Junge Menschen sind in der Kirche chronisch unterrepräsentiert – besonders beim Thema Synodalität. Lisa Holzer (KjG) und Moritz Bauer (Jubla Schweiz) nehmen das zum Anlass, um über Gründe, Herausforderungen und Lösungswege nachzudenken. Die “großen theologischen Reflexionen” überlassen sie hierbei anderen Theolog*innen. Was sie interessiert und begeistert ist, eine Kirche zu gestalten, in der die vielen prophetischen Stimmen Gehör finden. Ihr Verständnis von Synodalität beruht auf ihren zahlreichen Erfahrungen mit demokratischen Prozessen in kirchlichen Verbänden. Als Jugendverbandler*innen haben sie mit dem Beitrag Neues gewagt. Das vorliegende Gespräch ist das Resultat eines Schreibgespräches.
Durch Gestaltungsmöglichkeiten Interesse wecken
Moritz Bauer: Liebe Lisa, viele Leser*innen von feinschwarz.net kennen die Kritikpunkte an der Kirche, das können wir überspringen.
Lisa Holzer: Lieber Moritz, vielleicht ist es trotzdem wichtig, fokussiert auf junge Menschen Probleme zu benennen. Zunächst sehe ich da die “Klassiker”: Fehlende Geschlechtergerechtigkeit, Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung, Machtasymmetrien und -missbrauch, akademische Sprache, Unveränderbarkeit bzw. Kritikresistenz u.v.m.
Viele lebensweltliche Selbstverständlichkeiten junger Menschen gelten in der Kirche nicht.
M: Das erste entscheidende Hindernis besteht darin, das Interesse von jungen Menschen für einen Verein zu wecken, der von seiner aktuellen Gesamtanlage her eine Parallelwelt zur Wirklichkeit junger Menschen ist. Ein Beispiel: Demokratische Strukturen oder plurale Lebenserfahrungen sind in der Schweiz oder Deutschland grundsätzlich vorhanden. Allerdings gelten viele lebensweltliche Selbstverständlichkeiten junger Menschen in der Kirche nicht.
L: Was ich dabei nicht verstehe, ist, weshalb die Kirche nicht als veränderlich und gestaltbar verstanden wird. Denn: Seit Beginn der Kirche hat sie sich verändert. Kirche besteht aus Menschen. Menschen sind an Dingen interessiert, die sie betreffen und bei denen sie merken, dass sie etwas bewegen können. Und Menschen verändern sich nun mal. Somit verändern sie auch die Gestalt der Kirche.
Kirche muss attraktive Beteiligung ermöglichen
M: Diese Beobachtung finde ich enorm wertvoll, weil ich zwischen den “Kirchengenerationen” oft eine Spannung ausmache. Mir begegnen oft (ältere) Menschen, die glauben, junge Menschen hätten ein starkes Interesse am Austausch mit einem Bischof oder Teil von synodalen Versammlungen zu sein. Sie denken, junge Menschen würden das als attraktive Chance zum Mitwirken sehen. Die Realität ist eine andere. Es ist sehr schwer, junge Menschen für solche Formate zu gewinnen.
L: Das ist so, glaube ich, etwas verkürzt: Zum Beispiel führte der BDKJ beim Start des synodalen Weges eine offene Ausschreibung für die 15 Plätze für unter 30-Jährige durch. Darauf haben sich tatsächlich über 200 Jugendliche und junge Erwachsene beworben. Gleichzeitig gebe ich dir Recht: Die Zurückhaltung ist absolut verständlich, wenn sie schon Teil solcher sogenannter “Beteiligungsprozesse” waren und gemerkt haben, dass die Beteiligung leider keine Wirkung entfaltet. Dass es reine Scheinpartizipation war und junge Menschen als Deko für schöne Fotos herhalten mussten. Das zweite Problem scheint mir, dass die Beteiligungsformen in der Kirche unattraktiv gestaltet sind.
Für ein gelingendes Ehrenamt ist jedoch die Erfahrung von Autonomie, sozialer Zugehörigkeit und Wirkmächtigkeit entscheidend.
