Die Wege der Kirchen- und Theologiegeschichte sind bisweilen ebenso merkwürdig wie verworren. Eine kleine Studie zur historischen Kontingenz von Claus Arnold.
Die Theologie des Tübinger Dogmatikers Karl Adam findet kaum noch positives Echo. Wenn sich Hans Küng noch für Adams Dogmenhermeneutik begeistern und Walter Kasper Adams „männliches“ Christusbild als Korrektiv zu einem frommen Monophysitismus würdigen konnte, so überwiegt heute die Kritik: Rainer Bucher, Lucia Scherzberg und Andreas Holzem haben Adams völkische Inkulturationstheologie, seinen Antisemitismus und seine Verstrickung in den Nationalsozialismus treffend analysiert. Adam ist wenigstens insofern einer damnatio memoriae verfallen, als die Tübinger Karl-Adam-Straße und das Stuttgarter Karl-Adam-Haus umbenannt worden sind.
Verstrickungen
Die deutsche katholische Theologie hat damit ausnahmsweise ein altes römisches Desiderat umgesetzt. Denn nach den vatikanischen Archivöffnungen für die Pontifikate von Pius XI. (2006) und Pius XII. (2020) ist endgültig klar, dass kein Geringerer als Eugenio Pacelli/Pius XII. Karl Adam im Visier hatte. Als Nuntius in Berlin zeigte Pacelli im März 1926 Adams Bestseller „Das Wesen des Katholizismus“ direkt bei Rafael Merry del Val, dem Kardinalsekretär des Heiligen Offiziums, an und leitete damit eine jahrelange, zermürbende Zensurgeschichte für Adam ein. Pacelli befand, das Buch sei zwar ansprechend und mit guten Intentionen geschrieben, aber theologisch von geringer Tiefe oder (in seiner Gemeinschaftsseligkeit) sogar gefährlich.
Pacelli contra Adam
Auch als Papst behielt Pacelli Adam im Blick. Seine berühmte Aachener Rede von 1939, in der er den gemeinsamen völkischen Boden von deutschem Katholizismus und Nationalsozialismus gepriesen hatte, wurde im Vatikan genau registriert. Anlässlich der Indizierung des Buches „Der Katholizismus – Sein Stirb und Werde“, einem Werk aus dem mit Adam verbundenen Rheinischen Reformkreis, beklagte der Papst im Jahr 1941, dass es in Mailand immer noch zu viele Verehrer von Adam gebe (unter anderem seinen Übersetzer Mario Bendiscioli, aber auch den berühmten Agostino Gemelli von der Università cattolica). Pius XII. ließ den zuständigen Kardinalerzbischof Schuster ermahnen, diese Kreise an die Kandare zu nehmen. Als Kardinalstaatssekretär Pius`XI. war Pacelli in die Mailänder Bemühungen um eine italienische Rezeption Adams involviert gewesen. Nun war er wohl doppelt von Adam enttäuscht.
Ironischerweise zählte auch Pacellis enger Mitarbeiter Montini, später Paul VI., zum Kreis der Adam-Bewunderer. 1943 entschied der Papst persönlich, dem französischen Übersetzer Adams solle mitgeteilt werden, dass er von der Verbreitung von Büchern einer Person absehen solle, über der schmerzliche doktrinelle Schatten lägen. Offensichtlich wurde in diesem Kontext auch überlegt, die Werke Adams einer neuen Zensur im Heiligen Offizium zu unterziehen. Hier fand er 1944 aber überraschenderweise in Pietro Parente, einem der späteren geistigen Väter von „Humani generis“, einen entschiedenen Verteidiger: Parente ließ Adams lange Zensur- und Expurgationsgeschichte von 1926 bis 1933 Revue passieren und meinte, dass gerade „Das Wesen des Katholizismus“ in seiner gereinigten Form viel Gutes bewirkt habe.
