An seinem heutigen Festtage nähert sich Theresia Heimerl Johannes dem Täufer, diesem wilden, diesem „zweiten“ Mann und seiner überaus schillernden Rezeption ….
Assoziation I: Ein ungewaschener Mann in der Wüste, der Alkohol strikt ablehnt, das Reich Gottes herbeipredigt und gegen die Verkommenheit der weltlichen Oberschicht wettert, vor allem gegen deren freizügige Frauen – der neue geistliche Führer des IS?
Assoziationen
Assoziation II: Ein Mann auf dem Weg zu sich selbst und zur Erleuchtung, zurück zur Neandertalerdiät mit Heuschrecken und wildem Honig, in hippem Kamelhaarponcho – ein Guru und Vorbild für Bobo-Sinnsucher?
Assoziation III: Tanz um das Feuer zur Sommersonnenwende, martialische Riten zur Vertreibung des Bösen durch Licht und Feuer – eine Nottaufe heidnischer Riten im Namen einer Ikone archaischer Männlichkeit?
Schillernde Rezeption im Christentum
Nicht viele Gestalten des Neuen Testaments erfreuen sich einer derart schillernden Rezeption in der Tradition des Christentums wie Johannes der Täufer. Und keineswegs alles aus dieser Tradition gründet sich unmittelbar in der Bibel. Dort nämlich ist Johannes der Täufer vor allem Wegbereiter Jesu, ein klein wenig wohl auch Rolemodel in den ersten Anfängen der ungeordneten Existenz als Wanderprediger.Diese Rolle ist Johannes nicht nur in die Wiege gelegt, sondern dafür wird er – entgegen allen Erwartungen der nicht mehr jungen Eltern – überhaupt gezeugt (Lk 1,5-25). Dementsprechend darf er bereits aus dem Bauch der Mutter heraus den künftigen Heiland begrüßen (Lk 1,41-44).
Nicht wenige Darstellungen zeigen genau dies: Elisabeth und Maria bei ihrem Spaziergang, mutmaßlich in Gesprächen über atypische Mutterschaft vertieft, und die beiden Ungeborenen einander zugewandt, wie in farbenfrohem Ultraschall kenntlich gemacht wird. Angesichts einer derartigen Erwartungshaltung bzw. gar einer ethisch hinterfragbaren, zweckgebundenen Produktion verwundert der Ausbruch aus den Konventionen in Richtung Wüste und Kamelhaarumhang aus heutiger Perspektive gar nicht weiter.
Wer nicht nur die pittoresken, sich dem Markusevangelium (Mk 1,6) verdankenden Umstände des alternativen Lebenswandels oder aber die erhebende Szene der Taufe Jesu im Jordan kennt, sondern ein wenig genauer in das Lukasevangelium hineinliest, lernt einen eher unangenehmen Zeitgenossen kennen, den heute wohl sehr rasch der Verfassungsschutz unter Beobachtung hätte: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entkommen könnt?“ (Lk 3,7) „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt.“ (Lk 3,9). Auch vom ewigen Feuer, in dem alle nicht ganz so 100%-igen Gläubigen landen werden, ist die Rede.
Ein Fundamentalist im Gefängnis
Im Jahr 30 n. Chr. kommt angesichts solcher extremistischer Predigten nicht der Verfassungsschutz, sondern die Soldaten des lokalen Herrschers, Herodes, kommen und werfen den Fundi ins Gefängnis. Und dann kommt es zu jener Szene, die in der Kunstgeschichte selbst dann noch fortwirkt, wenn die frommen Taufszenen schon zum Auslaufmodell geworden sind: Die junge Tochter der von Herodes begehrten Herodias erhält den Kopf des Täufers auf einer Schale (Mk 6,25-29). Ein konsequentes Ende für jemand mit derart rigider religiöser Überzeugung und ein sicheres Ticket in den Heiligenkanon mit hohem Aufmerksamkeitsfaktor.
