Dämonische Besessenheit und Exorzismen klingen heute vor allem nach Horrorfilm oder historischer Gruselgeschichte. Nicole Bauer zeigt dagegen auf, dass der „Abschied vom Teufel“ in Europa nicht nur weit über das 2. Vatikanische Konzil hinaus gedauert hat. Sie entdeckt im Gegenteil eine Wiederbelebung dieser Vorstellungen und Praktiken in der Gegenwart.
Den Teufel im Leibe
„Weil die im Leibe der Frau befindlichen Dämonen Unheil ahnten, benahmen sie sich fürchterlich. So fürchterlich, daß die Frau an Händen und Füßen gefesselt auf die Empore gelegt werden mußte. Stundenlang wurde nun nach dem Rituale Romanum vorgegangen. (…). ‚Und dann ist der Rädelsführer aus dem Leib der Frau gefahren‘, erzählt Josef Papst weiter. ‚Jetzt weiche ich, hat er durch den Mund der Frau geschrien, deren Antlitz einmal grau, dann grün, dann gelb und dann rot war.‘“[1]
Was sich wie eine Episode aus einem Horrorfilm liest, hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Steiermark zugetragen. So jedenfalls berichten Medien über das spektakuläre Ereignis und bezeugen damit, dass der Teufel auch in Österreich trotz zahlreicher Entmythologisierungsversuche weder tot zu kriegen ist, noch gänzlich verabschiedet wurde.
Die steirische Tageszeitung „Neue Zeit“ berichtete ausführlich über die Teufelsaustreibung, die an einer Frau in der Wallfahrtskirche Maria Lankowitz in der Weststeiermark durchgeführt worden war. An der vermeintlich Besessenen, einer Frau aus dem Raum Voitsberg, führten ein Franziskanerpater und ein „Laien-Exorzist“ vor dem Altar der Kirche einen Exorzismus nach dem Rituale Romanum durch. Die im Körper der Frau verbliebenen Dämonen wurden einige Jahre später wohl durch einen weiteren Priester in Vorarlberg ausgetrieben, ohne dass die Frau dabei zu Schaden gekommen sei, so der damalige Exorzist und verwies damit auf den Erfolg des religiösen Rituals.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat zwar aus theologischer Perspektive den Teufelsglauben ins Wanken gebracht, doch lässt sich seit den 1970er Jahren wieder ein wachsendes Interesse am Thema Exorzismus beobachten. Einzelne spektakuläre Fälle, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Österreich zugetragen haben, verdeutlichen die Kontinuität der Exorzismus-Tradition, die sich über die Jahrhunderte bis heute erstreckt.
Einzelne spektakuläre Fälle verdeutlichen die Kontinuität der Exorzismus-Tradition.
Auch am 10. Oktober 1968 berichtet eine Tageszeitung, dieses Mal ist es die Kleine Zeitung unter der Rubrik „Tagesgeschehen“ über einen „unfassbaren Missbrauch“ während einer Teufelsaustreibung im burgenländischen Eisenberg. Damit stand die damals nicht unbekannte Seherin Aloisia Lex (1907–1984) im Fokus des medialen Interesses. Nachdem Aloisia Lex in den Jahren 1954 und 1955 zwei Marienerscheinung sowie 1956 eine Engelserscheinung erlebt zu haben behauptete, kam der kränkliche Bäuerin eine besondere Verehrung zuteil. Nachdem auf dem Grundstück der Familie Lex ein Kreuz im Rasen sichtbar wurde, das vielen Gläubigen als übernatürliches, göttliches Zeichen galt, entwickelte sich der beschauliche Ort Eisenberg allmählich zu einer Pilgerstätte. Daran ändere auch nichts Wesentliches, als eine amtskirchliche Untersuchung durch die Diözese Eisenstadt zu dem Schluss gekommen war, dass es sich hier eher um menschliche Machenschaften als um göttliche Heilsbotschaften handle und sogar ein Besuchsverbot des Rasenkreuzes erwirkte. Und so trug es sich zu, dass jener Ort zum Schauplatz eines nicht unspektakulären Exorzismus wurde im Zuge dessen eine junge Schweizerin gegen ihren Willen von einem Priester aus Rankwell exorziert wurde: die junge Frau „wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Gang zum Rasenkreuz. Mehrere Männer haben sie dann dennoch dorthin geschleppt, wobei die junge Frau schrie, das Gesicht verzerrte, die Augen verdrehte und Frau Lex ins Gesicht spukte.“[2].
Abschied vom Teufel?
