Das Jahr 2025 wurde von Papst Franziskus zum „Heiligen Jahr“ ausgerufen. Stefan Kopp (München) geht historischen und liturgiewissenschaftlichen Fragen eines „Heiligen Jahres“ nach.
Aleida Assmann hat Jahrestage und Jubiläen als „Denkmäler in der Zeit“[1] bezeichnet. Sie vergegenwärtigen vergangene Ereignisse und machen diese der jeweiligen Öffentlichkeit einer Zeit neu bewusst. Dabei ist nicht nur die Erinnerung an bestimmte Daten entscheidend, sondern es müssen sich damit auch bestimmte Anliegen und Botschaften verbinden, die innerhalb einer Erinnerungsgemeinschaft zudem eine institutionelle Verankerung benötigen. Als Reaktivierung von Vergangenem enthalten Jubiläen nicht nur eine symbolisch und mythisch verdichtete Dimension der Erinnerung an historische Geschehnisse, die von gegenwärtig lebenden Menschen möglicherweise gar nicht selbst erfahren wurden, sondern zielen als bleibender Maßstab auf eine identitätsstiftende und ‑erhaltende Kraft für Gegenwart und Zukunft. Dies gilt für Jahrestage und Jubiläen insgesamt und damit auch für kirchliche Ereignisse dieser Art.
Jubiläen zielen als bleibender Maßstab auf eine identitätsstiftende und ‑erhaltende Kraft für Gegenwart und Zukunft.
Eine besondere Form kirchlicher Feierkultur sind dabei die sogenannten Heiligen Jahre als kirchliche Jubiläumsjahre, deren Geschichte inzwischen 725 Jahre zurückreicht. Papst Franziskus reiht sich mit der Eröffnung des Heiligen Jahres 2025 am 24. Dezember 2024 in diese Geschichte ein und gibt ihm – wie seine Vorgänger – auch inhaltlich eine bestimmte Richtung. Aus diesem Anlass fragt der vorliegende Beitrag nach einigen historischen Ursprüngen, wichtigen Elementen und gegenwärtigen Sinnhorizonten solcher „Denkmäler in der Zeit“, um abschließend eine konkrete Botschaft des aktuell ausgerufenen Heiligen Jahres herauszuarbeiten, das Menschen als „Pilger der Hoffnung“ anspricht.
Historische Ursprünge regelmäßiger Jubiläumsjahre
Ein wichtiger biblischer Anknüpfungspunkt für ein kirchliches Jubiläumsjahr in regelmäßigen Abständen ist das alttestamentliche Jobeljahr. Es wurde durch ein Widderhorn (hebr. Jobel) angekündigt und nach sieben mal sieben Sabbatjahren alle 50 Jahre als großes Erlassjahr gefeiert (vgl. Lev 25,1–55). Wohl einem Bedürfnis der Zeit insgesamt entsprechend setzte Papst Bonifatius VIII. beim Gedanken des Erlasses an und stellte diesen in den Mittelpunkt des ersten kirchlichen Jubiläumsjahres 1300, „in dem die Befreiung spiritualisiert und wesentlich von der Gewährung eines vollkommenen Ablasses bestimmt war“[2]. Zunächst alle 100 Jahre geplant, wurde das nächste Heilige Jahr danach schon 1350 gefeiert.
Eine weitere Verkürzung auf einen 33-jährigen Zyklus, der sich am Lebensalter Jesu orientieren sollte, setzte sich nicht durch, bis schließlich Papst Paul II. 1470 grundsätzlich einen 25-jährigen Zyklus festlegte. Ausnahmen von dieser Regel gab es etwa 1983 unter Papst Johannes Paul II., der mit einem außerordentlichen Heiligen Jahr besonders an den Erlösungstod des Herrn erinnern wollte. Ebenfalls in seinem Pontifikat wurde das Jubiläumsjahr 2000 begangen, das im Rückblick auf dunkle Seiten der Kirchengeschichte erstmals in dieser Form auch kollektiv die Bitte um Vergebung und Heilung in das Zentrum des (liturgischen) Geschehens rückte.
