.
Ich habe jedenfalls in meinem kirchlichen Engagement wieder alle Verhaltensmuster von Menschen – positive und negative – erlebt, die ich aus dem politischen Leben kenne. Das „Raumklima“ wird von der inneren Einstellung, dem Verständnis der eigenen Rolle und von der Haltung gegenüber den anderen Menschen geprägt. In allen Lebensbereichen ist dabei prägend der Maßstab „Würde des Menschen“, für uns das „christliche Menschenbild“. Für die Strukturfragen und die Regeln des Zusammenlebens in unserer Kirche kommt hinzu, welches Verständnis von Kirche prägend ist.
Welche Verständnisse von „Kirche“ haben Sie dabei konkret erlebt und in ihren praktischen Auswirkungen wahrgenommen? Welche Bandbreite ist da gegenwärtig in der deutschen katholischen Kirche Ihrer Erfahrung nach wirksam?
Ich habe vor allem eine Kirche erlebt, die in weiten Bereichen sehr, zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. In Zeiten der Veränderungen ist dies einerseits verständlich, andererseits aber auch verhängnisvoll. Für mich überwiegen aber die positiven Anzeichen. Ausgehend von dem Schockerlebnis dramatischer Vertrauensverlust durch den sexuellen Missbrauch und einige
weitere Ereignisse (Limburg u.a.) und dem Dialogprozess ist die Gesprächskultur und damit die innere Lebendigkeit in der Kirche erheblich besser geworden.
Die inneren Prozesse werden fruchtbarer, die Kirche nicht mehr so ausschließlich als starre Institution, die Religion nicht mehr nur als Gesetzesreligion erlebt. Eine der Scheidelinien ist das Kirchenverständnis – pilgerndes Gottes Volk oder weiter priesterzentrierte Amtskirche? Alle diese Entwicklungen werden durch Papst Franziskus stark geprägt. Er ist für viele Menschen in unserer Kirche und außerhalb unserer Kirche ein großer Hoffnungsträger.
Die Enzyklika Laudato Si mit ihrer weltweiten Beachtung ist dafür exemplarisch. Gleichzeitig nehmen aber auch die Spannungen in unserer Kirche zu. Vor allem in Gruppierungen des starren Konservativismus entwickelt sich eine Aggression, Formen der Auseinandersetzung und der Diffamierung, die beängstigend sind.
Der epochale Veränderungsprozess in unserer Kirche und der Situation der
Kirche in der Gesellschaft geht weiter. Insgesamt bin ich Anfang 2016 zuversichtlicher als Anfang 2015.
(Die Fragen stellte Rainer Bucher. Photo: Gronau)