Andere im Heiligen Offizium und vor allem der Papst selbst blieben aber kritisch, und dies auch noch lange nach dem Krieg: 1953 ließ Agostino Gemelli über Montini – eventuell am Papst vorbei – im Heiligen Offizium anfragen, ob eine italienische Übersetzung von Adams „Una sancta in katholischer Sicht“ opportun sei. Nach einiger Verzögerung wurde dies von Kardinal Ottaviani entschieden verneint.
Auch andere Theologen wurden nun in den Strudel Adams hineingerissen. Im Jahr 1954 erwirkte der Wiener Kardinalerzbischof Innitzer in Rom eine Prälatur für Karl Rudolf, den Leiter des Seelsorgeamtes der Erzdiözese. Dies führte zu einer innerkurialen historischen Rückschau: In einer Archivnotiz des Heiligen Offiziums rückte der ehemalige Wiener Nuntiatursekretär Giuseppe di Meglio die katholische Haltung zum „Anschluss“ Österreichs von 1938 in eine umfassendere theologisch-politische Perspektive: Die von Pius XII. 1947 in Mediator Dei getadelte „übertriebene“ liturgische Bewegung in Deutschland habe ihre Ableger in Frankreich und auch in Österreich. Es sei eine Tatsache von großer Bedeutung, dass diese „übertriebene“ liturgische Bewegung neben der „Nationalisierung“ der Riten, vor allem im Sprachgebrauch, auch immer wieder einen „politischen“ Nationalismus bekräftigt habe, vor dem auch „germanische“ Theologen wie Adam und Guardini nicht gefeit gewesen seien. Gerade Adam habe politisch-religiöse Aussagen gemacht, die in Deutschland ein trauriges Nachspiel gehabt hätten. Zudem habe er einen schädlichen Einfluss auf Karl Rudolf und seinen pangermanisch geprägten „Bund Neuland“ ausgeübt, aus dem wichtige Unterstützer des „Anschlusses“ gekommen seien. Ausgerechnet diese Personenkreise hätten nun aber nach dem Krieg wieder Oberwasser in Österreich.
Adam und Guardini
Die Paarung von Adam und Guardini mag theologisch nicht völlig überzeugen, doch wurde sie im Heiligen Offizium von einem einflussreichen Konsultor vorgetragen, nämlich von Augustin Bea SJ: Dieser wies die Indexsektion des Heiligen Offiziums auf den „unerwarteten“ Erfolg der Bücher von Romano Guardini hin. Er sei ein Theologe von geringer Tiefe und progressiver Tendenz; aber sehr vorsichtig und versuche, nicht in Heterodoxie zu verfallen. Bea meinte, dass es gut wäre, alle Werke von Romano Guardini zu prüfen, weil er wahrscheinlich die Grenzen der Orthodoxie überschritten habe und seine Werke zunehmend in verschiedene Sprachen übersetzt würden. Man solle auch die Werke von Adam überprüfen. – Die „geringe Tiefe“ der Werke Guardinis klingt deutlich an das Urteil Pacellis über Adam von 1926 an. Und Bea beriet Pacelli damals theologisch.
…. und Rahner
Zu diesem tendenziell häretischen Duo stieß nun im Jahr 1956 in der Perzeption des Heiligen Offiziums ausgerechnet Karl Rahner, der früher Adams anti-intellektualistische Tendenzen selbst angeprangert hatte. Rahner war bereits wegen seiner Aussagen zur Konzelebration und zur Katholischen Aktion ins Visier Pius‘ XII. geraten und tat nun unwissentlich das Ungeschickteste, was er überhaupt tun konnte: er lobte Karl Adam. Noch im Februar 1955 hatte sich der Papst heftig darüber erregt, dass Adam in einer Rezension zur Festschrift für seinen 75. Geburtstag in der Dominikaner-Zeitschrift „Angelicum“ zu sehr gepriesen worden war. Dies führte zu einer mündlichen Abmahnung der Redaktion durch den Kommissar des Heiligen Offiziums. Aber Rahner provozierte Pius XII. noch viel umfassender.
