Linkskatholischer Nonkonformismus bedeutete in der Adenauerzeit vor allem Ausgrenzung. Die „katholische Freiheit“, für die Georg D. Heidingsfelder stand, verlangte einen hohen Preis. Peter Bürger stellt den weithin unbekannten linkskatholischen Außenseiter vor.
Georg D. Heidingsfelder (1899 – 1967) gehörte während der Adenauer-Ära zum überschaubaren Kreis der nonkonformistischen Publizisten, die sich der katholischen „Einheitsfront“ entgegenstellten. Carl Amery und Heinrich Böll, so bemerkte er 1963 in einer „Zeit“-Rezension der „Ansichten eines Clowns“, seien „Katholiken, die den Gegenstand ihrer Attacken, den restaurierten Bürger-Katholizismus, auch von innen kennengelernt haben“. Heidingsfelder selbst musste als überaus kirchentreuer Konvertit die Bedrückungen des schwarzen Selbstlobkollektivs noch gründlicher kennenlernen als jene großen Vorbilder, die er in eigenen Schriften oft und ausgiebig zitiert hat.
Bedrückungen des schwarzen Selbstlobkollektivs der Nachkriegszeit
Die früheste publizistische Spur ist das Dialektbüchlein „1000 Worte Ansbachisch“ von 1929 für den fränkischen Heimatort. 1933 verliert Heidingsfelder – einem Selbstzeugnis zufolge – seinen Arbeitsplatz als Zeitungsredakteur und findet nach einer beruflichen Umorientierung 1938 Anstellung bei einer bäuerlichen Genossenschaftsbank in der sauerländischen Kreisstadt Meschede. Am neuen Wohnort behandelt er in Abendzirkeln mit älteren Schülern und Erwachsenen aus der katholischen Kirchengemeinde den „Gegensatz zwischen christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung“.
Der NSDAP-Kreisleiter lässt ihm das Kindergeld streichen. Im Januar 1942 wird der Vater von sechs Kindern als Unteroffizier in das Wehrmachtsgefängnis Bruchsal abkommandiert. Der mehrjährigen Erfahrung an diesem Ort der permanenten Menschenverachtung verdankt er die spätere „Erkenntnis, dass das militärische System im Wehrmachtsgefängnis die potenzierte Kaserne geschaffen hatte, die sich von den Nazis ohne Schwierigkeit zum KZ weiterentwickeln ließ. Der Kommiss also, nicht erst die NS-Weltanschauung, ist das Fundament der Konzentrationslager“.
Das militärische System als Fundament der Konzentrationslager
Aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrt Heidingsfelder als zertifizierter Demokrat („Selected Citizen“) ins Sauerland zurück. Er bedauert, nicht entschiedenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet zu haben. In den zurückliegenden Jahren hatten Faschisten in der katholischen Landschaft Heiligtümer geschändet. 1947 wird jedoch ein von Heidingsfelder initiiertes Kreuz zur Erinnerung an die Ermordung von 80 sowjetischen Zwangsarbeitern mit Feuer und Äxten entstellt. Der zuständige Paderborner Generalvikar empfiehlt Stillschweigen und mutmaßt, die Kreuzschänder seien nicht von bösen Absichten geleitet worden.[1]
Heidingsfelder fordert 1948 in den „Werkheften katholischer Laien“, die katholische Publizistik müsse die „Schuldfrage“ in den Vordergrund stellen, und erntet Widerspruch. In bissigen „Notierungen aus dem katholischen Hinterland“ wird er später die selbstgefälligen Lügen einer westfälischen Kleinstadt enthüllen. Das konfessionelle Milieu der „Bonner Republik“ ist schon vor dem 2. Vatikanum längst brüchig, hält sich aber immer noch für unsterblich.
1948: Die „Schuldfrage“ stellen! Heidingsfelder erntet Widerspruch.
Die frühen Nachkriegsschriften beleuchten bereits die kirchliche Kollaboration mit dem preußischen Militarismus und das Totalversagen in zwei Weltkriegen. Leidenschaftliche Kritik am bankrotten „Bürgerchristentum“, Voten für ein anderes Bild von Männlichkeit und die Forderung nach einer neuen Stellung der Arbeiter werden vorgetragen. Doch Bezugnahmen auf das Ideal einer ständisch geordneten Gesellschaft und die unselige „Reichstheologie“ verraten, dass der Verfasser noch immer zutiefst konservativen – oder gar reaktionären – Denktraditionen verhaftet ist.
Leidenschaftliche Kritik am bankrotten „Bürgerchristentum“
Gegenüber der politisierenden „Drahtzieherei“ der Prälaten im Verbandskatholizismus will Heidingsfelder als gelernter Lutheraner durchaus nicht von der „Freiheit eines Christenmenschen“ lassen. 1950 kommt es zum Ernstfall. CDU-Funktionäre sorgen dafür, dass die konfessionellen Verbände die von Konrad Adenauer gewünschte Wiederbewaffnung Westdeutschlands mittragen und propagieren. Der Freiburger Männerseelsorger Prälat Dr. Alois Stiefvater wählt für eine entsprechende Flugschrift den Titel „Volk ans Gewehr“. Heidingsfelder kündigt seine hauptamtliche Stelle bei der Katholischen Arbeiterbewegung.
