„Blumenbilder wollte ich malen, gelandet bin ich im Paradies. Ein Textkobold hat mich gezwickt, darüber auch noch Worte zu verlieren. Der Versuch, über das Paradies etwas in Worte zu fassen, ist ein Unterfangen, an dem man eigentlich nur scheitern kann. Zudem kommt man dabei in Teufels Küche. Doch der Hafer hat mich gestochen, ein Rotkehlchen hat gerufen…“ Von Alois Neuhold.
„In meinem Herzen spielen Paradiese“ (Else Lasker-Schüler)
III.
Das Paradies ist nicht die heile Welt. Die zurechtgeputzte Idylle, der Rückwärtsgang in nostalgische Romanzen, die Vertröstung auf bessere Zeiten und Welten sind es nicht. Es liegt nicht in einer auferlegten Selbstoptimierung oder Selbstvervollkommnung. Selbsterlösung und die Nabelschau auf ein ichbegrenztes Seelenheil sind keine Fahrkarten dorthin. Niemand kommt mit sich allein in den Himmel. Das Paradies auf Erden gibt es nicht. Es kann nicht gemacht werden. Es weilt nicht in den Glücksrezepten.
Ein verwilderter, den Gesetzen der Schöpfung überlassener Garten mag dem Paradiesischen schon etwas näherkommen, erst recht ein weiter Landstrich oder ein Urwald, der der Wildheit des Wachsens und dem weitläufigen Schweifen und Ergehen überlassen wurde…
Das Paradies kennt Wildnis, Krauten und Erblühen, Fruchten. Es kennt auch Schmerz und der Liebe Leid. Es lässt sich nicht domestizieren und nicht optimieren. Es ist keine Sauberwelt, laubgefegt und artenrein, monoman und gleichgeschaltet. Das Paradies macht Mist. Das gibt Dünger und Humus. Die Hölle macht Müll. Es ist eine mögliche Welt, die seit Urdenkzeiten grundgelegt ist und auf Ent-Faltung drängt. Selbst auf toten Hügeln und Schutthalden sät sich immer wieder unverhofft neues Leben an…
Das Paradies ist ein Geschehen. Es ist kein Ort. Es geschieht. Es ist eine Haltung. Es geschieht auf den Weiden, in den buschigen Wäldern und Hainen der Bergpredigt, dort, wo sie Gestalt und Form annimmt und das Leben formt, wo das Wort „Fleisch“ wird. Es geschieht, wo Vergebung, Heilung und Frieden, wo Liebe geschieht. Es geschieht, wo mit allen Adern des Herzens gekämpft wird für eine gerechtere, lebenswerte und menschenwürdige Welt, für das Wohlergehen aller und der ganzen Schöpfung. Dort sind die Blüten des Paradieses. Es geschieht auch an den Haltestellen des Schmerzlichen, an den Wundstellen der Welt, an der Wahrnehmung des Leidvollen.
Im verweilenden Schauen, im Staunen, im Lauschen und Innehalten, auf den Bremsgeraden der Entschleunigung, in Humor und Lachen, in den Wiegewipfeln von Stille und Schweigen, in der Laube des Gebetes, in Stunden der Muse, in den Nektarflügen der Freude, in den Hallen des Achtsamen und Wachsamen, im Loslassen von den Anhaftungen und den Knechtungen des Habens, blickt es mich an. Im bloßen Sein ist es zu finden, im einfach sein. In unerwarteten Momenten blitzt es auf. Im Strudelteig des Alltäglichen, im Naheliegenden ist es leicht zu übersehen.
Es ist ein inneres Geschehen. Es geschieht in den Herzstuben und Abstiegsleitern, in den Seelenmulden und Innenhöfen, dort, wo alle fühlenden und mitfühlenden Regungen zuhause sind. Von hier aus strömt es in die Welt. Das Paradies ist in mir oder es ist nicht. Es ist gesät in die Schollen meines Ackers. Es will keimen. Ich bin gerufen, das Wunder der Entfaltung zu leben, Blatt um Blatt, Blüte für Blüte.
Das Paradies ist etwas Inneres, vielleicht das Innerste überhaupt, das Innerste in mir, die Blumenwiese in mir. Es ist das Herzstück in allem Sein, der Wesenskern, die Honigmitte, der Taufbrunnen in allen Wesen, der Quell-Kelch, aus dem alles Leben sprudelt. Es ist der göttliche Farbtupfer, das Lichtrauschen, der glühende Lichtfunke in Allem. Keine Macht der Welt kann ihn verlöschen. Es ist der Altar des Heiligen in allen Dingen. In allen Seinshütten baut das Paradies seine Kathedralen, formt seine Krüge, schickt seine Schiffe aus, vordergründig nicht immer gleich einsehbar und im Handumdrehen greifbar. Das Wachsen und Blühen wilder Gärten und Landschaften geben mir davon eine Ahnung, ein fernes Riechen, einen Klang, ein feines Duften und Wolkenziehen…
„In meinem Herzen spielen Paradiese“. Ja, sie spielen. Sie spielen eine wunderbare Musik, „Lichtmusik“. Sie spielen Bach, Mozart, Schubert und Haydn. Sie spielen die alten, vielstimmigen Messen und Motetten, vokale Klangteppiche einer vorbarocken Zeit. Sie spielen Kinderspiele, quietschvergnügt und selbstvergessen, frei, unbeobachtet vom strengen Prüfblick übermächtiger Übereltern. Sie spielen Sprachspiele, Wortspiele, Gedichte, poetische Verse der großen Dichter und Dichterinnen aller Zeiten…
Das Paradies ist auch der Liebesgarten, der erotische Hafen und die Herzschwünge darin, die überschwänglichen Küsse, die Schafweiden der Zärtlichkeiten und Liebkosungen, aber auch weit mehr und weit darüber hinaus: Es ist Liebe im umfassendsten und größten Sinn, selbstloses Verströmen, die Gabe der Hin-Gabe und den Kreuzweg gehen, wenn nötig. Die Liebe ist das Weizenkorn des Paradiesgartens. Wenn es nicht in die Erde fällt und stirbt, bringt es keine Frucht. Aus ihr wächst und fruchtet alles. Sie ist das Lichtgehäuse, der Fruchtimpuls. Ohne sie ist alles nichtig und nichts!
Auf den Kreuzhügeln dieser Welt hallt ein Satz nach: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Im Paradies ist man nackt.
______
Alois Neuhold wurde 1951 in Eggersdorf bei Graz geboren, studierte 1970–1976 Theologie in Graz, wurde 1977 zum Priester geweiht und 1978 suspendiert. Anschließend studierte er bis 1982 an der Akademie der bildenden Künste Wien, Abteilung Grafik, bei Max Melcher. In dieser Zeit fand er Anschluss zur Generation der Neuen Malerei in Österreich und wurde in Ausstellungen europaweit gezeigt. Nach 1987 zog sich Neuhold aus der Kunstöffentlichkeit zurück. Es entwickelte sich ein vollkommen eigenständiges Werk, das an der Grenze von Bildmagie, Kunst und Religion angesiedelt ist.
Der Text entstand zur Ausstgellung: Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Verstreute Blütenblätter aus dem Gartenbuch eines verlorenen Paradieses. KULTUM Graz, 15. Mai – 10. Oktober 2020
Die Teile 4 und 5 folgenden an den kommenden Sontnagen.