Anja Sedlmeier studiert Theologie an der Universität Luzern. Im Rahmen eines Kirchenrechtsseminars befasste sie sich mit der Frage der Menschenrechte in der Kirche aufgehängt an Canon 230 zum Dienst des Lektors und des Akolythen.
Mitten in das Kirchenrechtsseminar zu Menschenrechtsfrage und Friedenssicherung platzt die Nachricht: Papst Franziskus hat ein Dekret, ein sogenanntes „Motu proprio“ mit dem Titel „Spiritus Domini“ (Der Geist des Herrn) veröffentlicht und damit Canon 230 im Codex des Kirchenrechts verändert. „Papst für Messdienerinnen“ titelt die Süddeutsche Zeitung am Folgetag. Die Nachricht zaubert vielen, die in der pastoralen Praxis stehen, nur ein müdes Lächeln auf die Lippen, denn in vielen Pfarreien ist es längst Realität, dass Mädchen sich als Ministrantinnen engagieren und Frauen den Lektorinnendienst sowie den Dienst der Kommunionhelferin übernehmen. Was jedoch in vielen Ohren banal klingen mag, ist ein großer Schritt zur Umsetzung der Menschenrechte in der Kirche und deren kirchenrechtlicher Verankerung im CIC.
Papst für Messdienerinnen
Can. 230 §1 schließt Frauen bisher kategorisch aus: „Männliche Laien, die das Alter und die Begabung haben, die durch Dekret der Bischofskonferenz dafür bestimmt sind, können durch den vorgeschriebenen liturgischen Ritus für die Dienste des Lektors und des Akolythen auf Dauer bestellt werden, die Übertragung dieser Dienste gewährt ihnen jedoch nicht das Recht auf Unterhalt oder Vergütung von seiten der Kirche.“[1]
Dass an dieser Stelle das Wort „männlich“ gestrichen wird, klingt zwar unscheinbar, ist aber ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Ohne rechtliche Verankerung nämlich ist es eine reine Willkürentscheidung einzelner Ortsbischöfe, ob sie Mädchen und Frauen beteiligen oder nicht. Dass geltendes Recht auch den Kriterien von Gerechtigkeit entsprechen muss, ist eine lange Forderung in der Tradition der katholische Kirche, kann sie doch an Überlegungen von Thomas von Aquin, Francisco de Vitoria bis hin zu Francisca Suárez und deren Verhältnisbestimmung von Recht und Gerechtigkeit anknüpfen.
Can. 230 §1 schließt Frauen bisher kategorisch aus.
Die Konzilserklärung „Dignitatis humanae“ verwendet einen Personbegriff, der die Würde aller Menschen umfasst. Kirchenrechtlich verankert ist jedoch nur ein Bruchteil der im Konzil geforderten Menschenrechte. Bereits in der Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. wurde grundsätzlich die UN-Menschenrechtserklärung anerkannt. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu deren Verwirklichung. So zieht auch die Fachtagung im Jahr 2013 mit dem Titel „Maßstab Menschenrechte. Anspruch und Umsetzung in der katholischen Kirche 50 Jahre nach der Enzyklika Pacem in terris“ den Schluss, dass „die rechtlichen und sozialethischen Maßstäbe des kirchlichen Institutionenhandelns und die ebenso dringliche Frage ihrer Umsetzung der Schlüssel zur Glaubwürdigkeit der Kirche ist.“[2]
Im Rahmen eines Hauptseminars unter Leitung von Prof. Dr. Adrian Loretan, Universität Luzern und PD Dr. Paul Oberholzer SJ, Päpstliche Universität Gregoriana haben sich Studierende der katholischen Theologie an der Universität Luzern mit der institutionengeschichtlichen Entwicklung des Papsttums auseinandergesetzt. Dabei wurden Erkenntnisse sowohl aus kirchenrechtlicher Sicht als auch aus kirchengeschichtlicher Sicht diskutiert und vertieft. Die Studierenden kamen unter anderem zu dem Schluss, dass sich die katholische Kirche dringend darum kümmern muss, dass der Graben in der Unterscheidung ad extra und ad intra endlich überwunden wird, damit Frieden innerhalb und außerhalb der Kirche nachhaltig gesichert wird.
Der Graben in der Unterscheidung ad extra und ad intra muss endlich überwunden werden.
Die Verankerung der Menschenrechte muss sich in der kirchlichen Gesetzesgrundlage zeigen und auch in einer kirchlichen Gerichtsbarkeit, damit Menschenrechte einklagbar werden, denn sie sind universal, individuell und gelten überall. Die Skandale um den Missbrauch an Kindern und Frauen, Machtmissbrauch, Finanzmissbrauch und die fortwährenden Diskriminierungen in der katholischen Kirche zeigen in erschreckender Weise, wie weit der Weg noch ist, dass sich Menschenrechte umfassend auch in der Kirche durchsetzen. Nur wenn die katholische Kirche in ihren eigenen Strukturen, in ihren Gesetzen und in ihrer Lehre die Menschenrechte umsetzt, wird sie als glaubwürdiger Nonstate-Actor weiterhin gehört und ernst genommen werden. Die sogenannte „Frauenfrage“ ist also nicht in erster Linie eine emanzipatorische Frage, die einige Feministinnen einfordern, sondern sie stellt zutiefst die Frage der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen als Grundaussage des Christentums in den Vordergrund, die wiederum Menschenrechte legitimiert.
„Paul VI. schliesslich münzte die Menschenrechtsargumentation des Konzils in ein Verfassungsprojekt (Lex Ecclesiae Fundamentalis, LEF) mit einklagbaren Grundrechten um. Leider ist dieses Verfassungsprojekt bis auf den heutigen Tag nicht in Kraft gesetzt worden.“[3] Ein kleines Trippelschrittchen auf dem noch weiten Weg bis zur konsequenten Umsetzung der Menschenrechte ist die Änderung des Can 230 §1 durch Papst Franziskus. Hochqualifizierte und trotz aller Unzulänglichkeit der Kirche engagierte „Laien“-Profis stehen längst mit Sieben-Meilenstiefeln bereit.
___
Text und Bild: Anja Sedlmeier hat soziale Arbeit studiert, eine theologische Zusatzausbildung an einer Fachhochschule draufgesattelt. Nach jahrelanger Arbeit als Sozialpädagogin und quasi Theologin in der Jugend- und Frauenseelsorge studiert sie Theologie im Fernstudium an der Universität Luzern – neben Familie, Seelsorge in fünf Pfarrverbänden und Pastoralkurs für die zweite Dienstprüfung in einem Modellprojekt der Erzdiözese München und Freising („training on the job“).
[1] CIC 1983 c. 230 §1
[2] Heimbach-Steins, Marianne: Vorwort in: Heimbach-Steins, Marianne: Menschenrechte in der Kirche. Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, Münster 2014, S. 10
[3] Loretan Adrian: Menschenrechte statt Privilegien auf https://www.feinschwarz.net/menschenrechte-statt-privilegien/ 2018