Kaum ein Jahr nach dem Exorzismus beim Rasenkreuz diagnostizierte der römisch-katholische Theologe Professor Dr. Herbert Haag (1915–2001) der Kirche den „Abschied vom Teufel“ und resümiert bezüglich der Teufelsfrage, dass das Böse nur insofern existiere, als es Gestalt im menschlichen Handeln annehme. Haag repräsentiert damit eine theologische Haltung, die sich im Nachklang an das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) vielerorts zeigte und zugleich innerkirchliche Kontroversen anregte. Er stellte nicht nur den im Christentum tief verwurzelten Teufelsglauben in Frage, sondern forderte gleichzeitig zur theologischen Auseinandersetzung mit dem Teufel und anderen ‚mythischen‘ Elementen des christlichen Glaubens auf.
Die Frage des Teufels und die Idee der dämonischen Besessenheit wird auch heute noch debattiert.
Haags Position hinsichtlich des Teufelsglauben führten zu heftigen Kontroversen in der römisch-katholischen Theologie, die bis in die Gegenwart wirken. Bereits 1971 musste der Theologe die Konsequenzen seiner vielerorts als provokant erachteten Haltung tragen. Die vatikanische Glaubenskongregation, die sich in ihrem traditionellen Glaubensverständnis in Frage gestellt sah, leitete ein Lehrprüfungsverfahren gegen den Universitätsprofessor ein. In seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation stellte sich kein geringerer als der deutsche Theologe und späterer Papst Joseph Ratzinger (1927–2022) in seinen Aufsatz „Abschied vom Teufel?“ (1973) gegen Haags Ansichten, den Glauben an die Existenz dämonischer Mächte an eine moderne Glaubenswirklichkeit anzupassen.
Dass die Frage des Teufels und die Idee der dämonischen Besessenheit kaum als Relikt mittelalterlicher Diskurse zu erachten ist, sondern vielmehr bis ins 20. und 21. Jahrhundert Gegenstand theologischer Debatten darstellte, zeigen auch jüngste Entwicklungen.
Der Teufel im 21. Jahrhundert
Die offenkundige Bedeutungszunahme des Exorzismus und damit einhergehende religiöse Ideen sind eng verbunden mit der globalen Verbreitung charismatisch-pentekostaler Frömmigkeitsformen, in deren Zentrum der Glaube an das Übernatürliche steht, das sich in Wunderglauben und religiösen Heilungen als Ausdruck des göttlichen Wirkens zeigt. Der Glaube an das Übernatürliche ist genauso Ausdruck der „charismatischen Spiritualität“, so der evangelische Theologe Reinhard Hempelmann, wie ein strenger Dualismus zwischen „gut“ und „böse“, sowie der Glaube an Dämonen und deren Einwirkungen auf das Leben von Menschen. Dämonen werden als Erklärung für Krankheiten und soziale Probleme herangezogen, weshalb Heilungs- und Befreiungsdienste zur gängigen Praxis einer sogenannten „spirituellen Kriegsführung“ zählen.[3]
Glaube an das Übernatürlich beinhaltet für manche Spiritualitäten auch den Glauben an Dämonen und das personifizierte Böse.
Durch die Zunahme der „Katholischen Charismatischen Erneuerung“ finden diese auch in der römisch-katholischen Tradition ihren Niederschlag und nehmen Einfluss auf die Praxis des Exorzismus. Eine zentrale Rolle im gegenwärtigen „Befreiungsdienst“ im deutschsprachigen Raum spielt die im Jahr 1995 durch den charismatischen Priester Rufus Pereira (1933–2012) gegründete „Internationale Vereinigung für den Befreiungsdienst“.[4] Aber auch im Vatikan lassen sich in den letzten Jahrzehnten Entwicklungen beobachten, die auf eine Reaktivierung spezifischer Glaubensinhalte und Praktiken hinweisen, die seit dem zweiten Vatikanischen Konzil eher in den Hintergrund gerückt waren: nämlich der Glaube an die Existenz eines personalen Bösen und Praktiken der Befreiung von demselben (Exorzismus).
