Während pastorale Innovationen verzweifelt um Akzeptanz ringen, sind Katholische Schulen bundesweit nachgefragt. Von Paul Platzbecker
Beginnen wir in schwieriger Zeit mit einer erfreulichen Nachricht. Es gibt kirchliche Institutionen, die sich trotz des massiven Trends zum Interessens- und Mitgliederschwunds einer konstant hohen Nachfrage erfreuen. Gemeint sind die mehr als 900 Katholischen Schulen, die bundesweit als ‚freie Schulen‘ von den Diözesen oder den Ordensgemeinschaften getragen werden. Während zur gleichen Zeit auch die z.T. aufwändigen pastoralen Innovationen verzweifelt um Akzeptanz ringen, erfreuen sich die Katholischen Schulen einer bleibenden Hochkonjunktur.1
Über die Motive, warum Eltern ihre mehr als 350.000 Kinder nach wie vor gerne dort anmelden, ist viel diskutiert und geforscht worden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie der ‚überalterten‘ Kirche in ihrer Krise bewusst den Rücken stärken wollen. Es wäre zu hoffen, dass sich die kirchlichen Verantwortlichen der Chance bewusst sind, die im bleibenden Kontakt mit den Heranwachsenden besteht. Ebenso, dass sie daraus angesichts der ökonomischen Herausforderungen der Zeit die entsprechenden finanz- und personalpolitischen Schlüsse ziehen, um das alternative Schulangebot aufrechtzuerhalten.
Katholische ‚Bildung‘ heute: Ringen um Profil und Relevanz
Die Spannungen und Ambivalenzen, in denen sich die Thematik befindet, könnten also kaum größer gedacht werden. Ob sich unsere rasant entkirchlichende Gesellschaft noch weiter säkularisiert oder sie sich in eine weltanschaulich offene Gesellschaft hinein transformiert, wie Tobias Zimmermann meint2, kann dahin gestellt bleiben. Fakt ist, dass sich eine radikal plurale ‚Spätmoderne‘ nun gänzlich von (den letzten) religiös-kirchlichen Einflüssen zu emanzipieren versucht – mit allen Ambivalenzen, die dies mit sich bringt. Christliche Religion droht darin nun endgültig zum ‚Modernisierungsverlierer‘ zu werden (Hans-Joachim Höhn). Man kann demgegenüber das Ringen um den ‚Synodalen Weg‘ als Versuch sehen, den vom II. Vatikanum angestoßenen Weg in die Moderne doch noch zu Ende zu gehen. Vereinzelt wird befürchtet, dass es dafür spät – vielleicht zu spät – sein könnte.
In dieser komplexen Gemengelage versuchen die verantwortlichen Träger den weltanschaulichen Standort ihrer Katholischen Schulen zu bestimmen und deren ‚Profil‘ als Antwort auf die Frage nach Eigenart und Relevanz im Spektrum pluraler Angebote zu schärfen. Mitunter ist hier ein unsicheres Oszillieren zwischen sektiererischem Rückzug und einem offenen Zugehen auf die gesellschaftliche Realität zu konstatieren. Konkret: Was macht Katholische Schule als ´Andersort‘ unverwechselbar, während sie zugleich die vom II. Vatikanum geforderte ‚Synthese von Kultur und Glaube‘ weiterhin ernstnimmt? Die Gestaltungsräume gegenüber den Richtlinien, die der Staat auch für diesen Schultyp vorgibt, werden hier oft genug nicht ausgeschöpft – sei es aus Mut- oder aber aus Ratlosigkeit.
Die theoretischen wie praktischen Antworten auf die Frage nach der Besonderheit sind vielschichtig. Der Übersichtlichkeit halber sei hier lediglich ein Aspekt fokussiert – es ist dies die elementare ‚Frage nach Gott‘ in einer scheinbar Gott-vergessenen Welt.
Spannung zwischen Autonomie und Bekenntnis.
Für den namhaften Pädagogen Heinz Elmar Tenorth sind Katholische Schulen aus der Perspektive der Schultheorie „spannungsreiche, bildungstheoretisch gesehen sogar eher widersprüchliche als wünschenswerte Einrichtungen“.3 Was sie theoretisch gesehen zu „unmöglichen Einrichtungen“ werden lasse, sei der unauflösbare Widerstreit zwischen einer auf Autonomie und Selbstkonstruktion fußenden Bildung und dem Bekenntnis zu einem aus Sicht säkularer Pädagogik eher dem Mythos zuzuschlagenden ‚Gott‘.
