Wie geht das – Bibelarbeit im Lockdown? Können digitale Bibelgespräche etwas leisten, das man nicht vermutet hätte? Katrin Brockmöller blickt auf die Erfahrungen von zwei Jahren zurück.
Es ist Freitag abends. Auf meinen Zoomkacheln sehe ich gut 60 Gesichter. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters. Alle schweigen. Schon seit einigen Minuten ist einfach Stille. Manche haben die Augen geschlossen. Auch gefaltete Hände sehe ich und geöffnete Bibelausgaben.
Eine Stunde lang haben wir miteinander nach der Methode der Lectio Divina unsere Beobachtungen, Fragen und Entdeckungen zu einem Bibeltext geteilt. Und einander dabei auch in großer Offenheit gezeigt, wo wir selbst angesprochen sind. Von inneren Bewegungen wurde erzählt, von eigenen Erfahrungen, von Sorgen ebenso wie von Trost und Freude.
Nun sinnen wir nach und verkosten.
Dieses Schweigen allein ist es wert, denke ich.
Danke.
Im Chat lese ich:
„Was für ein Segen.
Danke für diese Zeit des Verweilens mit dem Wort Gottes.
Zusammenkommen, die Bibel miteinander teilen ist wie die Begegnung im Tempel mit dem Erlöser der Welt, dem Licht für die Menschheit.
Heute Abend waren Simeons und Hannas unter uns.
Diese Stille am Schluss ist wie ein Ruhen in der Dankbarkeit des Teilens.
Ich danke allen.“
Einige wenige kenne ich, manche erkenne ich wieder, weil es nicht der erste Abend ist, den wir anbieten. Viele sind immer wieder dabei. Es ist nicht die einzige digitale Bibelrunde, die ich nun seit zwei Jahren erlebe. Mein Eindruck wird immer stärker: An sehr vielen Orten haben Menschen online einen Weg gefunden, einfach und unkompliziert miteinander biblische Texte zu lesen. Vielleicht ist diese Form oft sogar einfacher, als sich an den klassischen Bildungsorten – in Kirchen, Pfarrzentren und Tagungshäusern – zu treffen.
Es ist ein einfacher Ort – anders als Kirchen und Tagungshäuser
Häufig werden digitale Bibelbegegnungen von Mitarbeiter:innen der Kirchen angeboten, manchmal als Notlösung, weil Seminare und andere Bildungsangebote wegen der Pandemie nicht möglich sind. Von vielen höre ich auch, dass sich kleinere Kreise einfach so zusammengetan haben, um gemeinsam Bibel zu lesen. Aus Sehnsucht, weil die klassischen Orte fehlten – zunächst.
„Herzlichen Dank für diese Stunde. Corona bedingt habe ich lange keine Lectio Divina mehr erlebt.“
Immer mehr finden digitale Bibellektüren aber statt, weil die gemachten Erfahrungen tragen, weil diese Verbundenheit so notwendig ist, weil das eigene Leben so gehalten ist und angesehen ist und geteilt werden kann mit anderen. Sogar mit Menschen, die lang vor mir lebten und ihre Erfahrungen in das biblische Wort eingewebt haben. Theologisch gesprochen: Weil eben Gott in seinem Wort präsent ist. Diese Präsenz ist völlig unabhängig davon, ob die Gruppe in einem realen Raum zusammen ist oder virtuell. Ich habe sogar das Gefühl, dass ein gemeinsames Verweilen in Stille, in der Gegenwart des Heiligen Wortes, online für manche einfacher ist. Es gibt eine Verbundenheit, aber ich bin für mich. Ich muss mich mit den realen anderen, ihren Geräuschen und Bewegungen nicht beschäftigen. Die Stille ist nicht peinlich, sondern entsteht aus der Erfahrung. Ich bin geschützt und gleichzeitig in Gemeinschaft.
Ein Ort des Schutzes und der Gemeinschaft zugleich: der digitale Ort.
In dieser Meditation erleben Menschen intensiv Gottes Gegenwart, die aus dem Teilen des Wortes erwachsen ist. Vielleicht ist die Aufforderung, das, was im Gespräch und im Schweigen erfahren wurde, im Chat zu teilen, eine Form, Worte für die eigene Gottesbegegnungen zu finden, die sonst nicht ausgesprochen würden:
„Ja, die eigenen Schatten verwandeln lassen und sehen in Seinem Licht. Ich stehe in seinem Licht.“
„Mir wird das Kind in die Hände gegeben. Ich nehme es an. Und jetzt, was mache ich damit? Es lächelt mich an und ich stehe im Licht.“
Wie kostbar sind diese Erfahrungen. Beide enden mit der Erfahrung, im Licht zu stehen. Sie wurden unabhängig voneinander nach einem Austausch zu der lukanischen Erzählung von Simeon und Hanna (Lukas 2,22-40) im Chat veröffentlicht.
Immer wieder äußern Menschen verwundert: Ich hätte nicht gedacht, dass das online geht. Aber ich habe es sehr intensiv erlebt. Ein Mann schrieb gestern abends in den Chat: „Das Geheimnis entfaltet sich …“ Eine Frau vor einigen Wochen: „Hier dabei zu sein ist wie Wandeln zwischen Orten, nein zwischen den Welten. Ich spüre Dankbarkeit von innen nach außen und zurück.“
Nähe und Distanz werden mit der digitalen Bibelarbeit regulierbar, wie sie es sonst nicht waren.
Meine persönlichen Erfahrungen beziehen sich vor allem auf die Methode der Lectio-Divina. Ich weiß von vielen, dass auch sehr viele andere Formen biblische Texte miteinander zu teilen, praktiziert werden und ebenso intensiv erlebt werden. Die Bandbreite reicht von klassischen Bibelarbeiten, über Bibliolog, Bibelteilen hin zu vielen weiteren, auch sehr kreativen Zugängen.
Für mich zeigt sich hier etwas Neues in der Bibelpastoral, das hoffentlich auch nach der Pandemie genutzt und angeboten wird. Die digitalen Bibelangebote fördern und ermächtigen Menschen im Umgang mit der Heiligen Schrift, in ihrem Bibelwissen, in ihrem Glauben und ihrer Lebensgestaltung – wie das auch präsentische Veranstaltungen tun. Wie bei allen Zugängen, wird es Frauen und Männer geben, die damit nichts anfangen können – gleichzeitig zeigt die Erfahrung aber auch, dass gerade das „zu Hause bleiben können“ und doch mit weit entfernten Menschen in Kontakt zu sein, neue Chancen auf Kontakt ermöglicht. Nähe und Distanz sowohl zum Text als auch zu denen, mit denen ich den Text teile, organisiert sich online einfach anders – ohne dabei schlechter oder besser zu sein.
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Dr. Katrin Brockmöller leitet das Katholische Bibelwerk e.V. Vor allem im Rahmen des Lectio-Divina-Projekts befasst man sich dort seit vielen Jahren mit dem Versuch, Lesepraxis und Glaubensleben neu aufeinander zu beziehen. Im Jahr 2022 wird an jedem 14. des Monats zu einer Stunde digitaler Lectio Divina eingeladen. Mehr Information: www.lectiodivina.de.
Bild: CFalk – pixelio.de