Maria Elisabeth Aigner berichtet von ihren Reisen nach Tansania, was Afrika sie lehrte, und wie es ist, dort als Europäerin Theologie zu lehren.
Wenn ich hier in Österreich an meinem Schreibtisch sitze und an Tansania denke, höre ich als erstes von weitem die Trommeln. Vor meinem inneren Auge taucht dieses spezielle, sehr helle, graue Blau des Abendhimmels auf. Ich erinnere mich an das orange Schimmern der untergehenden Sonne, die braunrote Erde und die grauen Steine der Straßen.
Der Rauch des offenen Feuers beißt in der Nase, wenn der Morgen sehr schnell hereinbricht, obwohl es doch eben erst noch dunkel war. Sehr schnell breitet die Sonne ihre Hitze wie eine Decke über das Land, die stündlich an Gewicht zunimmt. All die unterschiedlichen Farben und Muster der bunten Kanga-Stoffe kommen mir in den Sinn ebenso wie die dunkelhäutigen Gesichter: große, dunkle Augen, breite Nasen und Münder. Die Gesichtsausdrücke sind entweder heiter, gekennzeichnet von einem fröhlichen Lachen und tiefen Strahlen, oder auch dunkel, mit fragendem Blick.
Bibliolog in Tansania stärker verbreiten und verankern.
Als ich vor zwei Jahren das erste Mal nach Tansania fuhr, wusste ich nicht im Entferntesten, was mich dort erwarten würde. Es war geplant, Bibliolog, eine kreative Form gemeinschaftlicher Bibelauslegung, zu unterrichten. Mittlerweile habe ich in drei mehrwöchigen Aufenthalten etliche Fortbildungsveranstaltungen gehalten. Mit dem Direktor des „Lumen Christi Institute“, Father Mathew, plane ich die Kurse und wir überlegen, wie es gelingen könnte, Bibliolog in Tansania stärker zu verbreiten und zu verankern.
Anders als im deutschsprachigen Raum sind es nicht in erster Linie LaiInnen, vorwiegend Frauen, sondern Kleriker und Ordensschwestern, die teilnehmen. Im Bibliolog wird die Deutungsmacht in die Hände aller Anwesenden gelegt. Das stößt angesichts der weitgehend klerikal und patriarchal geprägten Kirchenbilder in Afrika oft auf Widerstand. Zugleich gibt es die Sehnsucht, im Rollenspiel dem eigenen Leben mit seinen Problemen und Herausforderungen auf die Spur zu kommen. Zeigt sich die eigene Geschichte so unmittelbar im Licht des Evangeliums, macht sich leises Erstaunen breit.
Das „Lumen Christi Institute“ (LCI), Fransalian Center of Philosophy, Pastoral Animation and Social Work, liegt in Maji ya Chai, gut zwanzig Kilometer von Arusha entfernt. Hier werden Priesteramtskandidaten in einem dreijährigen Philosophie-Studium auf ihr Theologiestudium vorbereitet. Nach einem Jahr pastoraler Praxis gehen die meisten von ihnen zurück in ihr afrikanisches Heimatland, um dort Theologie zu studieren.
Lumen Christi Institute.
Das LCI bietet zudem Kurse zur Drogen- und HIV/AIDS-Prävention, Frauenberatung oder EDV-Kurse an. Intensivere bauliche Maßnahmen ermöglichen Formators und KatechetInnen die Teilnahme an längerfristigen Fortbildungsprogrammen. Die Bevölkerung der umliegenden Umgebung kann in der am Eingang des Institutsareals gebauten „Dispensary“ medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.
Arusha liegt 1.400 Meter hoch im Nordosten Tansanias, ca. 90 km südwestlich des Kilimanjaro. Die hohe Lage bietet für afrikanische Verhältnisse immer relativ günstiges Wetter. Vor allem in den Nächten wird es in der Region angenehm kühl. Die Gegend ist sehr touristisch geprägt. In der Nähe befinden sich der berühmte Ngorongoro-Krater, der Mount Meru, die Serengeti, sowie der Arusha Nationalpark.
Was ich über Afrika gehört und gelesen habe, was mir erzählt wurde, ist das eine. Vieles davon hat sich bestätigt. Wovon ich weniger gehört habe, ist das andere, dasjenige, das einem auf Schritt und Tritt begegnet: das nach wie vor so erschreckend präsente kolonialistische Gedankengut und die damit einhergehenden Handlungsmuster bei den einheimischen AfrikanerInnen ebenso wie bei denjenigen, die dieses Land bereisen und über einen bestimmten Zeitraum in ihm arbeiten und leben.
…nach wie vor erschreckend präsentes kolonialistische Gedankengut.
Was interkulturelle Begegnung auf Augenhöhe überhaupt sein kann und wie man sich als Europäerin aus einem der reichsten Länder kommend jenseits von Schuldgefühlen und Gewissensbissen auf diese Armut einlassen kann, bleibt als Stachel im Fleisch. Zugleich werden in mir diese Gedanken permanent auf den Kopf gestellt.
Für die Afrikaner und Afrikanerinnen, denen ich begegne, scheint das alles kein Problem zu sein. Lucina, die im LCI kocht und die Wäsche macht, packt den vollen Wäschekorb, den sie auf dem Kopf trägt, schwungvoll mit beiden Armen und stellt ihn auf den Boden, wenn sie mich sieht. Nach einer herzlichen Umarmung bittet sie mich in die Küche. Karibu ndani! Komm herein! Die Probleme der Menschen sind in Afrika hinreichend.
