„Blumenbilder wollte ich malen, gelandet bin ich im Paradies. Ein Textkobold hat mich gezwickt, darüber auch noch Worte zu verlieren. Der Versuch, über das Paradies etwas in Worte zu fassen, ist ein Unterfangen, an dem man eigentlich nur scheitern kann. Zudem kommt man dabei in Teufels Küche. Doch der Hafer hat mich gestochen, ein Rotkehlchen hat gerufen…“ Von Alois Neuhold.
„In meinem Herzen spielen Paradiese“ (Else Lasker-Schüler)
I.
Es lässt sich nicht leugnen, bereits die Steine künden es, die Wasser klagen es, alle Augen können es sehen, die Ohren es hören. In Zeitungen, auf digitalen Schirmen, in den täglichen Nachrichten, in wissenschaftlichen Abhandlungen und Kommentaren, in anschaulichen Bildern ist es gefasst: Die Hölle auf Erden schreit zum Himmel.
Übertonnen an Not, Leid und Grausamkeit, blinde Gewalt, die vollgefüllten Konten und Kassen der Übersättigten, dagegen die Hungerlöhne und Entbehrungstüten der Habenichtse, das Heer der Ausgebeuteten und Obdachlosen, der Vertriebenen, Entrechteten und Missbrauchten, überfüllte Flüchtlingsboote und Lager, Magertische und Elendshütten, populistische Schreihälse und Hassschürer, nukleare Sprengköpfe und andere Wirrköpfe, Folter, Unrecht und Ungerechtigkeit, Abschottung und Kriegsgetümmel in so vielen Teilen der Welt, ebenso in privaten Gemächern und Gemäuern. Die Becher und Krüge des Elends schwappen davon über und über.
Die Gärten der Schöpfung sind großteils verwüstet. Nicht nur die Gärten da draußen vor unseren Fenstern, nein, auch die Gärten in uns, die Fluren und Felder zwischen den Menschen. Landstriche brennen, Wälder werden abgefackelt. Das Weltklima, das soziale Klima schlagen wilde Kapriolen, Meere und Emotionen drohen zu kippen. Den Pflanzen, den Tieren, den Benachteiligten, der Vielfalt des Lebens wird das Lebenshaus genommen. Mediale Kälte, Erderwärmung, Artensterben, tote Böden, Fake News und Monokulturen breiten sich aus. Müllberge türmen sich zu Mülllawinen. Überwachungsaugen an allen Ecken und Wänden, dauerflimmernde Bildschirme, künstliche Welten umlauern uns. Gengeschnetzeltes und Nanofrittiertes köcheln lautlos in den Küchen der Macher. Machtrausch und Geltungssucht, Raubgierkrallen plündern die letzten unberührten Reservate, die intimsten Seelennischen, die noch verbliebenen Rückzugsorte freien Denkens. Von den Erbeutungen quellen die Regale und Märkte über. Narziss sitzt in seinem Spiegelhaus, das keine Fenster hat.
Wir sind aus dem Paradies vertrieben. Endgültig, so scheint es. Wir haben uns daraus selbst vertrieben. Die Höllentore stehen weit offen, die biblischen Erzählungen von der Sintflut und den Endzeitszenarien der „Geheimen Offenbarung“ sind keine Geschichten mehr, sie werden zunehmend erschreckende Realität…
Ich künde und male von einem anderen Land, von einem blühenden, von Ahnungen an ein Paradies. „Ist da jemand nicht ganz bei Sinnen, nicht ganz bei Trost mit all seinen sieben Sinnes-Sinnen, ein Narr, ein Dummling, ein Naivling, ein altvergreister Danebensteher? Wären angesichts dieses Weltbefundes nicht apokalyptische Abgesänge anzustimmen, pechschwere Dunkellieder, rußschwarze Untergangs-Choräle??“
Ich sehe die Höllentore, ich sehe die Gräuelaltäre dieser Welt. Jedes Augenverschließen davor und Flüchten ins private Biedermeier sind ein Vergehen. Ich sehe auch die eigenen Abgründe, die persönlichen Verwerfungen, Schmerzfelder und Höllensplitter. Mir ist bewusst, ich lebe nicht in den Elendsvierteln dieser Welt, ich habe das Menschen-Schrecklichste bis jetzt am eigenen Leib nicht erfahren müssen. Daher kann man mir zurecht vorwerfen, so einer könne leicht reden vom Paradies. Mir ist das alles sehr bewusst, und es lastet schwer. Ich sehe die Dringlichkeit, die Elendstore dieser Welt beim Namen zu nennen, den Horror und die Abwege, ich sehe die Notwendigkeit des Aufzeigens und Aufrüttelns, auch des Aufschreiens. Ich sehe das alles. Ich bin kein realitätsblinder Weltflüchter. Ich flüchte nicht in schöngetünchte Bilder. Ich bin kein Schönfärbler.
Aber wie all diese Schmerzwelten und Unrechtsfelder überwinden? Wie sie wenden? Durch apokalyptische Abgesänge? Nein! Sie ändern nichts. Sie lähmen, sie verstärken ein dumpfdunkles ohnmächtiges Dahingedöse. Es hilft nur das TUN, ein lichtvolles, kraftvolles Handeln und Handanlegen für eine andere, für eine bessere, für eine lichtdurchsätere Welt, geleitet von aufbauenden Bildern, Worten und Gedankenschüben, die dieses Handeln beflügeln und es wirkmächtig werden lassen.
Über all die Zeiten bis heute sind immer wieder Menschen und Gruppen in diesem Geist aufgetreten, Lichtgestalten, Sterntaler vom Himmel, Tatenträger und Bildträger, die Licht und Hoffnung in finsterer Zeit entfacht haben. Das ist zu sehen, daraus ist Honig zu schöpfen, an ihren Teppichen ist weiterzuknüpfen, gerade in einer Zeit der Kippe und Wende.
Es gibt nicht nur die Unheilsgeschichte.
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Alois Neuhold wurde 1951 in Eggersdorf bei Graz geboren, studierte 1970–1976 Theologie in Graz, wurde 1977 zum Priester geweiht und 1978 suspendiert. Anschließend studierte er bis 1982 an der Akademie der bildenden Künste Wien, Abteilung Grafik, bei Max Melcher. In dieser Zeit fand er Anschluss zur Generation der Neuen Malerei in Österreich und wurde in Ausstellungen europaweit gezeigt. Nach 1987 zog sich Neuhold aus der Kunstöffentlichkeit zurück. Es entwickelte sich ein vollkommen eigenständiges Werk, das an der Grenze von Bildmagie, Kunst und Religion angesiedelt ist.
Der Text entstand zur Ausstellung: Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Verstreute Blütenblätter aus dem Gartenbuch eines verlorenen Paradieses. KULTUM Graz, 15. Mai – 10. Oktober 2020
Die Teile 2-5 folgen an den kommenden Sonntagen.