Den Hype um Erik Flügges Buch „Jargon der Betroffenheit“ nimmt Arnd Bünker zum Anlass für einen zweiten Blick auf das Buch. Zwar treffen die Phänomenbeschreibungen Flügges zu, die Analyse müsste aber tiefer greifen. Die Kirche „verreckt“ nicht an ihrer Sprache, sie hat ein Relevanzproblem. Die Relevanzkrise lässt sich mit Sprachoptimierung bestenfalls kaschieren aber nicht beheben. Predigerinnen und Prediger müssen je eigene Wege zur Relevanz finden.
Erik Flügge macht einen wirklich guten Job. Sein Buch ist luftig und gerade so frech formuliert, dass man es eben noch akzeptieren kann. Er meint es ja alles gar nicht so ernst, er nimmt harsche Urteile stets wieder zurück und gesteht seine eigene Ratlosigkeit. Das Buch verkauft sich grossartig. Das kirchliche Publikum, das sich beschimpft fühlen könnte, applaudiert, die Einladungen zu Podien und Diskussionen sind zahlreich und die Präsenz in den sozialen Medien ist allgegenwärtig. Erik Flügge ist Kommunikationsfachmann – und das merkt man dem erfolgreichen Wirbel um das Buch an.
Beziehungs- und Sachebene des Buches
Der Hype um das Buch stellt sich für mich in einem anderen Licht dar, wenn man auf den Inhalt schaut. Verschiedene Inhaltsebenen werden miteinander verwoben. Neben Sachthemen, Analysen und Tipps des Kommunikationsfachmanns gibt es eine zweite Ebene: Erik Flügge zeigt seine eigene Ratlosigkeit, sein Zögern, sein Zweifeln gegenüber den eigenen Urteilen. Er präsentiert sich damit in einer Rolle, die derjenigen eines Predigers oder einer Predigerin beim Verfassen einer Predigt nahe kommen dürfte. Auch sie wissen, was aus theologischen Gründen gesagt oder nicht gesagt werden sollte. Sie haben ihre Ideen und ihr Handwerksmaterial. Doch zugleich spüren sie den Zweifel an jedem Wort und jedem Satz. Sie ringen um die Qualität einer Predigt – und um ihre Grenze. Kurz: Erik Flügge schafft mit seinem Buch Identifikationsmöglichkeiten zwischen sich und seinen LeserInnen. So bewahrt er die Nähe zu denen, deren Tun er kritisiert. Weite Passagen des Buches lesen sich wie eine Kumpanei mit allen, die um eine gute Verkündigung ringen. Diese können schliesslich sagen: Hier versteht uns einer, hier spricht uns einer aus dem Herzen, hier spricht einer von uns.
Erik Flügge schafft mit seinem Buch Identifikationsmöglichkeiten zwischen sich und seinen LeserInnen.
Die Sachanalyse kirchlicher Kommunikation und Sprache, die Erik Flügge vorlegt, ist pointiert, und im Kern richtig. Die religiöse Kommunikation, die in Kirchen gepflegt wird, ist oft hilflos. Der „Kirchensprech“ verliert sich regelmässig in Banalitäten oder Floskeln. Er will nett sein, ist aber häufig nur belanglos.
Aber: all dies ist längst bekannt – und es wieder einmal ausgesprochen zu haben, erklärt nicht den Erfolg des Buches, das zudem keinerlei neue Perspektiven eröffnet und keine Lösungen des Problems präsentiert, die man nicht auch andernorts längst zu Papier und zur Gehör gebracht hätte.
Ein Hype um ein gefälliges, nicht gefährliches Buch
Ich fürchte, dass der Erfolg des Buches gerade darin liegt, das es das Grundproblem kirchlicher Verkündigung umgeht! Das Buch funktioniert wie ein Ablenkungsmanöver – selbst wenn dies nicht seine Intention ist. Es lenkt jedenfalls den Blick nur auf Symptome und rät zur Symptombehandlung, vor allem zur Sprachoptimierung. Der Titel des Buches „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ verstärkt diesen Fokus – auch wenn der Text selbst hier und da einen etwas weiteren Blick verrät. Mit dem Fokus auf die Sprachoptimierung geht es jedenfalls nur noch um das Handwerkliche. Das kann prinzipiell erlernt und verbessert werden, liegt also im Bereich des Ungefährlichen und Machbaren – und das beruhigt. So müssen sich die VerkündigerInnen nicht allzu hilflos fühlen. An der Sprache zu laborieren, ist eine überschaubare und irgendwie leistbare Aufgabe. Das Grundproblem scheint lösbar zu sein: Unser „Jargon“ lässt sich sicherlich irgendwie verbessern. Wir verkaufen uns nur schlecht. Kein Grund zur Beunruhigung, so die trügerische Botschaft des Buches bzw. die fahrlässige Suggestion hinter dem Hype um das Buch.