Aber was tun mit diesem Narrativ heute? Religionsgeschichtlich ist die Gestalt Johannes des Täufers zweifelsohne ergiebig: Nicht nur seine mutmaßliche Zugehörigkeit zu den Essenern von Qumran bietet Material, auch die Zusammenlegung des Geburtstags des Täufers (errechnet nach biblischen Angaben zum vermuteten Empfängnistermin) mit der Sommersonnenwende und den daraus abgeleiteten Feiern im Raum des noch gar nicht so christlichen Europas eröffnet interessante Forschungsfelder und bezeugt vor allem die hohe Integrationsleistung des Christentums: Johanneskraut, Johanneswein, Johanneskäfer. Ein Heiliger des naturnahen Frühsommertourismus? Auch die Vielzahl der Zuständigkeiten vom Alkoholismus bis zu Kinderkrankheiten und Angstzuständen, von der Patronage für die Weber und Gerber bis zu den Tänzern und Musikern (?) belegt eindrucksvoll die Bedeutung für die christliche Frömmigkeitsgeschichte.
Man könnte den Protoheiligen – immerhin taucht er vor allen anderen Jüngern auf – auch auf die psychotherapeutische Couch legen: Pränatales Trauma (s.o.), dementsprechend determinierte Kindheit, Vernichtungs- und Reinheitsphantasien, Probleme mit Frauen … aber seien wir ehrlich, das gehört schon fast standardmäßig zur christlichen Heiligenvita.
Ist Johannes der Schatten, dessen düstere Predigten Jesus mit seiner Rede von der Nächstenliebe leicht überstrahlen kann?
Und natürlich ist die Taufe Jesu im Jordan von theologisch eminenter Wichtigkeit – aber gilt das auch für den Täufer? Braucht es einen, der die Menschen zuerst einmal in Angst und Schrecken vor den Sündenstrafen versetzt, damit dann der Erlöser auftreten kann? Ist Johannes der Schatten, dessen düstere Predigten der Jüngere mit seiner Rede von der Nächstenliebe leicht überstrahlen kann? Oder ein dezenter Fingerzeig, dass wirkliche Erlösung niemals von Menschen kommt, wie radikal heilig sie auch sein mögen, sondern nur vom Sohn Gottes – wie ja auch Johannes selbst eingesteht? Auch diese Sicht stimmt nicht ganz, immerhin äußert selbst Jesus nicht nur Nettigkeiten.
Trotzdem: So ganz passt das Narrativ vom Wüstenprediger und Täufer nicht in die Gegenwart. Religiöse Männer in der Wüste mit rigiden Moralvorstellungen sind inzwischen zu einem Topos der anderen geworden. Und mit ihnen auch Köpfe in Schalen – auch wenn hierbei der brachialfeministische Aspekt im Fall des Johanneskopfes nicht außer Acht gelassen werden darf. Für die Folklore ließe sich der Hl. Johannes wohl noch reaktivieren, wiewohl selbst hier zumindest im deutschen Sprachraum bei Sonnwendfeuern Vorsicht geboten ist vor allzu viel Inkulturation ins neueste Germanentum.
Erlöser wollen viele sein, dem Erlöser den Weg zu bereiten, taugt nicht zur großen oder kleinen Erzählung der Postmoderne.
Bleibt noch die wichtigste Funktion in den Evangelien: Der Wegbereiter, der Verkünder, der Täufer, der dann Platz macht. Der zweite Mann zeitlich vor und in der Bedeutung hinter Jesus. Und hier liegt vielleicht das größte Problem: Erlöser wollen viele sein, dem Erlöser den Weg zu bereiten, sprich Zweiter zu sein, taugt nicht zur großen oder kleinen Erzählung der Postmoderne. Bleiben also Heuschrecken und wilder Honig.
Vgl. https://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Johannes_der_Taeufer.htm
(Photo: Ausschnitt: Mathias Grünewald, Isenheimer Altar)