Die großen Kirchen verfügen in Deutschlands Ballungsräumen über imposanten Besitz an Immobilien. Pia Arnold-Rammé verweist auf die gesellschaftliche Verantwortung und sozialpastoralen Potenziale, die sich daraus ergeben.
„Jeder Mensch braucht ein Zuhause“, so lautete das Jahresmotto des Deutschen Caritasverbandes 2018. Das greift eine Entwicklung auf, die schon lange davor in deutschen Städten deutlich wurde: Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware, Wohnen ist die entscheidende soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Ein paar beispielhafte Zahlen aus Frankfurt am Main, die das belegen können: Frankfurt hat nach München im Durchschnitt die höchsten Mieten in Deutschland. Die ortsübliche Vergleichsmiete lag 2021 bei 10,29 Euro pro Quadratmeter – und damit 9,9 Prozent über dem Wert im Mietspiegel 2018. Die Angebotsmieten für Neubauten lagen mit 15,44 Euro pro Quadratmeter noch deutlich darüber. Nach einer Untersuchung des Frankfurter Immobilien- und Beratungsunternehmens Immoconcept sind die durchschnittlichen Mieten in Frankfurt in den vergangenen zehn Jahren um rund 36 Prozent gestiegen – und damit fast doppelt so stark wie die Einkommen. So müssen Haushalte einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Ein Haushalt aus drei Personen, der 30 Prozent für die Warmmiete einer Bestandswohnung im Stadtteil Bornheim ausgeben will, muss nach Zahlen von Immoconcept inzwischen über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens 7088 Euro verfügen. Im Vergleich: ein zwei Gymnasiallehrer*innen, je 100% Beschäftigungsumfang, mit zwei Kindern kommen in etwa auf diese Summe.
Auflistung kirchlicher Immobilien
Ende 2020 hatte das Frankfurter Amt für Wohnungswesen nur noch Belegungsrechte für 30.477 Wohnungen, natürlich alle bewohnt. Gleichzeitig standen zu diesem Zeitpunkt 8973 Haushalte mit zusammen 22.832 Menschen auf der Warteliste des Wohnungsamts.[1]
Im Bistum Limburg gibt es seit einigen Jahren ein Projekt, dass sich dieser Thematik widmet: Kirchliche Immobiliensicherung, kurz KIS genannt. Im KIS-Projekt werden alle Immobilien der Pfarrei aufgelistet und von einer externen Firma baulich und in Hinblick auf zukünftige Renovierungsbedarfe bewertet. Anschließend werden von der Pfarrei die Nutzungen der Räume dokumentiert. Bischöfliches Ordinariat und Pfarreigremien entwickeln auf dieser Grundlage ein gemeinsames Konzept für die Zukunft. Es wird entschieden, welche Immobilien dauerhaft erhalten werden sollen, welche nicht langfristig erhalten werden können und welche aufgegeben werden sollen bzw. müssen. Auf dieser Grundlage gibt es einen guten Überblick über alle kirchlichen Immobilien, die nicht mehr dauerhaft für pastorale Zwecke in der Pfarrei genutzt werden.
Umwidmungen von Immobilien?
Die spannende Frage ist die: wie können diese beiden „Bewegungen“ – der deutliche Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die kirchliche Aufgabe der Immobilienstrategie und damit auch der Veräußerung von Immobilien – zusammen gebracht werden? Eine einfache Antwort im Sinne von „Nutzen wir sie für die Umwidmung in bezahlbaren Wohnraum“ ist so einfach nicht zu realisieren. Die meisten Pfarreien müssen sich ja auch deshalb von Gebäuden trennen, damit ihre finanzielle Existenz dauerhaft gesichert ist. das heißt der Verkauf bzw. die Verpachtung von Grundstücken muss auch Einnahmen generieren und kann nicht nur nach sozialen Gesichtspunkten erfolgen.
