Nontando Habebe, katholische Theologin aus dem Süden Afrikas, schreibt über Macht und Vielfalt in der Weltkirche jenseits eurozentrischer Klischees – und über Frauenrechte.
Die katholische Kirche ist global und auf allen Kontinenten präsent. Immer mehr globale Bewegungen konzentrieren sich auf verschiedene strittige Themen und erheben dabei den Anspruch, die Stimmen von Katholik*innen weltweit zu repräsentieren. Dieser Beitrag geht der Frage nach, inwiefern globale Bewegungen die Vielfalt der Erfahrungen und der Kontexte von Katholik*innen widerspiegeln. Anders gefragt: Werden in den Stellungnahmen jeweils alle Stimmen gehört und gleichberechtigt berücksichtigt oder gibt es Stimmen, die dazu neigen, dominanter zu sein als andere? Das sind nicht nur akademische Fragen. Es geht vielmehr um die kritische Beurteilung von Universalitätsansprüchen und dem Sprechen für „Katholik*innen in der ganzen Welt“. Das sind Fragen nach Repräsentation und die werfen historisch ungelöste Machtfragen auf. Das gilt besonders in den ehemaligen Kolonien, in jener „Zweidrittelwelt“, in der die Mehrheit der Katholik*innen lebt. Es gibt eine ‚Müdigkeit‘ bei den Themen des Kolonialismus wegen der Annahme, dass mit dem Ende des Kolonialismus bereits alles gesagt und getan ist.
Werden alle Stimmen gehört?
Außerdem glauben viele, die katholische Kirche könne vom Kolonialismus freigesprochen werden. Der Gedanke dahinter könnte sein, dass wir Katholik*innen die gleiche Mitgliedschaft in der Kirche haben und diese universell ist – wir werden durch die Taufe aufgenommen und alle haben den gleichen Zugang zu den Sakramenten, unabhängig von der eigenen Herkunft. Wir teilen Bibel, Liturgie und den Kalender, sodass oberflächlich der Anschein besteht, es existiere echte Gleichheit. Das stimmt zu einem gewissen Grad – mit der Taufe wird man Mitglied in der Kirche und das bedeutet eigentlich Gleichheit. Doch die Realität sieht anders aus. Es besteht eine ungleiche Gleichheit, bei der bestimmte Getaufte aufgrund biologischer Kriterien, die man wie etwa das Geschlecht nicht in der Hand hat, Zugang zu Macht und Führung haben. Andere Getaufte werden mithilfe derselbe biologischen Logik ausgeschlossen.
Ungleiche Gleichheit nach biologischen Kriterien
Hier bringen dekoloniale Theorien mit ihrer genaueren Argumentation das Problem besser auf den Punkt: Wissen ist situiert und folgt vor allem dem hegemonialen Erbe eurozentrischen Wissens, das zugleich andere Wissensformen marginalisiert. “A Eurocentric canon is a canon that attributes truth only to the Western way of knowledge production. It is a canon that disregards other epistemic traditions”[1]. Die Dekolonialisierung zielt nicht darauf ab, eurozentrisches Wissen auszuschließen oder es zu verwerfen. Vielmehr geht es um das Einbeziehen aller Wissensformen. Pluriversalismus ist deshalb ein “process of knowledge production that is open to epistemic diversity. It is a process that does not necessarily abandon the notion of universal knowledge for humanity, but which embraces it via a horizontal strategy of openness to dialogue among different epistemic traditions.[2]”
Das hegemoniale Erbe eurozentrischen Wissen nicht ausblenden
Wie lässt sich ein solcher Pluriversalismus auf globale Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche anwenden? Dieses Konzept würde sicherstellen, dass inmitten universeller Wahrheiten des Evangeliums Raum für unterschiedliche Stimmen ist, die gleichberechtigt gehört werden und die in alle Stellungnahmen einfließen, die einen globalen Anspruch erheben. Im nächsten Schritt wird dieses Konzept auf die Fallstudie von „Catholic Women Speak“ (CWS) angewendet, um zu sehen, ob es sich um eine tatsächlich globale Bewegung von Frauen handelt.
„Catholic Women Speak“ wurde ursprünglich als Facebook-Gruppe von Tina Beattie gegründet um den Status der Frauen im Pontifikat von Papst Franziskus zu diskutieren. Aus der Perspektive dekolonialer Theorien des situierten Wissens kann man feststellen, dass die Gruppe von einer weißen katholischen Professorin aus England gegründet wurde, um die Ausgrenzung von Frauen aus einer gleichberechtigten Teilhabe in der katholischen Kirche zu thematisieren. Wie bereits erwähnt, ist die katholische Kirche universell und auf allen Kontinenten vertreten. Deshalb muss die Frage gestellt werden, ob Frauen von anderen Kontinenten ihren Status auf dieselbe Weise betrachten.