Zunahme an Ausbildungslehrgängen
Im Jahr 2014 wurde die „Internationale Vereinigung der Exorzisten“, die 1992 in Rom gegründet wurde, per Dekret der „Kongregation für den Klerus“ rechtlich anerkannt und damit in den Kodex des kanonischen Rechts aufgenommen. Ziel dieser Vereinigung ist es, wie aus den Statuten hervorgeht, internationale römisch-katholische Exorzisten in einen Verein einzubinden und Richtlinien zur Umsetzung des Exorzismus zu erarbeiten. Darüber hinaus stellt die Förderung der Ausbildung interessierter Priester durch einen einschlägigen Grundlagenkurs ein zentrales Anliegen des Vereins dar. Ein solcher Hochschullehrgang für „Exorzismus und Befreiungsgebete“ wurde 2004 an der von den „Legionären Christi“ gegründeten päpstlichen Hochschule Athenaeum Regina Apostolorum implementiert und wird jährlich am „Istituto Sacerdos“ in Rom durchgeführt.
Entwicklungen wie diese wurden von den Päpsten nicht nur unterstützt, sondern auch gefördert. Seit 2004 gibt es Belege für päpstliche Aufforderungen an Bischöfe weltweit, Exorzisten für jede Diözese zu ernennen. Auch die deutsche und österreichische Kirche war hiervon betroffen. Zuletzt wurde 2018 in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz auf die Notwendigkeit der Benennung von Exorzisten hingewiesen. Darin ist die Rede von der „pastorale Notwendigkeit der Inanspruchnahme der Exorzisten und die entsprechende Sorge der Ordinarien der einzelnen Teilkirchen“. So wurden in den letzten Jahren, wenngleich kaum nach außen kommuniziert, in zahlreichen Diözesen Priester benannt oder Priesterkreise eingerichtet, die sich dem „Heilungs- und Befreiungsdienst“ widmen und bei Bedarf auch Exorzismen durchführen.[5] Hilfesuchende sind meist hochreligiöse Menschen, deren Leid, in welcher Art auch immer sich dieses äußert, „dämonisch“ gedeutet wird und daher einen religiösen Experten verlangt.
Reaktivierung religiöser Heilungspraktiken sind ein globales Phänomen und gehen über institutionalisierte Religion hinaus.
Dieser hier skizzierte Trend der Reaktivierung religiöser Heilungspraktiken und damit einhergehender Glaubensvorstellungen stellt jedoch keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal der römisch-katholischen Kirche dar, sondern repräsentieren vielmehr ein globales Phänomen der Reaktivierung und modernen Reinszenierung althergebrachter religiöser Ideen und Praktiken, die sich gegenwärtig in unterschiedlichen religiösen Traditionen, wie dem Christentum, Judentum oder dem Islam vollziehen. Besonders magisch-religiöse Praktiken und der Glaube an das Übernatürliche erleben darin ein Revival, das weit über die Grenzen institutionalisierter Religion hinausgeht. Auch (säkulare) Heiler*innen, Therapeuten*innen oder Energetiker*innen integrieren die Idee der Einflussnahme übernatürlicher Mächte auf den Menschen und dessen Köper in ihr Welt- und Menschenbild und bieten unterschiedliche Methoden der Heilung, Befreiung oder Reinigung an.
Die Dämonen weichen am Ende nicht und tummeln sich auch gegenwärtig noch auf einschlägigen Webseiten, Social-Media-Platformen, in Praxen, auf Heilungsgottesdiensten oder eben auf weststeirischen Altären.
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[1] Pramberger, Gert: „Exorzist in Weststeiermark“, Neue Zeit, Reportage, 22.8.1976, S. 3.
[2] Mayr, Max: „Unfassbarer Mißbrauch“, Kleine Zeitung, Reportage, 10.10.1968.
[3] Reinhard Hempelmann, „Gottes Geist im Übernatürlichen? Wunder im Kontext pfingstlich-charismatischer Bewegungen“, in Sehnsucht nach Heil und Heilung. Wunderglaube als Herausforderung, hg. von Matthias Pöhlmann, EZW-Texte 262 (Berlin: Evang. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 2019), 5–16.
[4] Alfred Singer, „Teufel – Dämonen – Besessenheit – Exorzismus Aktuelles zu einem umstrittenen Thema – 30 Jahre nach ‚Tod und Teufel in Klingenberg‘“, Materialdienst. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 7 (2006): 253–66.
[5] Gerhard Ammerer, Nicole Bauer, und Carlos Watzka, Dämonen Besessenheit und Exorzismus in der Geschichte Österreichs – Eine kritische Betrachtung (Salzburg: Verlag Anton Pustet Salzburg, 2024).
Nicole Maria Bauer ist Universitätsassistentin (postdoc) am Institut für Religionswissenschaft, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Graz und leitet derzeit das FWF Projekt „Gender and the Bible: An Empirical Study of Roman Catholic and Evangelical Groups in Austria“.
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