Der schwere Weg von einer Kirche, die ein Konzil hatte, zu einer Kirche des Konzils. Ein Zeugenbericht von der Römischen Synode von Klara A. Csiszar.
Erlauben Sie mir einen Exkurs: Kurz bevor ich 2010 meine Herkunftsdiözese verlassen habe, haben zwölf Personen, Frauen und Männer, Lai:innen und Priester aus der Pastoral und aus der Administration der Diözese um eine Audienz beim Bischof erbeten. Wir haben ihn über unsere Bedenken hinsichtlich einer Ernennung in der lokalen Kirchenleitung informiert. Unsere Befürchtung war, dass mit dieser Ernennung ein langjähriger synodal-pastoraler Prozess in der Diözese lahmgelegt wird, und dass diese Ernennung den neuen synodalen Stil in der Diözese gefährdet, den wir seit 2001 lernen, und mit dem wir seit 2010 schon sehr gut unterwegs waren. Der Bischof hat uns in der Audienz zugehört. Am nächsten Tag sind wir, alle sechs Frauen aus der kleinen Audienzdelegation, von ihm einbestellt und über unseren Platz und unsere Rolle in der Kirche aufgeklärt worden. Mir persönlich hat er gesagt, dass ich in der Kirche zu schweigen habe. Meine Arbeitszeit sei von 8:00 bis 16:00 Uhr (ich war damals Leiterin des diözesanen Pastoralbüros), was darüber hinaus in der Kirche geschieht, gehe mich nichts an.
Ein neuer Stil von Kirche-Sein wird erlernt
Einige Wochen später habe ich die Diözese verlassen und die Habilitation in Wien begonnen. Warum ich diese Geschichte erzählt habe? Weil ich auch diese Art des Umgangs in der Kirche sehr gut kenne und diese meine Erfahrungen die Art und Weise prägen, wie ich Reformen und Kirchenentwicklungsprozesse prognostiziere. Es ist nicht überall selbstverständlich, dass Frauen und Männer Kirche aktiv und entscheidend mitgestalten dürfen. Auch in Westeuropa ist es nicht selbstverständlich. Was in der Diözese Linz möglich ist, ist einige Kilometer weiter östlich nicht mehr möglich.
In der römischen Synodenaula haben Akteure und Akteurinnen der Kirche, Lai:innen, Ordensmänner und Ordensfrauen, Studenten und Studentinnen, Priester, Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle vier Wochen lang in einem neuen Stil des Miteinanders um das Thema gerungen, wie wir zu einer synodalen Kirche werden können. Über die runden Tische wurde im deutschsprachigen Raum öfters gespottet. Bei diesen Tischen fand jedoch ein Lernprozess auf Augenhöhe statt. Wichtig war es, über Themen frei, ohne Angst zu diskutieren, trotz Unterschiede miteinander im Gespräch zu bleiben, einander die Katholizität nicht abzustreiten, wenn etwas irritiert. Dazu hatten die runden Tische jeweils einen Moderator oder eine Moderatorin. Sie kamen aus der ganzen Welt. Von den 36 Moderator:innen waren 21 Frauen. Das bedeutet, dass die Gespräche bei 21 Tischen von einer Frau geleitet wurden. Bei jedem Tisch saßen Kardinäle, Bischöfe, Frauen, Männer, Priester, Ordensleute, Jung und Alt aus den verschiedenen Kontinenten und Kulturen zusammen, und sie alle haben auf Augenhöhe miteinander diskutiert, respektvoll einander zugehört, niemand wurde zurechtgewiesen, weil er eine bestimmte Meinung vertreten hat.
Sich nicht den Rücken zeigen
Wenn jemand meint, dass dies ganz normal sein sollte: Das stimmt, ist es aber leider nicht. Ich kenne keine Formation, sei es akademische, politische, studentische, oder private, wo dieses Zuhören selbstverständlich ist, und wo das gute Miteinander ausgezeichnet funktioniert: in keinem Parlament, in keiner Sitzung, in keiner Familie und in keiner Partnerschaft. Synodalität hat nicht nur ad intra, sondern – worauf Tomas Halik in Prag aufmerksam gemacht hat – auch ad extra einen Auftrag: Sie kann einen Beitrag dazu leisten, wie wir das Miteinander auch außerhalb der Kirche gestalten lernen und üben sollten. Die runden Tische und was sie bewirken können, hat man nicht im Vatikan entdeckt, sondern die Idee kam von der Kontinentalversammlung für Asien.