Das Buch umgeht das Grundproblem der Kirchen – darin liegt sein gefährliche Gefälligkeit.
Der grosse und von weithin kritikloser Zustimmung geprägte Wirbel um das Buch signalisiert aus meiner Sicht, dass das Problem der Kirche noch viel grösser ist, als nur ein Sprachproblem. Der laute Jubel um das Buch verdrängt die stille Angst vor dem eigentlichen und fundamentalen Problem der Kirchen: Sie haben ein echtes und fundamentales Relevanzproblem, sie kämpfen gegen ihre weitgehende Bedeutungslosigkeit an.
Fundamentales Relevanzproblem
Dieses fundamentale Relevanzproblem der Kirchen, ihre Unfähigkeit, das Evangelium so zu kommunizieren, dass seine lebensnotwendige Bedeutung verstehbar und erfahrbar wird, lässt sich nicht allein sprachlich und mit Kommunikationsoptimierung lösen. Ebenso scheint es mir verfehlt, die Predigerinnen und Prediger an den Pranger zu stellen. Diese sind viel zu sehr eingewoben und eingeschworen in eine kirchliche Kommunikationstradition, aus der auszubrechen das Risiko des Ausschlusses aus der Kommunikationsgemeinschaft birgt. „Relevanz“ der Verkündigung gibt es nicht ohne Risiko.
Es ist verfehlt, die Predigerinnen und Prediger an den Pranger zu stellen. Im Zentrum der Kritik müsste die Verquickung von Verkündigung und Machtinteressen stehen.
Die vordergründige Sprachproblematik der Kirchen verweist also auf eine grössere Problematik, nämlich eine Systemproblematik der Kirchen. Diese hängt mit ihrer lang eingespielten und Kultur gewordenen Vermischung von Religion und Macht zusammen. Auf der Folie dieser Systemproblematik lässt sich das heutige Relevanzproblem der kirchlichen Verkündigung erklären. Wo kirchliche Machtinteressen mitspielen – und mögen sie noch so wohlmeinend sein – verschiebt sich die Relevanz der kirchlichen Verkündigung. Wo die Machtspiele heute aber nicht mehr funktionieren, verliert die von ihnen geprägte Verkündigung ihre Bedeutung – was eigentlich positiv ist. Zwei Hinweise auf den Kern der Relevanzproblematik der Kirchen möchte ich skizzieren.
Predigt als Kundenbindung und die Infantilisierung der Glaubenskommunikation
Relevanz der Verkündigung wurde und wird oft als kirchliche Kundenbindung missverstanden: Relevante Verkündigung hält die Leute bei der Stange. Strategisch setzte man hier schon lange bei Kindern an, die man früh zu kirchenfrommen KirchgängerInnen formen wollte. Damit geriet die Verkündigung oft zur Katechese und zur Pädagogik. Entsprechend wurde die Sprache mehr und mehr auf Kinderniveau und der Inhalt auf Kinderthemen herabgebrochen.
Kundenbindung und Infantilisierung
Heute scheint es fast so, als lasse sich ein Zugang zum Geheimnis des Glaubens auch in der Kommunikation mit Erwachsenen nur um den Preis der Infantilisierung erreichen. Wenn sich Erwachsene von dieser Art der Verkündigung abwenden, sollte man dies aus theologischen und Glaubensgründen eigentlich begrüssen – und die Chance erkennen, die sich darin zeigt, nämlich das Gespür und (vielleicht) die Sehnsucht nach einer relevanteren Rede von Gott.
