Männlichkeit muss nicht neu erfunden werden. Sie muss weiterentwickelt werden! Das Beste davon behalten, Schlechtes durch Neukonstruktion ersetzen. Den Schlüssel sieht Andreas Heek in der menschlichen Fähigkeit zur Empathie.
Ausgangslage: #MeToo und kein Ende?
Männlichkeit ist eine derzeit wieder stark hinterfragte Kategorie. Die #MeToo-Debatte hat dieser Hinterfragung diesen neuen Schub gegeben. Prominente Männer haben das Machtgefälle zwischen ihnen und den von ihnen abhängigen Frauen schamlos ausgenutzt und Frauen erheblichen Schaden zugefügt. Seitdem werden es immer mehr Frauen, die sich trauen, die Missstände zu benennen und Männer öffentlich an den Pranger zu stellen.
Dies wiederum hat unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die einen finden nicht korrekt, Dieter Wedel, den Filmregisseur, der unzählige Frauen bedrängt und sogar vergewaltigt haben soll, öffentlich vorzuverurteilen. Andere bagatellisieren die Entgleisungen als Kavaliersdelikt und drehen den Spieß um, indem sie Frauen vorwerfen, sie hätten sich selbst und freiwillig in die prekäre Situation gebracht.
Viele Männer schweigen zu alledem. Hörbar laut, finden wiederum andere. Aber warum? Ein kurzer Blick in die Geschichte der Männer der letzten fünfzig Jahre hilft vielleicht weiter.
Männer in Bewegung – kurze Geschichte der Männlichkeitsentwicklung
„Männer in Bewegung“ so hieß nicht nur die zweite große repräsentative Männerstudie, die u.a. von der „Gemeinschaft Katholischer Männer Deutschlands“ 2009 durchgeführt wurde. Der Titel beschreibt die Entwicklung von Männlichkeit des letzten halben Jahrhunderts auch heute noch treffend.
Der Patriarch
Er war der klassische Mann bis Ende des zweiten Weltkriegs. Er definierte sich überwiegend über Ehe und Familie, und zwar dort als Haushaltsvorstand, dem die Aufgabe zukam, das Einkommen der Familie zu bestreiten, der daraus aber auch meistens hegemoniale Ansprüche in der Familie für sich beanspruchte. „Kleine“ Schönheitsfehler: erstens: auch damals schon gab es Männer, die sich unwohl in dieser Rolle fühlten. Zweitens: auch damals reichte schon ein Gehalt nicht immer zur Ernährung der Familie. Frauen, die arbeiten gehen mussten, waren selbst darüber oft nicht erfreut; und die Familie war im Status der Orientierung an (groß)bürgerliche Verhältnisse marginalisiert, in denen die Frauen nicht berufstätig sein „mussten“, weil der Mann über genügend Geldmittel verfügte.
Der 68er
Die Revolte der Generation der sogenannten „Achtundsechsiger“ brachte vor allem einen Bruch mit der Vorkriegsmännlichkeit hervor. Sexuelle Freizügigkeit wurde jetzt offen und provokant inszeniert („Wer zwei mal mit derselben (sic: auch hier ist der hegemoniale Männlichkeit nicht verschwunden) pennt, gehört schon zum Establishment“). Verantwortung in Ehe und Familie wurde abgelehnt. Die väterlichen Vorbilder wurden vehement bekämpft, ein eklatanter Bruch mit der überbrachten Männlichkeit wurde inszeniert (lange Haare first, Berufsorientierung second). Aber auch hier gibt es einen Schönheitsfehler: der Bruch geschah nur scheinbar. Oftmals herrschten in den „Kommunen“ weiterhin in Freizügigkeit gekleidete Hegemonialansprüche der Männer. Auch gibt es kaum bekannte Studentenführerinnen. Allerdings bekam die feministische Bewegung einen erheblichen Schub nach der relativ kurzen Zeit der so genannten 68er Revolte.