Begegnen wir hier tatsächlich konfligierenden Funktionsprinzipen? Wenn ja, würde dies den angedeuteten Konflikt zwischen Religion und Moderne bereits an der gründenden Wurzel der katholischen Schulidee verorten lassen. In der Tat spricht das entsprechende, richtungsweisende ‚Ur-Dokument‘ des II. Vatikanums davon, dass die Katholische Schule zwar ein „Lebensraum [sei], in dem der Geist der Freiheit […] lebendig“ sei, „die gesamte menschliche Bildung“ [aber] auf die Heilsbotschaft aus[gerichtet sei], so dass die Erkenntnis, welche die Schüler stufenweise von der Welt, vom Leben und vom Menschen gewinnen, durch den Glauben erleuchtet wird“.4
Während säkulare, auf Freiheit im aufklärerischen Sinne fußende Bildungstheorien jeglichen Entwicklungstelos ausschließen (Dietrich Benner), hält das katholische Verständnis an der ‚Hinordnung auf ein letztes Ziel‘ der Bildung fest (GE 1). Markiert Tenorth hier also bereits einen Grundkonflikt, der sich ungeahnt stark in die faktische Schulkultur hinein auswirkt? Hier ist nicht der Ort, die notwendigen systematischen Überlegungen zur Auflösung des Konflikts aus theologischer – zumal aus freiheitstheoretischer – Sicht zu referieren.5 Wenn dies indes nicht gelingt und die Rede von Gott lediglich „Thema und Objekt, nicht organisierendes Prinzip des Zugangs zur Welt“6 ist, dann wird sich Katholische Schule kaum von ihren rein säkularen Alternativen unterscheiden.
Die Frage nach Gott offen halten.
Wie kann also die Frage nach Gott in ein katholisch perspektiviertes Bildungsverständnis integriert werden, ohne ein entsprechendes Bekenntnis schon vorauszusetzen oder als notwendig anzustreben? Dazu lediglich eine Spur: Angesichts der angedeuteten radikalen Säkularisierungsschübe können Katholische Schulen nicht mehr davon ausgehen, dass ihre Schüler*innen den Gottesglauben in ihrem jeweiligen Lebensvollzug als ein sie tragenden Vertrauens (‚fiducia‘) teilen. Praktizierter Glaube in diesem Sinne entzieht sich als reines Gnadengeschenk zudem einer jeden operationalisierbaren (Lern-)Zielsetzung. Hier entlastet die jüngste Apostolische ‚Instruktion‘, wenn sie feststellt: „Die Schule, auch die katholische, verlangt nicht, dass einer glauben müsse. Sie kann aber darauf vorbereiten.“ Es gelte vielmehr, den Heranwachsenden zu helfen, eine Haltung des Suchens anzunehmen, um so an die „Schwelle des Glaubens“ zu gelangen.7
Das derzeit für die Katholischen Schulen in NRW erarbeitete und erprobte Modell einer ‚Curricularen Eigenprägung‘ versucht hier eine mit der Gottesfrage verbundene ‚katholische‘ Profilierung des Fachunterrichts.8 Nahezu alle Katholischen Schulen – nicht nur in NRW – haben post PISAm bekanntlich das mit der Klieme-Expertise entwickelte Verständnis ‚allgemeiner Bildung‘ im Sinne unterschiedlicher Weltzugänge und Rationalitäten übernommen. Diese empirischen, logisch-rationalen, hermeneutischen und musisch-ästhetischen Weltzugänge bzw. ‚Modi der Weltbegegnung‘ sind nach Jürgen Baumert weder wechselseitig substituierbar noch nach Geltungshierarchien zu ordnen.9
So sollen die Lernenden im Fachunterricht kompetenzorientiert, d.h. handelnd die Welt unter verschiedenen Perspektiven wahrnehmen, beurteilen, kommunizieren und schließlich ´modellierend‘ mitgestalten. Handlungs- und Partizipationsfähigkeit im Bereich der Politik, der Gesellschaft und der Kultur angesichts einer offenen und unbestimmten Zukunft – das ist mit Klieme gesprochen das zentrale Ziel allgemeiner Bildung heute, dem auch von kirchlicher Seite aus zugestimmt wird.