Ein weiteres „Hindernis“: Die meisten dieser Flächen der Pfarreien sind im Bebauungsplan der Städte als Flächen für Gemeinbedarf ausgewiesen. Da die Veränderung des Bebauungsplans ein sehr schwieriges und langwieriges Verfahren ist, sind der Umwidmung in Wohnraum enge Grenzen gesetzt. Aber das Anliegen „Gemeinbedarf“ ist natürlich auch ganz im Sinne der Kirchen: Eine Stadt darf ja nicht nur mit Wohnungen und Gewerbebauten vollgepflastert werden. Für ein gelingendes Gemeinwesen sind Flächen des Gemeinbedarfs wie Schulen, Krankenhäuser, Kirchen… und auch Parks, Spielplätze, Bürgerhäuser … von großer Bedeutung. Hier gilt es auch im Sinne einer Immobilienstrategie neu nachzudenken und eine zeitgemäße Umsetzung dieses Gedankens Gemeinbedarf für diese Flächen der Kirchen zu planen. Ein weitere Aspekt: Kirchen und Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Hier gibt es strenge Auflagen, die bei der Umwidmung beachtet werden müssen.
Kirchliche Mitverantwortung für die Gestaltung des städtischen Raumes.
Diese Überlegungen zeigen: Die Kirchen tragen eine große Verantwortung für die Gestaltung des städtischen Raumes und können einem sinnvollen Beitrag mit ihren Gebäuden zum Wohle der Stadtgesellschaft und natürlich vor allem der Menschen dieser Stadtgesellschaft leisten.
Die katholische Stadtkirche in Frankfurt hat sich dieser Verantwortung gestellt und verfolgt seit 2018 mit einer Projektgruppe Bauen und Wohnen verschiedene Aspekte des Themas. So wurde unter anderem ein „Leitfaden Wohnen“[2] erstellt. In diesem Leitfaden Wohnen geht es um soziale Vermietungskriterien für Wohnungen im Besitz von Kirchengemeinden, um die Möglichkeiten der temporären Wohnraumvermietung über den Frankfurter Caritasverband, die Möglichkeiten der Konzeptvergabe bei der Veräußerung von Grundstücken und um einen sogenannten „Letter of Intend“. Dies ist ein wichtiger Aspekt, der die Frage des Gemeinbedarfs für kirchliche Grundstücke berührt. Es bezieht sich auf eine besondere Situation: in einer Kirchengemeinde wurde ein Wohnhaus von Priestern des Oratoriums des hl. Philipp Neri bewohnt. Dieses Oratorium ist ausgezogen und es war die Frage, wie man das Gebäude zukünftig nutzen soll. Die Gestaltung des Hauses legte es nahe, dieses einer Gruppe des Netzwerks gemeinschaftlichen Wohnens, das in Frankfurt schon einige Jahre existiert, anzubieten. Man wurde sich einig mit einer Genossenschaft, die für eine Gruppe aus diesem Netzwerk bauen bzw. umbauen will. Diese Wohngruppe besteht aus Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Lebensformen, die gemeinsam leben wollen und sich für den Stadtteil und das Gemeinwesen engagieren möchten. Die Stadtverwaltung legte zunächst ihr Veto ein, denn auf der Fläche liegt Gemeinbedarf. Ein gemeinsam verfasster „Letter of Intend“ von Pfarrei, Stadtkirche und Wohngruppe überzeugte das städtische Bauamt. In diesem Brief wird dargelegt, dass die Lebensform der Gruppe eine veränderte Weiterführung der Grundidee des Oratoriums des heiligen Philipp Neri ist. Hier wie dort entschließen sich Menschen zu einem Zusammenleben, das nicht nur für sich selbst steht, sondern das Gemeinwohl im Blick hat, wenn auch mit unterschiedlichem Weltanschauungshintergrund.
Sehr langer Atem für die Umsetzung.
Zwei weitere Projekte in Frankfurter Pfarreien, die Wohnraum schaffen, der mit dem Gemeinbedarf in Einklang steht:
Ein ehemaliges Schwesternhaus wird zum Wohnraum für geflüchtete Familien. Der Umbau geschieht so, dass die Kapelle des Hauses mit Zugang für die Gemeinde erhalten bleibt.
Ein ehemaliges Gemeindezentrum wird abgerissen, der Neubau gemeinsam mit dem Caritasverband errichtet. Es entstehen Wohnungen für betreutes Wohnen von Menschen mit Beeinträchtigung, hochpreisiges Wohnen, das weitere Wohnungen zu günstigeren Preisen (mit)finanziert und Gemeinschaftsräume zur gemeinsamen Nutzung für alle Mieter:innen und die Pfarrei.