In Bangkok hat die einzige Versammlung stattgefunden, bei der die Teilnehmer:innen bei den Beratungen einander gegenseitig in die Augen geschaut und einander nicht tagelang den Rücken gezeigt haben. Nein, es war kein „Casino Royal“, sondern ein respektvolles Miteinander, trotz großer kultureller Unterschiede, wo man gelernt hat, wie Katholizität in ihrer Vielfalt tatsächlich zur Kraft wird. Um diesen neuen Stil in der Kirche, den synodalen Stil, zu erlernen, haben die Diskussionsmethode, die spirituellen Impulse, die gemeinsamen Gottesdienste, die Einkehrtage, die Kaffee- und Esspausen geholfen.
Erfahrung von Synodalität
Vier Wochen lang hat die Weltkirche gerungen, was Synodalität heißt, wie Kirche auf ihre Sendung hin zukunftsträchtig wird. Frauen und Männer, Bischöfe und Priester, Jung und Alt haben nicht übereinander, sondern miteinander diskutiert, sie haben gelernt, einander zuzuhören, die Glaubens- und Leiderfahrung des Anderen zu respektieren. Viele haben es belächelt, dass man dies in der katholischen Kirche noch zu lernen hat. Angesichts der Krisensituationen in der Welt und in den Gesellschaften heute konnte ich über diesen Lernweg nicht lachen, sondern ich würde mir öfters wünschen, dass dieses Ringen, das in der katholischen Weltkirche vier Wochen lang mühsam, doch gelungen war, auch auf anderen Ebenen unserer Gesellschaft, in Europa oder in der Welt stattfindet.
Wo die Armen und Kleingemachten eine Stimme haben, wo Menschen mit Behinderung zugehört wurde und ihre Vertretung selbstverständlich als vollwertiges Mitglied der Versammlung beachtet wurde, wo Frauen aus Afrika ohne Angst eine Stimme für Hunderttausende von Frauen sein konnten und in Rom in der Synode mitreden durften, wo über die Augenhöhe nicht nur gesprochen wurde, sondern diese Augenhöhe sich auch zeigte, indem die Wortmeldung eines Kardinals und einer jungen Studentin den gleichen Stellenwert hatte. Ja sicher hätte man noch besser machen können. Es steht nichts im Wege, dass in den Ortskirchen, an den Universitäten, Hochschulen, Gemeinden Gremien besser aufgestellt werden und auf ihre Stimme besser gehört wird. Aus den Erfahrungen der vier Wochen Bischofssynode kann ich sagen: Es lohnt sich!
Die Erfahrung von Synodalität setzte sich währen der Synode in den Unterkünften fort, beim Frühstückstisch, Mittagstisch und beim Abendessen, in einer katholischen Vielfalt für die, die sich nicht leisten konnten und wollten, unter sich zu bleiben, und nach den Sitzungen zu ihren Landsleuten zurückzukehren, wie zum Beispiel die Bischöfe aus Ungarn oder aus Deutschland. Natürlich war es herausfordernd, stets in einer fremden Sprache sich zu unterhalten, aber die Themen, die man aus den Ortskirchen nach Rom mitgenommen hat, haben es verdient, dass ihre Vertreter:innen sich anstrengen und darüber auch beim Tisch unverbindlich diskutieren, zugleich aber auch Interesse zeigen, welche Themen andere in dieser Welt haben.
Begrenzter Stellenwert der wissenschaftlichen Theologie
Die Theologie hatte in der Synode nicht den Stellenwert gehabt, den wir im deutschsprachigen Raum kennen. In der westlichen Welt hat sich nach dem Konzil eine Theologie etabliert, die ihren Stellenwert in Prozessen der Kirchenentwicklung anders gewichtet hat. In vielen Ortskirchen dieser Welt wird die Theologie jedoch nach wie vor den Priestern und Bischöfen vorbehalten, also ziemlich vorkonziliar. Für mich stellte sich die Frage, inwieweit es überhaupt möglich ist, fast 60 Jahre nach dem Konzil die Rolle der Theologie in einer synodalen Kirche neu zu denken, damit die Theologie, ihre Reflexionen und Erkenntnisse in keinem Kirchenentwicklungsprozess fehlen.
In der Synthese wird klar, dass eine Re-Lektüre des II. Vatikanischen Konzils momentan auf dem runden Tisch der Weltkirche liegt. Die Frage ist, wie die theologische Arbeit weltweit attraktiv gemacht werden kann, so, dass sie Mut und Hoffnung gibt, motiviert und unterstützt. Die vier Wochen Weltkirchenerfahrung haben mir gezeigt, dass das nur durch eine Haltung möglich sein wird, die einlädt, gute Fragen stellt, zuhört und fähig ist, Prozesse zu begleiten und sie nicht nur zu kritisieren.