Unvorstellbar, tagtäglich um das Leben zu kämpfen: den Hunger zu bewältigen, den Krankheiten zu trotzen, den Problemen im zwischenmenschlichen Bereich Herr zu werden. Kein Geld, ein bisschen Geld, schon wieder kein Geld. Geld ist immer Thema in Afrika. Die Probleme drehen sich nicht um Wohlbefinden oder persönliches Glück. Die Probleme sind existentiell. Und dennoch – oder vielleicht besser gesagt zugleich – habe ich nirgendwo bislang so viele offene Hände und Herzen wahrgenommen. Mich beschämt, dass die westlich-europäische, zivilisierte, gestresste Seite an mir kein adäquates Pendant kennt.
Die Begegnungen mit diesem Land, seiner Natur und seinen Menschen erlebe ich umfassend und tiefgreifend. How are you? Nur die gebildeten Menschen sprechen in Tansania neben Kisuaheli, der Landessprache, auch Englisch. How are you? Jüngst hat mich das die Dame bei der Passkontrolle am Flughafen in Dar es salaam gefragt, während sie ihre Augen auf meinen Pass heftete. Je öfter ich dort bin desto mehr beginne ich zu begreifen, wie wenig ich bislang von dieser Kultur verstanden habe. Karibu! Fühl dich willkommen als Westeuropäerin, auch wenn du die Geheimnisse Afrikas nicht verstehst.
Schicke ich einem „lovely friend“ in Afrika eine Email mit einigen Fragen, kann ich sicher sein, dass nur eine davon beantwortet wird. Pole pole. Eins nach dem Anderen. Das ist weder als unzuverlässig zu verbuchen noch als Unaufmerksamkeit oder Desinteresse zu betrachten. Zuviel auf einmal kann Verwirrung stiften. Man geht zuerst den einen Schritt und dann den anderen. Wer versucht, fünf Schritte auf einmal zu gehen, wird stolpern. Die Kraft, die in der Langsamkeit steckt, erschließt sich häufig erst im Nachhinein. Bis dorthin gilt es, ganz im Jetzt zu sein.
Wenn ich in Tansania bin, verdichtet sich das Leben.
Wenn ich in Tansania bin, verdichtet sich das Leben. Das Zeit-Erleben ist hier und dort ein anderes. Zwei Welten, ein Leben. Eine Welt, mehrere Leben. Wer sich in Afrika aufhält, bekommt es mit den AhnInnen zu tun. Es gibt nicht nur eine Verbindung zum Leben im Hier und Jetzt, sondern auch zum bereits gestorbenen Leben. Das Leben wird im Moment gelebt, ohne den Kontakt zur Vergangenheit zu verlieren.
In Afrika lernt man als Westeuropäerin auf das Leben hin zu lauschen. Es zeigt seine nicht zu bändigende Kraft in den Kreisläufen der Natur, den Wildtieren der Steppe und den Menschen, die sich dem Fremden mit Respekt und Fröhlichkeit zuwenden. Alles Lebendige hat eine Seele, Intimität etwas Heiliges. Sie existiert zwischen Mensch und seinem Gegenüber, aber auch zwischen Mensch und Tier, Mensch und Natur.
Afrika lehrt mich viel über das Akzeptieren von Ungleichzeitigkeiten. Die Arbeit mit dem Bibliolog ist auf afrikanischem Boden bereits ein Stück vertraut geworden. Ich weiß, dass irgendwann im Laufe eines Kurses Widerstand kommt. Denn: der Lehrer muss es doch besser wissen. Das tiefer gehende Voranschreiten im Prozess zeigt dann zumeist, wie sehr alles Tun doch vom Geist beseelt ist. Widerstände verflüssigen sich, ich lerne es, geduldig zu sein.
Hier die Ebenbürtigkeit im Bibliolog, dort die festgezurrten Muster der Hierarchie.
Die Teilnehmenden lassen sich berühren von der unverstellten Wahrheit, die in den biblischen Texten verborgen liegt. Wieso war im Bibiolog zum Gleichnis vom verlorenen Sohn so viel über Geld und so wenig von der Barmherzigkeit Gottes die Rede? Weil die Barmherzigkeit Gottes erst wahrgenommen werden kann, wenn zuvor alles auf dem Tisch kommen darf: die Not, das Elend, die Sehnsucht, die Liebe.
Hier die Ebenbürtigkeit im Bibliolog, dort die festgezurrten Muster der Hierarchie. Auf der einen Seite der Massai mit WhatsApp, auf der anderen Seite seine Lehmhütte. Struktur und Selbstbestimmtheit, Effizienz und Klarheit wechseln sich ab mit Bangen und Hoffen, Zuversicht und Vertrauen. Der sorgenerfüllte Blick weicht einem gelösten Lächeln. Nicht auszudenken, wenn diese Menschen etwas mehr an täglichen selbstverständlichen Ressourcen für ihr existenzielles Dasein hätten. Nicht auszudenken, wenn wir weniger kleinkarierte Ängstlichkeit, sondern mehr an Gelassenheit besäßen. Was wenn unsere Hände und Herzen sich näher kommen könnten, um eine gemeinsame lebenswerte Zukunft zu gewinnen?
„Du hältst dich für einen großen Elefanten, doch der Busch ist viel größer als du.“ heißt es einer mündlichen Überlieferung der Mandingue nach. Karibu ndani! Der Busch lädt ein, ihn zu betreten.
(Text und Photo: Maria Elisabeth Aigner)