Gleichstellungsfragen sind nicht westlich
Oftmals werden Gleichstellungsfragen als Interessen der westlichen, weißen Frauen dargestellt, die für Frauen aus nicht-westlichen Ländern keine Bedeutung hätten. Doch in meinem Kontext des südlichen Afrikas zeichnet die Geschichte ein anderes Bild von Frauen, nämlich als Pionierinnen und aktive Akteurinnen im Kampf gegen den Kolonialismus, wie die Führungsrolle von Mbuya Nehanda im simbabwischen Befreiungskampf und der Frauenmarsch in Südafrika zeigen. Eine Mehrheit der afrikanischen Länder hat das Maputo-Protokoll unterzeichnete, einen Rechtstext, der die Gleichberechtigung von Frauen und ihren Schutz vor soziokultureller Diskriminierung garantiert. Die Geschichte und der gesellschaftliche Kontext Afrikas widerlegen daher die Annahme, dass es keine von Frauen angeführten Gerechtigkeitsbewegungen in Afrika oder anderen nicht-westlichen Kontexten gäbe. Deshalb war es für nicht-westliche Frauen überhaupt nicht schwer, sich mit CWS zu identifizieren und ihre Perspektiven und Erfahrungen etwa in das erste von CWS veröffentlichte Buch einzubringen: „Catholic Women Speak. Bringing our Gifts to the Table.“
Frauen nicht auf Mutterschaft reduzieren
In den Beiträgen dort zeigt sich eine beeindruckende Vielfalt: Del Rio Mena aus Lateinamerika hinterfragt das marianische Prinzip, das sie als „marianismo“ bezeichnet: “I will spend more time on marianismo because our continent is a Marian continent, and the symbolic significance of Mary is complex and ambiguous’, because for ‘many women, Mary has modeled their womanhood; for others, she has been the explosive source of deep rebellion and internal rapture.”[3]
In ähnlicher Weise kritisiert Anna Arabome, es sei unterdrückerisch, wenn die Kirche die Rolle von Frauen auf die Mutterschaft reduziert: “However, the church’s rush to endorse woman’s role as procreator and helpmate often bypass the positive valorization of the personhood of the African woman in herself.”[4]
Das Vorwort des Buches wurde vom afrikanischen Jesuiten Pater Orabator geschrieben, der die Stärke der Vielfalt des Buches so beschreibt: “The narratives voiced by contributors to this anthology are at times joyful and jolting, consoling and painful, exhilarating and exasperating. They tell of ‘the joys and hopes, the griefs and anxieties’ that Catholic women live and experience in multiple forms of human sexuality, family, marriage, and relationships. They lament the painful exclusion, violence, and poverty that compound these experiences, and question the institutions and structures that sustain them, but without abandoning faith and hope – that each story will be heard, received, and affirmed with compassion, mercy and humility.”[5]
Teil einer globalen Bewegung für Frauenrechte in Kirche und Gesellschaft
Zum Schluss lässt sich feststellen, dass „Catholic Women Speak“ ein Beispiel für eine globale Bewegung innerhalb der Kirche ist. Es versammeln und bündeln sich die verschiedenen Stimmen in einem Bereich, der oft nur als für weiße Frauen repräsentativ wahrgenommen wird: die Frauenrechte.
[1] Mbembe, A. https://wiser.wits.ac.za/system/files/Achille%20Mbembe%20-%20Decolonizing%20Knowledge%20and%20the%20Question%20of%20the%20Archive.pdf
[2] Ebd.
[3] Del Rio Mena, C., 2015, ‘Latin American women: In Mary’s footsteps or in her shadow’, in Catholic Women Speak Network (eds.), Catholic women speak. Bringing our gifts to the table, pp. 27–31, Paulist Press, New York, 28.
[4] Arabome, A., 2015, ‘Who is Christ for African women?’, in Catholic Women Speak Network (eds.), Catholic women speak. Bringing our gifts to the table, pp. 23–26, Paulist Press, New York, 25.
[5] Orobator, A.S.J., 2015, ‘Foreword: Of listening ears and prophetic voices’, in Catholic Women Speak Network (eds.), Catholic women speak. Bringing our gifts to the table, pp. xi–xv, Paulist Press, New York, p. xii.
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Bild: https://www.catholicwomenspeak.com/
Übersetzung aus dem Englischen: Franzika Moosmann und Michael Schüßler
Dr. Nontando Hadebe ist eine katholische Theologin aus dem südlichen Afrika, die derzeit in Johannesburg/Südafrika lebt. Sie arbeitet als internationale Koordinatorin der Hilfsorganisation Side by Side und als Gender-Beraterin für Brot für die Welt. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Geschlecht, Rasse, Sexualität, Umwelt und Dekolonialisierung. Sie war Forschungsstipendiatin an der University of Free State, Gastwissenschaftlerin an der Universität Regensburg und arbeitet aktuell mit am Internationalen Kommentar zum II. Vatikanum (Vatican II Legacy and Reception). Zu ihren jüngsten Auszeichnungen gehört der Pauline-Jericot-Preis für ihre Arbeit zur Gleichstellung der Geschlechter in der katholischen Kirche.