Wiederbewaffnung und Kündigung
Einige Jahre lang tritt er jetzt als enger Mitstreiter Reinhold Schneiders in Erscheinung: „Die Zeit erfordert unseren Widerspruch.“ Er verehrt diesen konservativen Dichter als sein großes Vorbild und ist ihm zu Diensten wie kein anderer, als die katholische Welt in Deutschland den einstmals gefeierten Meister wegen seiner Ablehnung der Wiederaufrüstung scheinbar fallen lässt. Heidingsfelder publiziert – wie Schneider und von diesem dazu gar ermutigt – in „kryptokommunistischen“ Zusammenhängen, auch weil es so gut wie keine anderen Publikationsmöglichkeiten mehr gibt. Nun gelten die beiden trotz ihrer erwiesenen weltanschaulichen Gegnerschaft zum doktrinären, autoritären Marxismus der östlichen Staatssysteme als „Kommunisten“.
Etikettierung als „Kommunisten“
Der Briefwechsel Schneider-Heidingsfelder (1950 – 1954) dokumentiert am eindrucksvollsten die Bedeutung der zeitweiligen, auf beiden Seiten loyalen Zusammenarbeit und enthält zugleich Schneiders schärfste Kritik einer naturrechtlich angelegten – atomwaffenfreundlichen – Moraltheologie, in der die Botschaft Jesu gar nicht mehr vorkommt. Das Ende dieser Geschichte fällt traurig aus: Der große Meister Reinhold Schneider mäßigt den Ton seiner Kritik und findet alsbald wieder Gnade in den Augen der katholischen Welt. Sein eifriger Jünger Georg D. Heidingsfelder lehnt hingegen jede Kompromisslinie bezogen auf die Wiederbewaffnung (und die „Atombombe als satanisches Instrument des Massenmords“) ab und wartet ab einem bestimmten Zeitpunkt offenbar vergebens auf eine Briefantwort aus Freiburg.
„Atombombe als satanisches Instrument des Massenmords“
In den 1950er Jahren positioniert sich Heidingsfelder ausdrücklich als Linkskatholik und bleibt unversöhnlich gegenüber jeglichem Kirchentum, das Abgrund und Tragik der Menschengeschichte selbstherrlich zu umgehen gedenkt. „Katholische Freiheit“ heißt eine „Monatszeitschrift für mündiges Christentum“, die Heidingsfelder 1952 – 1953 herausgibt. Die verdeckte „Ostfinanzierung“ ist ihm bewusst, doch nach versuchten redaktionellen Eingriffen legt er die Schriftleitung sofort nieder. Ein Artikel aus seiner Schreibwerkstatt, veröffentlicht Mitte Juni 1953, zieht eine zweimalige Vernehmung bei der Kriminalpolizei „wegen Staatsgefährdung und Beleidigung des Bundeskanzlers“ nach sich. Es folgen Veröffentlichungen in linkssozialistischen Zeitungen, eine Kandidatur für Gustav Heinemanns „Gesamtdeutsche Partei“ und schließlich 1958 ein Eintritt in die SPD, die damals noch eine deutsche Atombombenteilhabe ablehnt.
Anwalt der Arbeiter und zugleich entschiedener „Antimoderner“
Die Familie muss über Jahre den kostspieligen Nonkonformismus mittragen, wenn der Ernährer – nicht zuletzt auch aufgrund von Angriffen in nächster Umgebung des „schwarzen Sauerlandes“ – seelisch zermürbt ist oder wieder einmal kein Brot auf den Tisch kommt. 1960 gibt es das letzte Stellenangebot eines bürgerlichen Blattes. Georg D. Heidingsfelder zieht es jedoch vor, fern vom Wohnort als Hilfsarbeiter in verschiedenen Fabriken den Unterhalt zu verdienen.
Seine eigenen Berichte darüber zeigen einmal mehr, dass dieser Kritiker eines „verbürgerlichten Christentums“ ohne Zukunft ein Anwalt der Arbeiter war, gleichzeitig aber auch ein entschiedener „Antimoderner“. In der von Heinrich Böll mit herausgegebenen Zeitschrift „labyrinth“ bekennt der brotlose Publizist 1961, er wünsche zu jenen gezählt zu werden, „die sich in dieser Wunderwelt der Prosperität als Pilger und Fremdlinge fühlen und lieber in Armut zugrunde gehen wollen als nur ein Jota ihrer Überzeugung preiszugeben, dass dieses ‚Christliche Abendland‘ eine Welt der Lüge ist“.
—
Peter Bürger, Theologe und Pazifist, Düsseldorf
Buchhinweis: Georg D. Heidingsfelder: Gesammelte Schriften. Eine Quellenedition zum linkskatholischen Nonkonformismus der Adenauer-Ära. Bearb. P. Bürger.
Band 1 (400 S.; 13,90 €; ISBN 978-3-7431-3416-4), Norderstedt: BoD 2017
Band 2 (428 S.; 13,99 €; ISBN 978-3-7448-2123-0). Norderstedt: BoD 2017.
Bild: Fotoanlage / Archiv Peter Bürger: Georg D. Heidingsfelder (1899 – 1967)
[1] Vgl. Bürger, Peter / Hahnwald, Jens / Heidingsfelder, Georg D.: Sühnekreuz Meschede. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte eines schwierigen Gedenkens. Norderstedt: BoD 2016.