Julia Krahns Ultima Cena und die leeren Tische dieser Adventszeit. Der dritte Teil unserer künstlerischen Reihe an den Adventswochenenden, kuratiert und getextet von Hannes Langbein.
Ein leerer Tisch. Eine schlichte, aber festliche Tafel mit weißem Tischtuch wie gemacht für ein gemeinsames Essen. Ein bisschen improvisiert wirkt sie auf ihren zwei Malerklapptischbeinen, als könnte man sie an jedem Ort aufschlagen. Auf dem mehlbedeckten Fußboden eine Fußspur: Der oder die einmal in der Mitte – uns zugewandt – saß, ist nicht mehr da, aus dem Bild herausgelaufen. Wohin? Die Spur führt aus dem Bild hinaus in unsere Richtung.
Der oder die einmal uns zugewandt saß, ist nicht mehr da.
Das Foto der in Mailand lebenden Künstlerin Julia Krahn ruft in diesen Tagen alle möglichen Assoziationen wach: Die leeren Festtafeln des bevorstehenden Weihnachtsfestes, die fehlende Gemeinschaft, das Warten auf bessere Tage – Advent ist die Zeit des Wartens. In diesem Jahr mischt sich das Warten auf den Gottessohn mit dem Warten auf ein Sinken der Infektionszahlen, den rettenden Impfstoff, auf ein Ende der Pandemie.
Eigentlich ist Julia Krahns Fotografie gar kein Adventsbild, sondern eine Variation von Leonardo da Vincis „Letztem Abendmahl“ (ital. „L‘Ultima Cena“). Es ist auch deshalb kein Adventsbild, weil niemand kommt, sondern – im Gegenteil – einer bzw. eine geht. Das buchstäblich letzte Abendmahl. Ist ihr oder ihm das Warten zu lang geworden? Seither steht der Tisch leer, so wie die Altäre unserer Kirchen mit ihren Abendmahlsgaben in diesen Zeiten leer stehen.
Ungebetener Gast oder Adventszeichen?
Und doch: Einer bzw. eine ist da: Eine Taube. Nicht die schöne, weiße Friedenstaube, die wir aus der Kunst als Symboltier des Heiligen Geistes kennen, sondern eine schnöde, wenngleich hübsche Straßentaube wie man sie nicht nur von den großen belebten Plätzen Italiens kennt und von den Restauranttischen fernzuhalten sucht. Ohne Gäste kann sie sich sorglos niederlassen. Ein ungebetener Gast als Lebenszeichen. Vielleicht doch ein Adventsbild.
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Hannes Langbein ist Direktor der Stiftung St. Matthäus, Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und Kunstbeauftragter der EKBO.
Bild: © Julia Krahn, Ultima Cena, 2011, Analoge Fotografie, Farbdruck auf Aluminium, Museum Glas, Rahmen: Eiche natur, Edition 3; 142×113 cm, Courtesy Ralf Meister.
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