Vergebungsbitten als „neues“ Element katholischer Jubiläen
Winfried Haunerland würdigte dieses konkret formulierte Schuldbekenntnis und die Vergebungsbitten, die am 1. Fastensonntag des Jahres 2000 als Allgemeines Gebet zu einem prominenten Teil der päpstlichen Liturgie wurden, als „neues“ Element katholischer Jubiläen. Nicht zuletzt im Rückblick auf die jüngere Geschichte, in der das Ausmaß des Machtmissbrauchs kirchlicher Amtsträger auf erschreckende Weise sichtbar geworden ist, bleibt dieses Element wichtig. Wie Papst Franziskus zuletzt im Rahmen der Weltsynode einem feierlichen Bußritus vorstand und Schuld und Sünde explizit benannte,[3] wäre etwas Ähnliches auch im Rahmen des Heiligen Jahres weiterhin ein sinnvoller Bestandteil eines kirchlichen Jubiläums, dessen sachgerechte Form vermehrt auch Teil der (liturgie‑)wissenschaftlichen Reflexion werden müsste.
Liturgie als angemessener Ort für den Versuch, an sich Unaussprechliches, das rein innerweltliche Kommunikation letztlich überfordert, in Klage und Bitte vor Gott auszudrücken
Liturgische Feiern dieser Art sind aus heutiger Sicht ein wichtiger Ausgangspunkt für die bewusste Wahrnehmung eines menschlich so bedrückenden Phänomens und ein angemessener Ort für den Versuch, an sich Unaussprechliches, das rein innerweltliche Kommunikation letztlich überfordert, in Klage und Bitte vor Gott auszudrücken. Sie gehören mittlerweile fast selbstverständlich zum gottesdienstlichen Repertoire der Kirche, können allerdings ohne einen festen Sitz im Leben und ohne wirkliche Konsequenzen für die praktische Ausgestaltung des christlichen Miteinanders leicht zu leeren Phrasen verkommen, die von Betroffenen unterschiedlicher Formen von Unrecht und Versagen schlimmstenfalls als Verhöhnung wahrgenommen werden. Der in diesem Bereich seit 25 Jahren zu Recht beschrittene Weg ist sicherlich unumkehrbar, bleibt im Ringen um angemessene Ausdrucksweisen aber auch eine schwierige Gratwanderung, die je neu der Reflexion und der Verständigung bedarf.
Liturgie als sinnstiftender Kern christlicher Erinnerungskultur
Eine wichtige Inspirationsquelle und ein sinnstiftendes Element auf diesem Weg der heutigen Entfaltung kirchlicher Erinnerungskultur im Rahmen von Jubiläen ist (weiterhin) zweifellos die Liturgie, vor allem die Messfeier als große Danksagung und als zentraler Erinnerungsort an das Christusereignis. In ihr verbindet sich Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges; christliche Anamnese in Gebet und Gottesdienst ist nie rein historisch- bzw. präsentisch-memorativ, also nie rein geschichtlich vermitteltes sowie gegenwärtig begangenes und soteriologisch relevantes Gedächtnis, sondern immer auch futurisch-antizipativ, also „Anamnese des Zukünftigen“[4].
hoffnungsspendende Kraft auch und vor allem in der Gegenwart
Eine so verstandene Liturgie stiftet auch angesichts menschlichen Leids und aller bedrohlichen Erfahrungen des Lebens Trost und Hoffnung. Sie lädt nicht zur Weltflucht oder zu einer Flucht in die Zukunft ein und ist auch keine Vertröstung auf ein besseres Leben im Jenseits, sondern entfaltet ihre hoffnungsspendende Kraft auch und vor allem in der Gegenwart. Dabei bleibt sie aber nicht in der Gegenwart stehen und genügt sich nicht selbst, sondern hält die Erinnerung an Vergangenheit und Zukunft wach. Sie verweist auf die Ewigkeit und implementiert einen Aufbruch der Kirche über sich hinaus auf Transzendenz hin, weil es nicht nur um die Jetzt-Zeit geht. Dadurch entsteht ein gnadenhafter Überschuss, der Vollkommenheit am Ende als Gabe erwartet, die nicht gemacht, sondern nur vom Herrn der Zeiten geschenkt werden kann.
„Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen“
Gerade in eine solche Sicht auf die Liturgie der Kirche und nicht zuletzt auch angesichts von bedrohlichen und für viele beängstigenden Erfahrungen der Gegenwart, die massiv von persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten und Krisen geprägt sind, fügt sich die Botschaft „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen“ (Röm 5,5) organisch ein. Papst Franziskus selbst hat diese programmatisch für das Heilige Jahr 2025 gewählt.[5] Sie weist in die Zukunft, ohne deshalb die Augen vor der Realität zu verschließen. Der Papst wirbt dabei unermüdlich für eine Umkehr, die nicht nur die Abkehr von Fehlverhalten und Irrwegen bedeutet, sondern vor allem eine neue Hinkehr zu Jesus Christus und seiner heilbringenden Botschaft vor Augen hat.
Ablass – theologisch das Geschenk der Barmherzigkeit Gottes
Geradezu unbeschwert spricht Papst Franziskus in diesem Zusammenhang auch über die Gewährung eines Ablasses, wenn Menschen als „Pilger der Hoffnung“ zu den heiligen Stätten aufbrechen und sich dort geistlich stärken (lassen). Er gibt viele anschauliche Hinweise, wie sich der Ablass vor allem im Rahmen von Werken der Barmherzigkeit in einen stimmigen christlichen Lebensentwurf einfügt. Ohne auf die historischen Hypotheken und die bleibende Problematik des Begriffs näher einzugehen, ordnet der Papst den Ablass theologisch als Geschenk der Barmherzigkeit Gottes ein und fokussiert damit auf den lateinischen Begriff für Ablass, der Indulgentia lautet und mit „Zärtlichkeit“ übersetzt werden kann. Zusammen mit dem Gedanken einer „transgenerationalen“ Solidarität, die gerade in den derzeitigen Diskussionen – etwa im Zusammenhang mit der ökologischen Krise – eine nicht unwesentliche Rolle spielt und in diesem Pontifikat einen inhaltlichen Schwerpunkt bildet, baut Franziskus dem Ablass so eine Brücke in die Gegenwart.
Das Heilige Jahr 2025 kann ein Gegengewicht zum Bedrückenden gegenwärtiger Situationen sein und das Befreiende der Heilstaten Gottes neu zum Vorschein bringen.
Dieser Zugang ersetzt zwar nicht einen notwendigen Diskurs über bis heute offene theologische Fragen, aber er gibt einen wichtigen pastoralen und spirituellen Impuls. Im Rückbezug auf die Menschwerdung Gottes ist auch das Heilige Jahr 2025 eines der „Denkmäler in der Zeit“. Dieses bringt damit nicht nur eine vergangene Zeitenwende in Erinnerung, die historisch zunächst Not und Bedrängnis bedeutete und dennoch den Beginn der Erlösungsgeschichte markiert. Es steht nicht zuletzt aufgrund des thematischen Schwerpunkts vor allem auch unter dem Vorzeichen des Prinzips Hoffnung, das – gerade im Kontext der Liturgie symbolisch verdichtet – ein deutliches Gegengewicht zum Bedrückenden gegenwärtiger Situationen sein und das Befreiende der Heilstaten Gottes neu zum Vorschein bringen kann.
[1] Titel von: Aleida Assmann, Jahrestage – Denkmäler in der Zeit, in: Paul Münch (Hg.), Jubiläum, Jubiläum … Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen 2005, 305–314.
[2] Winfried Haunerland, Feier der Barmherzigkeit Gottes. Die Liturgie als Gestaltprinzip kirchlicher Jubiläen, in: MThZ 67 (2016) 139–152, hier: 141.
[3] Vgl. https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2024-10/mea-culpa-synode-papst-franziskus-missbrauch-suenden-bekenntnis.html.
[4] Titel von: Stefan Kopp, Liturgie als Anamnese des Zukünftigen. Zur eschatologischen Dimension des christlichen Gottesdienstes, in: Johanna Rahner, Thomas Söding (Hg.), Kirche und Welt – ein notwendiger Dialog. Stimmen katholischer Theologie (QD 300), Freiburg i. Br. 2019, 457–467.
[5] Franziskus, Spes non confundit. Verkündigungsbulle des Heiligen Jahres 2025 vom 9. Mai 2024, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VApS 241), Bonn 2024.
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Stefan Kopp, Dr. theol., ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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