Jagd und Kirche – eine alte Verbindung, die auch heute noch in den Hubertusmessen gefeiert wird. Roman Werner erzählt von einer persönlichen Begegnung, die die Widersprüchlichkeit des Tötens und der liturgischen Überhöhung deutlich macht.
Als jemand, der den Großteil seines Lebens in der Stadt verbracht hat, gebe ich den perfekten Vegetarier ab. Immerhin habe ich ein höchst defizitäres Verhältnis zur Natur. Im Besitz einer kleinen Hütte mit dazugehörigem Wald komme ich dorthin eigentlich nur zum Pilze-Suchen. Und zum Entspannen. Zum Abschalten, vom rasenden Alltag, dem Hupen und Hetzen. Ich komme vielleicht für das Knistern des Holzofens, für die eiskalte Dusche oder ein paar rustikale Minuten auf dem Plumpsklo. Das fühlt sich naturverbunden an. Aber von der Natur selbst habe ich keine Ahnung.
Das fühlt sich naturverbunden an.
Aber von der Natur selbst habe ich keine Ahnung.
Ich treffe, wie eigentlich jedes Jahr, einen alten Bekannten im Wald. Besser: einen sehr alten Bekannten meines lang verstorbenen Großvaters. Er ist heute wie damals 91 und vergisst ständig, wer ich genau bin. Wir stellen uns (wiedermal) vor, dann dämmert ihm etwas von meinen Ahnen und er erzählt von gemeinsamen Jagdausflügen mit ihnen und anderen mir völlig unbekannten Menschen. Irgendwann, nach der ein oder anderen Viel-Ender-Geschichte, fragt er mich, woher ich komme. Aus Graz, antworte ich. Aus Graz? Ja, Graz kenne er sehr gut, er sei als junger Mann dort im katholischen Priesterseminar gewesen. Er habe zwar geheiratet, aber – er betont dies mit leichtem Grinsen – den Glauben an G*tt dennoch nie verloren.
In meiner Hand sind graue Fäden, Nadeln und Chitinhüllen ehemaliger Beute.
Einige Tage später begleite ich ihn auf einen Hochsitz. Wir fahren mit dem Geländewagen auf wenige Meter zu, nehmen etwa zehn Sprossen einer aus Fichtenstangen gezimmerten Leiter. Ich bin nicht das erste Mal in einem solchen Jagdstand. Als Kind habe ich ähnliche heimlich betreten. Die kleinen Fenster lassen sich mittels einfacher Haken öffnen und schließen, die Luft riecht nach alten Brettern und Harz. Ich wische einige Spinnweben beiseite, bevor ich mich hinsetze. Ob mich die Netze störten, fragt mein Begleiter amüsiert. In meiner Hand sind graue Fäden, Nadeln und Chitinhüllen ehemaliger Beute. Ich wische sie etwas angeekelt an meinem Hosenbein ab. Menschen seien nicht die einzigen Lebewesen, die auf die Jagd gehen, höre ich. Sehr grausam, diese Spinnen, müsse ich wissen. Verzehren ihre Beute mitunter lebendig. Oder wickeln sie ein und lassen sie lange hängen.
Vegetarier wüssten so wenig von der Natur….
In der ersten Stunde im Jagdstand schweigen wir, abgesehen von einigen kurzen Fragen meinerseits, welche Bäume hier wachsen und welche Sträucher dort. Dann plötzlich blickt mich der alte Bekannte meines Großvaters lange und intensiv an, bevor er wieder in die Ferne schaut. Sie sind Vegetarier, stimmt‘s? Ich nicke. Woher er das wisse, frage ich. Vegetarier wüssten so wenig von der Natur, knallt er mir kühl vor die Stirn, das merke man sofort. Sie seien aber oft ganz brauchbare Theologen. Er wolle mir eine Geschichte erzählen, fährt er fort, nur um wieder einige Minuten zu schweigen. Dann holt er tief Luft, senkt den Kopf leicht und spricht mit geschlossenen Augen. Er erzählt von einem Tag im Spätherbst. Er ist allein auf Jagd, im Vergleich zu heute ein rüstiger Bursche damals. Perfekter Blattschuss. Der Bock läuft kurz weiter und sinkt dann ins Gras. Er, der Schütze, kniet sich neben das geschossene Tier, um ihm den Bruch ins Maul zu geben; den letzten Bissen. Was das sei? Naja, das sei ein kleiner Fichtenzweig, ein Zeichen der Versöhnung mit dem erlegten Tier. Eine Wiedergutmachung für das beendete Leben. Der Bock sei für die Hubertusmesse am Abend bestimmt gewesen. Interessant, kommentiere ich. Ansonsten hat seine Geschichte keine erkennbare Pointe.
Tote Tiere … Teile der Liturgie … zur Vergebung der Schuld?
Dass wir tote Tiere, deren Lebensende wir herbeigeführt haben, in unsere heiligen Stätten tragen, singend und läutend in Teile der Liturgie verwandeln, habe er als Christ immer hinterfragt, setzt er plötzlich fort. Zur Vergebung der Schuld für das Bringen des Todes? Für das Seelenheil der Jäger*innen oder einer Beute, der die unsterbliche Seele ohnedies fehle? Zu Ehren G*ttes? Nein. Man könne sich bestimmt sehr lange hinter theologischen Fachbegriffen und menschenzentrierten Bibeldeutungen verstecken. Aber am Ende sei es weitaus banaler. Es gehe um Sakralismus. Darum, es sich mit den politisch Herrschenden und dem alten Adel nicht zu verscherzen. Diese Leute jagen eben oft gerne und erwarten, anstatt Empathie für Wildtiere oder ehrliche Kritik an jahrhundertealten Praktiken, die sakrale Legitimation der jagdlichen Tradition.
Sie würden auch einen guten Vegetarier abgeben, spotte ich. Wir schmunzeln. Ja, Sie haben recht – egal wie salbungsvoll gesprochen und unter welcher Orgelbegleitung – es gibt keine Wiedergutmachung für unnötig genommenes Leben.
Dr. Roman Werner ist Tierethiker, Theologe und Lehrer. Er forscht und lehrt am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.
Beitragsbild: Nicolai Dürbaum, unsplash.com