Re-Lektüre des II. Vatikanischen Konzils liegt auf dem runden Tisch der Weltkirche
Es mag im deutschen Sprachraum langweilig sein, dass die Konzilstheologie und ihre Konsequenzen nicht überall so selbstverständlich sind, wie bei uns, doch es wird eine Wiederholung notwendig sein, ganz explizit bei den großen Themen des Konzils – wie die Wechselseitigkeit zwischen Tradition, Schrift, Lehramt und Zeichen der Zeit, die kritische Selbstreflexion der Kirche, Kirche in der Welt von heute, Missionsverständnis und Pastoralverständnis des Konzils, Volk Gottes Theologie, Communio-Theologie, Synodales Prinzip in der Kirche, Ortsgemeinde als Kirche, Hierarchie der Glaubenswahrheiten, allgemeines Priestertum, die personale Freiheit des Glaubens, die Bedeutung einer historisch-kritischen Theologie, die Bedeutung des Wortgottesdienstes –, um nur einige wenige zu nennen, die die Hermeneutik von Kirche-Sein auch heute bestimmen.
Rechtskonservative Kreise sehr gut organisiert
Wir haben in der Synode gesehen, dass rechtskonservative Kreise sehr gut organisiert sind und hochprofessionell arbeiten. Weiter, Richtung Mitte und nach Links sind keine Netzwerke. Vielleicht braucht es einen starken Zusammenschluss und ein gutes Miteinander von allen, die nicht ständig gegen den Papst agieren. Vielleicht braucht es einen neuen Katakombenpakt, vielleicht braucht es starke Persönlichkeiten, die verbinden, statt trennen, die öffnen, statt schließen, die auf anderen motivierend zugehen und nicht verbittert, verletzt sich um sich selbst drehen. Denn letzten Endes geht es um diese eine leidende Welt, um die verwundete Menschheit, um den Menschen und seine hoffentlich noch gute, gestaltbare Zukunft.
Werden wir im November 2024 Frauen zu Diakonissen weihen? Das kann ich nicht prognostizieren. Ich bin eher skeptisch. Vielerorts haben wir nicht einmal ständige Diakone. Was jedoch offensichtlich wurde, dass synodal Kirche zu sein verdammt schwer, jedoch möglich ist. Man muss ganz unten anfangen. Es ist ein Prozess der missionarischen Herzensbildung, denn ein missionarisches Herz verschließt sich niemals, „niemals greift es auf die eigenen Sicherheiten zurück, niemals entscheidet es sich für die Starrheit der Selbstverteidigung. Es weiß, dass es selbst wachsen muss im Verständnis des Evangeliums und in der Unterscheidung der Wege des Geistes, und so verzichtet es nicht auf das mögliche Gute, obwohl es Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen.“ (EG 45)
Von einer Kirche, die ein Konzil hatte, zu einer Kirche des Konzils
Lässt sich die Kirche auf diesen synodalen Prozess in der Logik der Inkarnation ein, wird sie sich mit der „Vielstimmigkeit des Logos“ konfrontieren müssen. Diese Konfrontation muss dann wiederum auf die eigentlich wesens-eigene „Kompetenz des Vielstimmigen“ der Kirche zurückgreifen. Aus dieser Kraft der Katholizität können die Reformen erfolgen, die schon längst fällig wären. Karl Rahner hat im Dezember 1965 nach seiner Rückkehr vom Konzil eine Rede in München gehalten und prognostiziert, dass es noch Gerarationen dauern wird, bis wir von einer Kirche, die ein Konzil hatte, zu einer Kirche des Konzils werden und er hat hinzugefügt: Ecclesia semper reformanda in capite et in membris. Recht hat er gehabt.
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Klara-Antonia Csiszar ist Professorin für Pastoraltheologie an der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz und war eine der 28 beratenden Expert:innen der Römischen Synode.
Photo: Gegeny Istvan
Bild: H. Jeppsen-Spuhler. Im Bild v.l.n.r.: Sr. Béa Faye (Expertin, Burkina Faso), Mariia Sabov (Teilnehmerin mit Stimmrecht/Ukraine), H. Jeppsen-Spuhler (Teilnehmerin mit Stimmrecht/Schweiz) und Klara Csiszar (Expertin/Österreich).
Literatur:
Csiszar, Klara (Hg.): Missio-Logos. Beiträge zu einem Intergralen Missionskonzept einer Kirche bei den Menschen, Regensburg 2021.
Florin, Christiane: Casino Royale. in: https://www.weiberaufstand.com/post/der-tisch-kitsch
Gmainer-Pranzl, Franz: Die Vielstimmigkeit des Logos – Überlegun-gen zur eigentümlichen Universalität des Christlichen, in: Claude Ozankom/ Chibueze Udeani (Hg.): Theologie im Zeichen der Interkulturalität, New York 2010, 227-247.
Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium. In: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html
Rahner, Karl: Konzil – Ein neuer Beginn. Festvortrag in der Residenz München am 12. Dezember 1965. In: https://www.youtube.com/watch?v=M69gEVIeqjU&t=251s
Zulehner, Paul Michael: Pastoraltheologie. Fundamentalpastoral Bd. 1, Düsseldorf 21991.