Die neue Grundordnung als Handlungsort des synodalen Weges durchzudeklinieren, würde viele Menschen erreichen, Synergien hervorrufen und Transformation bewirken. Von Marion Schwermer.
Wodurch wird man eine katholische Einrichtung?[1] Standen bisher die dort tätigen Personen im Zentrum der Aufmerksamkeit, verlagert sich mit der neuen kirchlichen Grundordnung von 2022 die Verantwortung wesentlich stärker auf die Institution. Dies gilt für alle katholischen Einrichtungen, Organisationen, Verbände, auch für die verfasste Kirche wie die Generalvikariate.
Von der Person zur Institution
Beendet wird damit ein kaum mehr begründbares und von der gesellschaftlichen Wirklichkeit weit entferntes Einstellungskriterium, nämlich die Übereinstimmung der eigenen Lebensführung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche. Öffentlichkeitswirksame Ereignisse wie etwa „Out in church. Für eine Kirche ohne Angst“, bei der 125 queere Mitarbeitende der katholischen Kirche mit Mut und Entschiedenheit ihre Lebensform öffentlich machten, beschleunigten die Einigung und die Umsetzung in den Bistümern.
Katholische Institutionen stehen nun vor der Aufgabe, in ihrer Tätigkeit ein katholisches Profil und eine christliche Identität zu verwirklichen und sichtbar zu machen. Dies geschieht in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem katholische Selbstverständlichkeiten oft verloren gegangen sind. Die Selbstentfremdung des eigenen (auch pastoralen) Personals von ihrer Arbeitgeberin und der Vertrauensverlust in eine die Dienstgemeinschaft verbindende christliche Grundhaltung bestimmen den Diskurs mit.
Die oberste Führungsebene verantwortet nach der neuen kirchlichen Grundordnung drei Aufträge: den kirchlichen Charakter für die jeweils spezifische Organisation zu erarbeiten und vorzugeben, dafür motivierte, informierte und situativ kompetente Mitarbeitende einzustellen sowie den Beschäftigten die Rahmenbedingungen zu geben, damit diese ihren Beitrag für einen überzeugenden kirchlichen Charakter leisten können.[2] Sie haben strukturell und systemisch für das ‚Sollen – Wollen -Können‘ zu sorgen.
Die Personalverantwortlichen sind inhaltlich gefordert, neuen Mitarbeitenden die christlichen Ziele und Werte sowie den kirchlichen Charakter der jeweils anstehenden Tätigkeiten motivierend und wertschätzend zu vermitteln. Gesellschaftlich anschlussfähig werden diese Angebote, wenn sie an den jeweiligen Lebens- und Glaubenskontext und die beruflichen Kompetenzen anknüpfen, Menschenwürde und Gerechtigkeit zum Thema machen und Herzensbildung[3] ermöglichen.
Paradigmenwechsel
Als Weg zu Identität und Profil benennt die Grundordnung Leitbild, Konzepte und Organisationskultur. Alles drei sind Managementmethoden, die nur durch Prozesse initiiert, gestaltet und gelingen können. Aus der Sicht der Organisationsentwicklung ist dies ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel, der die Kraft zur Transformation in sich trägt. Denn der klassische Weg kirchlicher Veränderung ist der Zustandswechsel von Zustand A nach Zustand B. Er lässt sich gut kontrollieren und auf den eigenen Einflussbereich begrenzen. Leitungszentriert und selbstbezüglich wird innerhalb bestehender Strukturen und Gremien geplant und umgesetzt. Ob der Zustandswechsel erfolgreich war, wird selbst definiert. Nüchtern betrachtet, gelingt so keine systemische Veränderung, so dass der Eindruck entstehen kann: Kirche kann keine Prozesse.
Nun öffnet sich für kirchlich gebundene Dienstgeber*innen also ein neues Lernfeld. „Die Arbeit an der christlichen Identität der Einrichtung ist“, so die neue kirchliche Grundordnung, „ein permanenter, dynamischer Prozess.“ Verpflichtend ist die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden und eine „gute Mitarbeiterführung“, unerlässlich ist eine „christliche Kultur“, die „von allen mit Leben gefüllt und für die Menschen, die kirchliche Angebote wahrnehmen, erfahrbar wird.“[4] Partizipation wird nun als Erarbeitungsprinzip verbindlich. Was in den Institutionellen Schutzkonzepten zur Prävention sexualisierter Gewalt schon eingeübt wurde, wird jetzt zur Grundlage kirchlicher Organisation.
Die Wirksamkeit wird im Außen durch einen doppelten Perspektivwechsel überprüft: aus der Sicht der Mitarbeitenden, ob das Profil gelebt wird sowie an den Erfahrungen, die die Angebotsnutzer mit der christlichen Kultur machen. Kirchliche Definitions- und Sanktionsmacht wird an das Außen abgegeben und die Zustimmung ihrer Mitwirkenden und ihrer Adressat*innen gewinnt an Bedeutung.
Kriterien eines katholischen Profils
Ein katholisches Profil kann nicht von Verantwortungsträger*innen von oben nach unten festgeschrieben werden. Glaubwürdigkeit wird nicht im Innen definiert, sondern muss sich im Außen konstituieren und bewähren. Wirklichkeitsnäher ist dann zu beschreiben, was das katholische Profil bewirken sollte und was nicht. Woran ist eine Dienstgemeinschaft erkennbar? Was wäre anders im Vergleich zu einer nichtkirchlichen Verwaltung bzw. Einrichtung? Rufen Menschen an, weil sie wissen, dass ihnen geholfen wird? Entscheidend wäre, ob die Menschen einen Unterschied wahrnehmen, der ihren Erwartungen und Ansprüchen entgegenkommt. Dies ist für die verfasste Kirche ein ungeübter Perspektivwechsel.
