Die Kirche in Ludwigshafen engagiert sich für die Entwicklung eines städtischen Quartiers, das den Zusammenhalt der städtischen Gesellschaft fördert. Einer der Projektinitiatoren, Tobias Zimmermann SJ, stellt das Projekt vor.
In vielen Städten ist die Wohnlage ein wesentlicher Faktor gesellschaftlicher Trennung zwischen Menschen unterschiedlicher Schichten, Herkunftskulturen und sozialer Milieus. Stark individualisierte Lebenskonzepte und unterschiedliche Herkunftskulturen harmonieren in vielen Lebenssituationen nicht einfach von allein. Unterschiedliche Lebenskonzepte, Sichtweisen und Umgangsformen etc. erschweren die Begegnung. Soziale Komplexität hat das Potential, uns alle zu überfordern. Und die Überforderung befördert Fremdheitsgefühle und den Wunsch, sich abzugrenzen. Die Trennung sozialer Milieus geht manchmal bis hinein in die Konstruktion eigener „Wahrheiten“. Ein guter Boden für ideologische Rattenfänger mit extremistischen Weltanschauungen. Das zeigt z.B. das Aufleben von Antisemitismus und völkischem Denken bis hinein in die Mitte der Gesellschaft. Die extremen Ränder der Gesellschaft leben auch hierzulande auf. Und wie sehr dies auf lange Sicht geeignet ist, selbst eine stabile Demokratie aus dem Tritt zu bringen, kann derzeit in Amerika beobachtet werden. Gleichzeitig stehen wir vor politischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam gestalten und bewältigen werden.
Fragile Momente menschlicher Begegnung
Geboten ist aber nicht Panikmache, sondern das entschiedene Bemühen um Zusammenhalt, um Sorge für ein gegenseitiges Verständnis und die Ermöglichung von Begegnung: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.“ (Martin Buber)
Die Momente menschlicher Begegnung über soziale und kulturelle Grenzen hinweg sind fragil. Wir brauchen heute mehr denn je Orte, wo Begegnung gefördert wird, wo Konflikte moderiert und Kompromisse ermöglicht werden. Denn nur Begegnung ermöglicht uns ein Wachstum an Empathie, Reflexion und ermutigt zur gemeinsamen Gestaltung der eigenen Lebenswelt in aller Verschiedenheit von Herkunft, Bildung, Generation und Bildungshintergrund.
Kirche hat hier eine besondere Verantwortung
Die Kirchen mögen heute aus vielen, oft auch selbst verursachten Gründen in der Krise sein. Sie verfügen aber immer noch über strukturell-organisatorische und ideelle Ressourcen, die ihnen in dieser Situation eine besondere Verantwortung auferlegt. Das Heinrich Pesch Haus (HPH) fühlt sich in diesem Sinne dem Erbe seines Namensgebers, Heinrich Pesch, verpflichtet. Denn der Theologe, Ökonom und Sozialphilosoph (1854–1926) engagierte sich für eine Konzeption der Gesellschaft, in der die Menschen mit ihrer Freiheit und ihrer Fähigkeit zu Solidarität und Eigenverantwortung Ausgangspunkt und Zentrum gesellschaftlicher Entwicklungen sind. In einer Zeit, in der Wohnraum knapp und der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht ist, muss – dies ist unsere Überzeugung – Kirche sich nicht nur theoretisch, sondern mit ihren konkreten organisatorischen Mitteln und ihren Ressourcen einsetzen, um gemeinsam mit den Menschen Antworten zu entwickeln, die auch heute tragen.
Eine Siedlung als urbanes Gebiet
In diesem Sinne entsteht derzeit im Ludwigshafener Westen mit der Heinrich-Pesch-Siedlung eines der größten Neubauprojekte der Region, das in 800 Wohnungen ein Zuhause für rund 2000 Menschen bieten wird. „Leben statt nur wohnen, ein Zuhause haben statt nur eine Adresse“ – das ist in aller Kürze der Grundgedanke des Wohnprojekts. Die Siedlung wird ein sogenanntes urbanes Gebiet sein, in dem Arbeiten, Wohnen, Bildung und Soziales eng verzahnt werden.
Beitrag zu einer gerechten und solidarischen Gesellschaft
Hinter den Plänen stehen das Heinrich Pesch Haus, die von Jesuiten geleitete katholische Akademie Rhein-Neckar, und die katholische Gesamtkirchengemeinde der Stadt Ludwigshafen. Ihnen gehört das 15 Hektar große Quartiersgelände, das in Erbpacht vergeben wird. Alle Wohnungen werden ausschließlich vermietet. Dies sind Kernelemente der sozialen Ausrichtung der Siedlung, um Grundstücksspekulationen zu vermeiden.