Deutlich wurde bei all diesen Projekten auch, dass man einen sehr langen Atem für die Umsetzung braucht, denn viele Hindernisse stellen sich in den Weg. Zunächst muss man die Menschen in der Pfarrei überzeugen für die Ideen gewinnen. Und dann müssen viele bürokratische Hürden überwunden werden, nicht nur bei städtischen Ämtern, sondern auch in der bischöflichen Behörde.
Ehrenamtliches Engagement bei Vermietung nach sozialen Kriterien
In der Befassung mit dem Thema Bauen und Wohnen in den synodalen Gremien der Kirche ist auch deutlich geworden, dass ehrenamtliches Engagement wichtig ist. Wenn Pfarreien Wohnraum nach sozialen Kriterien vermieten, dann bedarf es auch eines entsprechenden Einsatzes der dafür zuständigen Gremien. Wohnraumvermietung z.B. an Geflüchtete oder ehemals Wohnsitzlose läuft nicht immer reibungslos ab, manch andere Mieter:innen sehen die Welt anders und es kommt zu Konflikten. Da steht zwar sozialarbeiterische Kompetenz über die Wohnraumhilfe des Caritasverbandes zur Seite, aber auch Ehrenamtliche in den Verwaltungsräten sind dann gefordert. Gerade dieses soziale Engagement ist meist eher in Pfarrgemeinde- als in Verwaltungsräten im Blick. Pfarreien, die dieses Anliegen bei der Bewirtschaftung ihrer Gebäude im Blick haben, sorgen jedoch auch für die entsprechende ehrenamtliche Kompetenz in den Verwaltungsräten.
Die Wohnungsbau-Politik katholischer Siedlungswerke.
Ein weiteres Anliegen hat vor allem der Vorstand der Frankfurter synodalen Gremien vorangetrieben: es gibt in Frankfurt einen katholischen Wohnungsbauträger, das Gemeinnützige Siedlungswerk (GSW) in gemeinsamer Trägerschaft der Bistümer Limburg, Erfurt, Mainz und Fulda und deren Caritasverbände. Es bewirtschaftete allein in Frankfurt knapp 4000 Wohnungen. Das GSW baut auch immer wieder neue Wohnungen, so z.B. in Kooperation mit einer Pfarrgemeinde in Frankfurt, darunter auch Sozialwohnungen. Trotzdem stellt sich die Frage: Wenn die katholische Kirche sich Siedlungswerke leistet (das GSW ist ja nicht das einzige seiner Art) muss dann nicht viel deutlicher erkennbar sein, dass die Wohnungsbaupolitik eine andere ist? Es wird immer wieder mit ökonomischen Zwängen argumentiert. Diese treffen aber auch andere. Und trotzdem schaffen es zum Beispiel Wohnungsbaugenossenschaften immer wieder, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sogar Sozialarbeiter:innen für die Mieter:innen einzustellen und mit Gruppen des gemeinschaftlichen Wohnens mit Extrawünschen zu bauen. Warum sind diese Siedlungswerke keine Genossenschaften? Die Träger der Wohnungsbaugesellschaften müssen ihren Auftrag für diese deutlicher wahrnehmen und sie in eine gesamte Immobilienstrategie eines Bistums einbinden. Doch in welchen Bistümern gibt es eine grundlegende Immobilienstrategie? Die Kirche mit all ihren Akteuren – Pfarreien mit ihren Gebäuden vor Ort, Wohnungsbaugesellschaften, Flächen für Gemeinbedarf – stellt eine große Ressource, die gesellschaftlichen Gestaltungspielraum eröffnet. Diese große Chance der Mitgestaltung von Gesellschaft bleibt leider viel zu oft ungenutz.
___
Pia Arnold-Rammé, geb. 1958 in Frankfurt, arbeitet seit 1982 als Pastoralreferentin im Bistum Limburg und hatte Stellen als Bezirksreferentin in Frankfurt am Main, in der Gefängnisseelsorge im Frauengefängnis und als Referentin für Sozialpastoral in Frankfurt inne. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Foto: Mateucz Suski / unsplash.com
[1] Quelle: https://www.fr.de/frankfurt/wohnen-in-frankfurt-die-angst-waechst-91839230.html
[2] https://frankfurt.bistumlimburg.de/beitrag/wohnungsnot-ein-leitfaden-zeigt-wege-auf/