Daran schließt das nordrhein-westfälische Konzept ‚Curricularer Eigenprägung‘ kritisch an, so es die Vorstellung eines Schöpfergottes zunächst rein hypothetisch im Sinne des genannten Modells als religiöser ‚Modus‘ der Weltbegegnung in Form einer rein kognitiven Proposition (‚notitia‘) anbietet und nicht nur im Religionsunterricht (!) zu erproben einlädt. Indem die Implikationen dieser klar konturierten Sichtweise vor allem auch für die damit implizierte Sicht auf das christliche Menschenbild in den verschiedenen Fächern plausibilisiert wird, kann dem Heranwachsenden im freien Akt des Sich-Bildens das Überschreiten der ‚Schwelle‘ (‚assensus‘) erleichtert werden. Dies kann vor allem dann gelingen, wenn das christliche Menschenbild nicht nur ‚Mantra‘, sondern Movens wird für eine Kultur der Achtsamkeit, der Solidarität wie einer Haltung der Verantwortung und Wertschätzung von Diversität, die das erzieherische Handeln an einer offenen und sozial sensiblen katholischen Schule prägt.
Mit Gott sehen lernen.
Was aber trägt die Vorstellung eines jüdisch-christlichen Schöpfergottes im Erproben der verschiedenen Rationalitäten und Perspektiven bei? Philosophisch gesprochen verbindet sich mit ihr die Frage nach der Einheit der Wirklichkeit (kat-holos), ethisch gewendet nach der Universalität von Werten und Normen (Hans Joas) sowie erkenntnistheoretisch betrachtet nach der für uns freilich nur bruchstückhaft erkennbaren Wahrheit. Mit dem Blick auf die Welt ‚etsi deus daretur‘ üben die Schüler*innen also notwendig eine kritische, Perspektiven-übergreifende Sicht ein. Denn für den christlichen Glauben gilt der Schöpfergott als jene verborgene Bedingung, die es erlaubt, in der Fülle singulärer Ereignisse und Erkenntnisse eine tiefere Einheit und Ordnung anzunehmen. Demgegenüber stehen die angesprochenen, der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung entsprechenden Rationalitätsformen stets in der Gefahr, sich zu partikularen Sonder- und Parallelwelten zu verfestigen, die ihre Erkenntnisgrenzen nicht mehr selbstkritisch genug einschätzen und sich so gegen einander zu verschließen drohen. Geschieht dies, so folgt daraus, dass sich die der Wahrheit verpflichtete Vernunft entsprechend funktionaler Wissenschaftsbereiche zu regionalisieren droht. Ein mit der Gottesfrage verbundener Wahrheitsanspruch sucht so nicht zuletzt der funktionalistischen Verkürzung von Bildung entgegen zu wirken und den Heranwachsenden eine kritische, Werte-basierte Orientierung anzubieten. An dieser Möglichkeit sollte eine Freiheitsliebende Moderne weiterhin interessiert sein.
Prof. Dr. theol. habil. Paul Platzbecker, Leitung des Instituts für Lehrerfortbildung (IfL), Essen / Ruhruniversität Bochum.
- Zimmermann, Tobias. Charakter zählt -Warum Schule Persönlichkeiten bilden muss. Orientierung in Zeiten der Digitalisierung. Würzburg 2021. 84. ↩
- Vgl. ebd. 90. ↩
- Tenorth, Heinz Elmar. Was heißt es, eine „katholische“ Schule zu betreiben? Skeptische Rückfragen aus der Perspektive der Erziehungswissenschaft, in: Michael Reitemeyer / Winfried Verburg (Hg.) Bildung Zukunft Hoffnung Warum Kirche Schule macht. Freiburg 2017. 168-179. Hier 168. ↩
- Zweites Vatikanisches Konzil. Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum Educationis, 8. ↩
- Vgl. stattdessen: Platzbecker, Paul. Religiöse Bildung als Freiheitsgeschehen. Konturen einer religionspädagogischen Grundlagentheorie. Stuttgart 2013. ↩
- Tenorth (2017). 170. ↩
- Kongregation für das Katholischen Bildungswesen (2022), 21. ↩
- Vgl. Platzbecker, Paul; Korten, Matthias: Bildung ein Profil geben. Systemische Überlegungen zur curricularen Eigenprägung an katholischen Schulen, in: engagement, 20. 1 (2022), 51-71. ↩
- Baumert, Jürgen. Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Kilius, Nelson / Kluge, Jürgen / Reisch, Linda (Hrsgg.) Die Zukunft der Bildung. Frankfurt a.M. 2002: 100–150 (URL: http//.mpiib-berlin.mpg.de/de/aktuelles/bildungsvergleich.pdf) 106ff. ↩