Zum 80. Geburtstag Adams widmete ihm Rahner einen dreispaltigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der am 20. Oktober 1956 mit der vollmundigen redaktionellen Überschrift „Theologie in der Welt“ erschien. Nachdem er einen kurzen Lebenslauf und einen knappen Werküberblick gegeben hatte, verwandte Rahner mehr als die Hälfte seines Artikels darauf, den Umbruch in der Theologie seiner Zeit, von einer „neugotischen Neuscholastik zu einer Theologie, die scholastisch ist, sonst aber keinen eigenen Namen hat (so wenig wie ihn eben der Stil der Gegenwart zu haben pflegt)“, zu beschreiben.
Die „Neue Theologie“: Rahner lobt Adam
Zu den Theologen, die den Wandel zu dieser „neuen Theologie“ – die im Übrigen nichts mit Modernismus zu tun habe und auch nicht von der Enzyklika Humani generis Pius XII. getroffen werde – vorbereitet hätten, gehöre in vorderster Reihe Karl Adam. Rahner hatte also Adam für seine eigene Theologie vereinnahmt. Der Artikel an sich war als versöhnliche Geste aus Innsbruck nach Tübingen gedacht, von wo man sich weitere „Freisemester“-Studierende erhoffte. Die Kombination von Rahner, Adam und „neuer Theologie“ verfehlte ihre Wirkung nicht: Der Artikel wurde vom Bonner Nuntius Muench sofort nach Rom geschickt und dort Pius XII. vorgelegt. Dieser denunzierte ihn umgehend beim Heiligen Offizium. Rahner hatte der kurialen Schimäre einer „neuen Theologie“ in Deutschland mit den drei Schulhäuptern Adam, Guardini und Rahner kräftig Leben eingehaucht.
Ausgerechnet Alois Hudal
Die Sache mit Adam hätte Rahner eventuell den Kopf kosten können, wenn nun nicht ein gealterter österreichischer Prälat das Feld betreten hätte: Kein anderer als der Konsultor Alois Hudal erhielt vom Heiligen Offizium den Auftrag, die opera omnia Rahners zu überprüfen. Trotz oder gerade wegen seiner eigenen Nazi-Affinitäten stänkerte Hudal bereits seit längerem im Heiligen Offizium bei jeder Gelegenheit gegen Adam und vor allem gegen Guardini. Mit seinem Versuch, in zwei Wochen auf zweieinhalb Schreibmaschinenseiten das Gesamtwerk Rahners zu „würdigen“, scheiterte er aber grandios.
Das peinliche Dokument wurde vom Heiligen Offizium schlicht ignoriert. Auch Hudals weitergehender Vorschlag, die ganze „neue Theologie“ im deutschen Sprachraum, namentlich Rahner, Adam und Guardini, umfassend von einem Dominikaner vom Angelicum und einem Jesuiten von der Gregoriana prüfen zu lassen, gehört zu den vielen repressiven Vorhaben, die in der Endphase des Pontifikates von Pius XII. versandeten. Und so konnten wenig später Adam und Guardini als Konzilstheologen in Aussicht genommen werden und Rahner tatsächlich als solcher wirken.
_________________________________________
Zum Weiterlesen:
Journal of Modern and Contemporary Christianity 3 (2024) Heft 1: The Roman Magisterium in the Twentieth Century: New Perspectives from the Vatican Archives.
Claus Arnold, Die Schwierigkeiten Karl Rahners mit dem Heiligen Offizium in der Endphase des Pontifikats von Pius XII. (1953-1957), in: Ephemerides Theologicae Lovanienses, 100 (2024) Heft 3-4 (erscheint im Dezember 2024).
Raphael Hülsbömer, Karl Adam im Visier der kirchlichen Glaubenswächter: Einblicke in die Zensurverfahren gegen den Tübinger Dogmatiker von 1926 und 1931-1933, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 30 (2011) 179-201.
Alessandro Angelo Persico, La silenziosa difesa di Karl Adam. Significato e censura de L’Essenza del Cattolicesimo in Italia, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 70 (2016) 529-560.