Der „neue“ Mann
Seit Mitte der achtziger Jahre versuchten Männer zunehmend, sich selbst in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden. Die Forderungen der Frauenbewegung nach Gleichheit und Gleichberechtigung kam bei einem Teil der Männer an. Eine Verunsicherung war allenthalben zu spüren. „Wann ist ein Mann ein Mann?“ fragte Herbert Grönemeyer dann auch zutreffend. Unzählige Männergruppen gründeten sich, auch und besonders unter dem Dach der Kirchen. Eine regelrechte Suchbewegung nach neuer Männlichkeit entstand. Aber auch hier gab es Schönheitsfehler: erstens räumten die meisten Männer in Machtpositionen nicht ihre Posten oder brachen nicht mit ihren Privilegien. Zweitens beäugten viele Frauen die Suche der Männer argwöhnisch. Denn viele erwarteten auch weiterhin offen oder uneingestanden vom „echten“ Mann, dass er im Zweifel doch (vor allem nach Familiengründung) eine ganze Familie mit seinem Erwerbseinkommen ernähren können soll.
Der egalitäre Mann
Der egalitäre Mann gestaltet selbstbewusst Beziehungs- und Familienzeit, nimmt Elternzeit, kommuniziert seine Gefühle, kann seine Bedürfnisse kundtun, setzt sich für gleiche Rechte und Bezahlung für Frauen ein. Und bei alldem fühlt er sich gut als Mann. Tut Dinge, die er „tun muss“: am Auto schrauben, mit Kumpels einen trinken gehen, sich im Fußballverein engagieren, ein Steak auf den Grill legen, allein gegen sich und mit der Natur kämpfen…
Aber auch hier bleiben Fragen: Sind wir schon hier angekommen? Ist das mehr Wunsch als Wirklichkeit? Sind Männer so nur Sehnsuchtsbild für sich selbst oder in den Augen der Frauen?
Dekonstruktion oder Neukonstruktion? Nein: Intuition
Durch die gesamte Entwicklung von Männlichkeit der letzten fünfzig Jahren zieht sich Verunsicherung. Und dies hat einen bestimmten Grund: man kann die Kategorie „Geschlecht“ nicht dekonstruieren und dann ganz neu konstruieren. Der Mensch – und so auch der Mann – lässt sich nicht einfach nach der „Demontage“ neu zusammensetzen. Die Weiterentwicklung eines neuen Autos beruht auch immer auf der Basis von Komponenten „at its best“. Das Auto wird eben nicht immer wieder neu erfunden. Bei der Weiterentwicklung von Männlichkeit gilt dies auch.
Deshalb: Männlichkeit muss nicht neu erfunden werden! Sie muss lediglich weiterentwickelt werden. Das Beste davon behalten, Schlechtes durch Neukonstruktion ersetzen, das ist der Weg.
Aber wie können Männer dies erreichen? Indem sie ihre Intuition gebrauchen. Sie haben, weil sie Menschen sind, etwas entwickeln können, das Ethnologen als beim Menschen ausgesprochen ausgebildet finden: Empathie. Sie können sich in andere hineinversetzen, ihre Bedürfnisse spüren und sie in Kontakt bringen mit ihren eigenen. Dies reicht eigentlich schon aus, um das Gute der „alten“ Männlichkeit zu bewahren und neue Elemente zu integrieren. Männer brauchen also keinen endgültigen Schnitt mit ihren männlichen Vorfahren, sondern lediglich ein inklusives Denken mit modernen Anforderungen.
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Andreas Heek ist Leiter der Arbeitsstelle Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e.V.
Bild: pxiabay.com / CC0 Creative Commons
Redaktionsnotiz: Der vergangene Monat Mai 2018 war auf www.feinschwarz.net als „Frauenmonat“ konzipiert. Es kamen fast ausschließlich Frauen zu Wort.