M: Das ist für mich ein Riesen-Baustelle! Menschen – und besonders junge Menschen – erleben in der Kirche oft, dass sie wenig bewegen können. Gerade beim Thema Synodalität. Das alles steht im Kontrast zu den Erfahrungen, die sie z.B. in einem ehrenamtlichen Engagement oder in ihren Verbänden machen. Kurz: Es ist unattraktiv mitzuwirken, solange unklar ist, was mit deiner Meinung passiert und welchen Einfluss sie haben kann. Denn dann fehlt das Gefühl von Wirkmächtigkeit und das Erlebnis von “hier passiert etwas und ich bin Teil davon”. Für ein gelingendes Ehrenamt ist jedoch die Erfahrung von Autonomie, sozialer Zugehörigkeit und Wirkmächtigkeit entscheidend.1
L: Das deckt sich mit meinen Erfahrungen aus dem Synodalen Weg.
Auch strukturell ist die Beteiligung junger Menschen enorm erschwert: hohe akademische und theologisierte Sprache; absurde Sitzungszeiten, die junge Menschen ausschliessen, weil sie in Schule, Studium, Ausbildung oder Beruf sind oder so spät abends nicht mehr von der Stadt zurück in ihr Heimatdorf kommen; überfordernde Symbolik; Machtasymmetrien; intransparente Verfahrensabläufe und didaktisch unattraktive Sitzungsgestaltung. Die Weltsynode ist da ein gutes Beispiel. Wären unsere Verbandskonferenzen so angelegt, käme auch niemand.
Aber: In der Schweiz habt ihr eine bessere Ausgangssituation, oder? Bei euch gibt es mehr Beteiligungs- und Entscheidungsformate auch für Lai*innen. Menschen, also auch junge Menschen, können mitbestimmen, wer angestellt wird oder was mit der Kirchensteuer passiert.
M: Ist inhaltlich richtig; für junge Menschen aber strukturell ebenso unattraktiv. Mitglieder der Kirchenräte sind oftmals Menschen mit bestimmtem Einkommen und Alter, die sich zu “vereinsmeierischen” Traktanden in teils muffigen Pfarreihäusern am Abend treffen. Nicht, dass junge Menschen das Formale nicht könnten oder wollten, aber auch hier stellt sich die Frage: Wo bleibt die Attraktivität und Wirkmächtigkeit für sie? Auch die staatskirchenrechtlichen Behörden in der Schweiz müssen sich ernsthaft die Frage stellen, wie sie Beteiligungsformen für junge Menschen schaffen und attraktiv gestalten können. Es braucht ein Zusammenspiel aus veränderter Pastoral und veränderter Kirchenverwaltung.
L: Das klingt wie Pfarrgemeinderatssitzungen in Deutschland – die fand ich auch immer schon sehr uninteressant. Was nicht zuletzt an für junge Menschen nicht relevanten Tagesordnungspunkten liegt, etwa wenn es um die Gestaltung des Fronleichnamteppichs geht.
M: Als Zwischenfazit können wir festhalten: Jungen Menschen wird die Beteiligung aufgrund struktureller Hindernisse erschwert. Ihr Interesse an partizipativen Beteiligungsformen schwindet, weil das Gefühl von realer Wirkmächtigkeit dauerhaft ausbleibt.
Junge Menschen sind zu grossem Investment bereit, wenn sie merken, dass sie etwas bewegen können.
L: Genau. Das ist paradox und verschenktes Potential. Meiner Erfahrung nach sind junge Menschen zu grossem Investment bereit, wenn sie merken, dass sie etwas bewegen können. Das Groteske ist, dass in unseren Verbänden und anderswo viele junge Menschen bereit wären, diese Kirche mitzugestalten. Das bringt mich manchmal zum Verzweifeln und macht mich gleichzeitig stolz. Gerade als Person, die begeistert davon ist, den Glauben zu leben und den Himmel auf die Erde zu bringen, fällt es mir wirklich schwer, Kinder und Jugendliche für solche Beteiligungsformen zu motivieren, solange sie in ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenswelt nicht wahr- und ernst genommen werden.
Von jungen Menschen lernen
L: Aber was ist denn dein bisheriges Fazit der synodalen Bestrebungen weltweit?