Sakramentale Kommunikation unter Erlaubnis- und Kontrollbedingungen
Neben der Sprache der Verkündigung spielt vor allem in der katholischen Tradition die symbolische Kommunikation durch die Sakramente eine herausgehobene Rolle. Die Sakramente sind quasi ganzheitlich angelegte symbolische Grundvokabeln des christlichen Glaubens. Genau diese Grundvokabeln haben ihren Sinn für die meisten Gläubigen verloren. Sie werden als Fremdsprache, als Kauderwelsch wahrgenommen. Hier liegt der Umfang des Relevanzverlustes christlicher Religion offen zu Tage: Wo sogar die Grundvokabeln irrelevant geworden sind, hilft es wenig, die Verpackung zu verschönern. Der Kern steht in Frage!
Sakramente haben für die meisten Gläubigen ihren Sinn verloren.
Einer der Gründe für den empirisch seit Jahrzehnten nachweisbaren Relevanzverlust der Sakramente dürfte auch hier in der Verquickung der Eigenbedeutung der Sakramente mit den Macht-, Bindungs- und Kontrollinteressen der Kirche liegen. Sakramente, wie wir sie heute kennen, wurden vor allem in der Folge der Reformation und dann als kirchliches Milieu-Bindemittel im 19. und 20. Jahrhundert stark verrechtlicht. Der Zugang wurde verbürokratisiert. Unter einen solchen Zulassungs- und Erlaubnisdiskurs gestellt, haben sich ihre positiven Inhalte verschoben und verdunkelt. Sakramente wurden zur Belohnung für anständig-normierte Lebensführung und zum Ausweis kirchenfrommer Disziplin. Der heutige Abschied von den Grundvokabeln des christlichen Glaubens ist also nicht unbedingt ein Hinweis auf die Schwierigkeit sakramentaler, symbolischer Glaubenskommunikation an sich, sondern eine Kritik an der problematischen Verquickung von Religion und Macht im Blick auf die Sakramente.
Verkündigerinnen und Verkündiger adressieren – aber richtig
Erik Flügge adressiert das kirchliche Verkündigungspersonal mit seinen Beschreibungen misslungener religiöser Kommunikation. Er verlagert das Kommunikationsproblem, das die Kirchen zweifelsfrei haben, auf die Schultern des Personals. Dabei übersieht er die systemischen und historisch gewachsenen Hindernisse einer unter heutigen Bedingungen relevanten Glaubenskommunikation. Von daher wird die Frustration beim Kirchenpersonal wohl nicht lange auf sich warten lassen. Der Wutschrei, der auf die Oberfläche der Verkündigungsschwierigkeiten zielt, mag im Augenblick und aus vollem Herzen geteilt werden. Lösungen gehen aber über Symptombehandlungen hinaus. Tröstend für alle, die dennoch verkündigen und predigen müssen, ist der Massstab, den die Kirche selbst formuliert. In der Diakonenweihe wird der Qualitätsanspruch an die Verkündigung auf menschliches, aber keinesfalls anspruchsloses Mass reduziert:
„… was du verkündest, erfülle im Leben“
Der offizielle Auftrag zur Verkündigung ist gänzlich frei von kirchlichen Machtansprüchen, Kundenbindungsinteressen oder von pädagogischen Funktionalisierungen. So frei, dass Verkündigung für alle, die predigen, höchst riskant ist:
„Empfange des Evangelium Christi:
Zu seiner Verkündigung bist du bestellt.
Was du liest, ergreife im Glauben;
was du glaubst, das verkünde,
und was du verkündest, erfülle im Leben.“
Hier ist die Relevanz der Verkündigung schon eingebaut – nicht auf Seiten der Adressaten einer Predigt, aber auf Seiten derjenigen, die predigen. Es geht „nur“ darum, das zu verkündigen, was sie selbst in ihrem Glauben und Leben erfassen und verbürgen können.
Riskante Relevanz kirchlicher Verkündigung
Ich meine, dass mit Papst Franziskus ein solcher Verkündiger an prominenter Stelle zu finden ist. Seine Predigten sind sicher oft subjektiv und von eigenen Erfahrungen geprägt. Gerade darin sind sie aber glaubwürdig, ohne dass man sie immer in allen Punkten kritiklos akzeptieren müsste. Auch im Umgang mit den Sakramenten signalisiert Papst Franziskus, dass ihre innere Relevanz, ihre heilsame Logik die rechtlichen und bürokratischen Abgrenzungen wohltuend und befreiend relativiert.
Arnd Bünker ist Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen, geschäftsführender Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz und Titularprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg.