„Blumenbilder wollte ich malen, gelandet bin ich im Paradies. Ein Textkobold hat mich gezwickt, darüber auch noch Worte zu verlieren. Der Versuch, über das Paradies etwas in Worte zu fassen, ist ein Unterfangen, an dem man eigentlich nur scheitern kann. Zudem kommt man dabei in Teufels Küche. Doch der Hafer hat mich gestochen, ein Rotkehlchen hat gerufen…“ Von Alois Neuhold.
„In meinem Herzen spielen Paradiese“ (Else Lasker-Schüler)
V.
Ich weiß, Bilder sind nur Bilder, Krücken und Holpersteine, bestenfalls Fenster und Türen, schmale Wegzeiger. Auch meine Bildversuche und Wort-Bildgedanken sind nur Bilder für einen Blick in eine gewisse Richtung. Das Eigentliche ist nicht sagbar, das Wirkliche nicht bildbar.
Doch die Kraft von Bildern und Gedanken darf nicht unterschätzt werden. Sie können stärken, aufbauen und Licht geben. Sie können aber auch niederreißen, niederdrücken, Hass schüren und ohnmächtig machen. Von welchen Bildern, Gedanken und Worten wollen wir leben, mit welchen uns täglich umgeben, mit welchen unser Innerstes ernähren, womit den Tisch decken und unser Herz erwärmen? Mit welchem Brot wollen wir den Geist und die Seele sättigen?
Von welchen Bildern wollen wir in Zukunft leben? In Zeiten von Bildüberflutungen, Bildmanipulationen und raffinierten, künstlichen Bildwelten stellt sich diese Frage umso eindringlicher.
Bilder und Vorstellungen vom Paradies durchziehen wie Karawanen die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte. Es gab sie zu allen Zeiten, es wird sie immer geben. Sie prägen und gestalten das Leben einer jeweiligen Epoche. Mit welchen Bildern und Paradiesesvorstellungen lebt die Welt von heute? Virtuelle und digitale Bild-Welten und Räume scheinen ein besonders zeitgemäßes Paradies zu versprechen. Eine Frage mag sich dabei einstellen: Was ist realer, lebensnäher und auch seelen-nährender, die Illusionenen virtueller Welten oder der alte, über die Jahrtausende tradierte Glaube an ein Paradies? Sicher ist: Ohne „Paradies“ geht es nicht.
Wenn es das Paradies nicht gäbe, dann müsste man es erfinden, man müsste es postulieren und Bilder dafür schaffen, man müsste es mit tausend Pferden herbeikarren, mit Zügen heranziehen, man müsste so leben als gäbe es das Paradies. Denn nur so hätten die Welt und das Leben eine Kraft, eine Sicht und einen Sinn, die es verdienten wirklich Leben genannt zu werden und es bliebe die Chance, die Höllenberge und Teufelsgräben vielleicht doch zu überwinden und so manches Ödland in etwas Blühendes zu verwandeln.
Was wäre das für eine Welt, wenn uns diese Weltsicht, wenn uns diese Ahnung und Andeutung an ein Paradies abhandenkäme, wenn uns das Krauten und Blühen nicht mehr den Blick frei gäbe für ein Tieferes, für eine Welt, die auch dann noch leben lässt und Leben schenkt, wenn alle Lebenskerzen erloschen sind?
Die Kunde vom Paradies ist kein Fake.
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Alois Neuhold wurde 1951 in Eggersdorf bei Graz geboren, studierte 1970–1976 Theologie in Graz, wurde 1977 zum Priester geweiht und 1978 suspendiert. Anschließend studierte er bis 1982 an der Akademie der bildenden Künste Wien, Abteilung Grafik, bei Max Melcher. In dieser Zeit fand er Anschluss zur Generation der Neuen Malerei in Österreich und wurde in Ausstellungen europaweit gezeigt. Nach 1987 zog sich Neuhold aus der Kunstöffentlichkeit zurück. Es entwickelte sich ein vollkommen eigenständiges Werk, das an der Grenze von Bildmagie, Kunst und Religion angesiedelt ist.
Der Text entstand zur Ausstgellung: Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Verstreute Blütenblätter aus dem Gartenbuch eines verlorenen Paradieses. KULTUM Graz, 15. Mai – 10. Oktober 2020