M: Ich bin sehr zurückhaltend, was die weltweiten Ergebnisse angeht. Wenn der synodale Prozess erfolgreich sein soll, braucht es nationale Lösungen und nicht “weltweit-katholische”. Rom ist sehr weit weg und der ganze Prozess für junge Menschen uninteressant, weil sich für sie nichts Relevantes verändern wird. Spannend finde ich eher, die “katholische Ausrede” der Systemkomplexität – als wäre sie die einzige komplexe Institution auf dieser Welt.
L: Absolut. Ich finde, dass sich die katholische Kirche bei uns Verbänden vieles abschauen könnte. Wir leben das, was Franziskus immer betont: Dezentralität und vor Ort Kirche sein, denn jede Ortsgruppe ist anders. Hat eine eigene Identität, eigene Traditionen und ist zugleich Teil von etwas Grösserem.
M: Beim Gedanken der Dezentralität bin ich voll bei dir: Auch unsere Verbände sind recht komplexe Gebilde und oft bestehen keine einheitlichen Meinungen. Im Gegenteil: Wir diskutieren, ringen und streiten um das, was die Identität des Verbandes ist oder was er leisten soll. Es gibt eine Pluralität der Verbände und zudem eine Pluralität innerhalb der Verbände. Keinesfalls gehen bei uns Beschlüsse immer einstimmig und direkt bei Versammlung durch. Es kommt auch berechtigte Kritik und oftmals braucht es mehrere Stufen der Vorbereitungen durch Workshops etc., bis ein Beschluss gefasst werden kann. Stufenweise Partizipation zu ermöglichen und zu realisieren, scheint dienlich.
L: Sehr gute Beobachtung. Wobei es manchmal auch in der Kirche zu funktionieren scheint. Ich habe z.B. noch in Erinnerung, dass beim Synodalen Weg in Deutschland verschiedene Gäst*innen anderer Länder festgestellt haben, dass das, was wir in so vielen Stunden besprechen und überlegen, bei ihnen längst umgesetzt ist.
M: Besonders spannend finde ich, dass oft gesagt wird, wir als Kirche müssten Synodalität einüben und lernen. Es ist doch so, dass jede*r in Familie, in Ordensgemeinschaften und im nahen Umfeld bereits mit seinen*ihren Mitmenschen Zusammenleben gestaltet, wohlwollend und an einer guten gemeinsamen Zukunft interessiert. Nur heißt es eben nicht Synodalität.
Junge Menschen sind Expert*innen für Kirchesein. Es ist eine verpasste Chance, nicht von ihnen zu lernen.
L: Und in Bezug auf junge Menschen braucht es einen Perspektivenwechsel: Sie sind mehr als nur eine “Anspruchsgruppe” für irgendwelche Gremien. Von jungen Menschen können wir lernen, wie eine synodale Haltung möglich ist. Sie sind Expert*innen für Kirchesein und bringen viele andere Kompetenzen ein. Es ist eine verpasste Chance, nicht von ihnen zu lernen.
M: Um es zum Schluss theologisch zu sagen: Nicht die Person, die leitet, besitzt den heiligen Geist und einen exklusiven offenbarungstheologischen Zugang nach oben. Der Heilige Geist ist dort, wo sich Kirchesein ereignet. Also auch bei und mit jungen Menschen. Sie sind oftmals unbewusst sehr gute Theolog*innen. Es wäre eine Chance für die Kirche, sie als Gesprächspartner*innen wirklich ernst zu nehmen.
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Lisa Holzer ist geistliche Bundesleitung der KjG (Katholische junge Gemeinde). Sie hat katholische Theologie in Freiburg studiert und ist Pastoralreferentin des Bistums Essen. Als Mitglied des Forums “Frauen in Diensten und Ämtern” war sie beratend am Synodalen Weg beteiligt und ist jetzt Teil des Synodalen Ausschusses.
Beitragsbild: lautstark.kjg.de
- Vgl. Haiderer, Armin / Zulehner Paul M.: … weil es mir Freude macht. Ehrenamt macht die Kirchen zukunftsfit, Berndorf 2023, 57. ↩