Soziale Mischung?
Das Besondere des innovativen Modellvorhabens: Hier wird es vielfältige Wohnungen für Menschen mit unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebenskontexten geben. Alle sollen hier ein individuell passendes Zuhause finden und zugleich ein lebendiges Miteinander genießen und mitgestalten können: intergenerationell – inklusiv – interkulturell. Die soziale Mischung wird u. a. gefördert durch die Steuerung der Mischung von Wohnraum für unterschiedliche Einkommensverhältnisse: So ist 35 Prozent des Wohnraums vorgesehen für den sozial geförderten Wohnungsbau mit besonderem Augenmerk auf Wohnraum für kinderreiche Familien, Menschen mit Behinderung und Alleinerziehende. Neben dem Gros des Wohnraums für den Mittelstand soll das Quartier aber auch atraktiv sein für einkommensstarke Haushalte, die am sozialen Miteinander interessiert sind. Das Miteinander wird u. a. gefördert durch gemeinsame Bildungsangebote in der Siedlung: von der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus über eine katholische Kita bis hin zur Schule, die die Stadt Ludwigshafen auf einem benachbarten Grundstück baut.
Partizipation ist das Stichwort
Die Architektur unterstützt das lebendige Miteinander in der Siedlung, so dass gelingende Nachbarschaften auf verschiedenen Ebenen entstehen können: einmal in jedem Haus durch Gemeinschaftsräume sowie Gemeinschaftsflächen und –gärten im Innenhof. Dann in jeder Wohnanlage durch halböffentliche Gemeinschaftsflächen im Innenhof als Orte nachbarschaftlichen Miteinanders. Die dritte Ebene bilden die öffentlichen Begegnungs-, Spiel- und Bewegungsplätze für alle Altersgruppen.
Ein Begegnungshaus mit Gemeinschaftsräumen, Bistro und Ladengeschäft soll der zentrale Ort der Siedlung werden, an dem auch die Vernetzung mit den Angeboten des Heinrich Pesch Hauses erfolgt. Für das „urbane Dorf“ ist ein Verein vorgesehen, in dem Bewohner*innen sowie andere Aktive sich und ihre Angebote im Sozial-, Bildungs-, Kultur- und Freizeitbereich organisieren können. Quartiersmanager*innen sind von Anfang an präsent und fördern solidarisches Engagement der Bewohner*innen.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Fokus
Neben dem nachbarschaftlichen Zusammenleben legen die Planer*innen der Siedlung großen Wert auf eine möglichst optimale Schonung der natürlichen Ressourcen und der Umwelt. So wird die Heinrich-Pesch-Siedlung autoarm sein. PKWs finden in zwei Parkhäusern am Rande der Siedlung Platz. Das Mobilitätskonzeptes sieht eine neue Straßenbahnhaltestelle und Sharing-Angebote für E-Autos vor.
Das nachhaltige Energiekonzept setzt konsequent auf CO2-arme Technologien. Dazu gehören Photovoltaik, Fernwärme, Elektromobilität sowie ein Mieterstrommodell. Auch die zukunftsweisende Wasserstofftechnologie kommt zum Einsatz. Das Quartier wird großzügig bebaut und ist mit viel Grün durchzogen. Dächer und Fassaden werden begrünt. Um die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten, wurden Ausgleichsflächen für Tiere und Pflanzen erworben. Diese werden nach und nach bepflanzt. Eine Fläche in unmittelbarer Nähe zur Siedlung wurde als Habitat für Tiere ausgewiesen.
Breite Unterstützung für das Projekt
Das Siedlungsprojekt erfährt in Ludwigshafen und der Region große Unterstützung und Zustimmung. Seit der einstimmigen Annahme des Bebauungsplans durch den Stadtrat 2020 ist das Gelände erschlossen worden. Alle Tiefbauarbeiten sind abgeschlossen, die Straßen und Wege bereits angelegt. Und – das ist den Planer*innen besonders wichtig – über 60 Straßenbäume sind bereits gepflanzt.
Ende 2023 wurden die Verträge mit dem ersten Investor geschlossen, der rund 200 Wohnungen bauen wird. Diese können voraussichtlich 2027 bezogen werden. Verhandlungen mit weiteren Investoren laufen derzeit. Die Projektentwickle*innen rechnen mit einer Fertigstellung der gesamten Siedlung in 2030.
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Foto:
www.heinrich-pesch-siedlung.de