Was erwarten Menschen konkret? Zum Beispiel ‚Räume des Aufatmens‘, in denen ich zu mir kommen kann. Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung (Johann Baptist Metz). Dass ich mich in Beziehung und Begegnung als Person gesehen fühle. Das mir ein „Raum der Freiheit als Lebensraum“ eröffnet wird.[5] Es sind Orte des Mit-Leidens, des Empörens und des Aushaltens, ohne sich selbst und die Hoffnung zu verlieren. Es sind Orte der Ruhe, der Gelassenheit und des entschiedenen Handelns, in denen Solidarität geübt und für Menschen eingestanden wird. Implizite und explizite Exklusionsprozesse werden sensibel zur Kenntnis genommen und soweit wie möglich vermieden.
Prozess als Methode
Der Unterschied zwischen Prozess und Zustandswechsel liegt nicht in der Benennung, sondern in der Art und Weise, wie Veränderung geplant, gesteuert und umgesetzt wird. Ein Prozess beginnt damit, genau hinzuschauen auf den Ist-Stand, eine Bestandsaufnahme zu machen. Es ist die Suche nach einer gemeinsamen realistischen Sicht auf das eigene Tun und Auftreten sowohl als Innensicht als auch in der Außensicht. Fragen sind zum Beispiel: Was bedeutet es Ihnen, für Kirche zu arbeiten? Was trägt die eigene Tätigkeit zum christlichen Profil der Organisation, zum Sendungsauftrag der Kirche bei? Wie reagieren andere, wenn sie erfahren, dass sie für die katholische Kirche arbeiten? Der Blick richtet sich auf die positiven und auf die negativen Seiten des Profils: auf die Stärken und die daraus entstehenden Chancen sowie die Schwächen und die daraus abzuleitenden Risiken. Je mehr Perspektiven eingebunden werden, desto eher gelingt es, Konflikte zwischen den Interessensgruppen zu entschärfen und eine tragfähige und robuste Balance zu schaffen.
Denn die Dynamik von Prozessen entsteht durch eine benennbare Differenz zwischen Ist und Soll, durch die Einordnung als vorrangiges Organisationsziel sowie die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte. Typisch für einen Prozess ist eine Kick-off-Veranstaltung, die Betroffene zu Beteiligten macht und Veränderungsbereitschaft weckt. Es braucht eine kontinuierliche Steuerung sowie eine längere Phase der Veränderung, um die Menschen mit den Folgen nicht alleine zu lassen. Er verlangt Kooperation über den Verantwortungsbereich hinweg mit Verbindlichkeit und Abstimmung zwischen den Verantwortlichen, Information und Beteiligung der Mitarbeitenden und besondere Formen der Erarbeitung.
Das Zukunftsbild des Bistums Essen hat schon 2014 durch sieben Eigenschaften beschrieben, wie sie in Projekten ihr Leitbild einlösen und präsent halten will.[6] Das kirchliche Profil soll von den vertrauten Sozialformen gelöst und an fremden Orten irritiert und geschärft werden, etwa wenn über Schuld und Sühne in einem Gerichtssaal diskutiert wird.
Die Caritas Deutschland verpflichtet sich selbst: „Wir stellen nicht nur katholische Mitarbeitende ein. Wie sie privat ihr Leben gestalten, ist nicht entscheidend.“ Mit zehn Zusagen wird die neue Grundordnung in der Personalgewinnung aktiv als neuer „Markenkern“ genutzt.[7]
Die Katholischen Schulen NRW verstehen christliche Identität als durchgängige Handlungskompetenz und haben den Ansatz der curricularen Eigenprägung entwickelt. Das christliche Menschenbild wird als Modell einer Sichtweise verstanden, dass in allen Fächern plausibel gemacht werden kann. So wollen sie in allen Bildungsbereichen einen religiösen ‚Modus‘ der Weltbegegnung vermitteln.
Auch die von Papst Franziskus initiierte Weltsynode unter den Leitbegriffen Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung ist ein Prozess. Prozess bedeutet hier die Erfahrung der Weggemeinschaft, gehört und ernst genommen zu werden. Dies ist geistlich und organisatorisch in der katholischen Kirche ein Novum. Missverständnisse entstehen, wenn in Deutschland nur ein Zustandswechsel erwartet und dies an konkreten Ergebnissen gemessen wird, anstatt die Prozessdynamik im eigenen Verantwortungsbereich in Gang zu bringen. Die neue Grundordnung als Handlungsort des synodalen Weges durchzudeklinieren, würde viele Menschen erreichen, Synergien hervorrufen und Transformation bewirken.
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[1] Zusammenfassende Gedanken eines Vortrages auf dem IX. arbeitsrechtlichen Symposium 2023, veröffentlicht in der ZAT 6/2023, 195-202.
[2] Vgl. GO Art. 3, Abs. 3.
[3] Bischöfliche Erläuterungen zum kirchlichen Dienst 2022, Art. IV, Abs. 2.
[4] Zitate aus GO Art. 3, Abs. 3+4, Art. 4 c
[5] Arnold, Christoph, Studientag DBK 2021 „Was der Kirche heute aufgegeben ist“, 11.
[6] https://www.kirche-kann-karriere.de/was-uns-ausmacht/das-zukunftsbild, 27.10.2024.
[7] https://www.caritas.de/fuerprofis/arbeitenbeidercaritas/arbeitgebercaritas/zehn-zusagen-an-mitarbeitende; 27.10.2024.