Führende katholische ReligionspädagogInnen Österreichs beziehen Stellung gegenüber der Regierung in der Frage des Kopftuchverbots und plädieren dafür, Religion nicht politisch zu instrumentalisieren.
Offener Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz Bundesminister Heinz Faßmann Bundesminister Herbert Kickl, am 12. Dezember 2018.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kurz, sehr geehrter Herr Minister Faßmann, sehr geehrter Herr Minister Kickl!
Für Kinder trägt eine Gesellschaft besondere Verantwortung, weil sie schutzbedürftig sind und demütigende oder ausgrenzende Erfahrungen für sie nachhaltig negative Auswirkungen haben können. Sie dürfen nicht für politische Debatten missbraucht werden. Das Verbot für Kinder, im Kindergarten und in der Volksschule ein Kopftuch zu tragen, ist gegenwärtig in der medialen und politischen Diskussion omnipräsent. Wir erachten diese Debatten sowie die in Aussicht genommenen gesetzlichen Maßnahmen, die zugespitzt auf die islamische Religion abzielen, als einseitig ausgrenzend, unsachlich und kontraproduktiv.
Kinder haben das Recht, vor fundamentalistischer Vereinnahmung geschützt zu werden
- Dass gerade auf jüngere Kinder kein Zwang bezüglich einer speziell religiös konnotierten Kleidung ausgeübt werden soll, ist zu unterstreichen. Kinder haben das Recht, vor fundamentalistischer Vereinnahmung geschützt zu werden. Kindergärten wie Schulen leisten dafür einen wichtigen Beitrag.
Investition in Unterstützung der Bildungsinstitutionen und die Qualifizierung pädagogischen Personals.
- Die derzeitigen islam- und in der Folge religionsfeindlichen Debatten verfehlen aber dieses Ziel und tragen dazu bei, Radikalisierungen voranzutreiben, weil sie religiöse Menschen in Opposition zur Gesamtgesellschaft setzen. Dadurch wird riskiert, dass sich gesellschaftliche Gruppierungen in geschlossene Zirkeln zurückziehen. Insbesondere die Kinder wären mitbetroffen und in ihrem Zugang zu einer offenen Gesellschaft beeinträchtigt. Anstatt weitere Polarisierungen zu riskieren, sollte vielmehr in die Unterstützung der Bildungsinstitutionen und die Qualifizierung des pädagogischen Personals investiert werden. Dadurch können Universitäten, Schulen und Lehrpersonen ihre Aufgabe im Sinne einer pluralitätsfähigen religiösen Bildung wahrnehmen und Kinder und Jugendliche kompetent begleiten und unterstützen.
Religiöse Überzeugungen müssen … in Freiheit gelebt werden können
- Insgesamt darf es nicht Aufgabe des säkularen Staates sein, Religionen in ihrer Religionsfreiheit einzuschränken – vorausgesetzt, dass keine demokratischen Grundrechte verletzt werden. Vielmehr ist darauf zu achten, dass religiöse Überzeugungen unabhängig von Mehrheitszugehörigkeiten in Freiheit gelebt werden können, wozu auch das Tragen religiöser Symbole gehört.
Wir sehen es als unsere Aufgabe und Verantwortung, uns für eine gerechte und pluralitätsfähige Bildung für alle einzusetzen, die dem sozialen Frieden dient. In diesem Sinne sprechen wir uns für eine Politik aus, die Religion nicht instrumentalisiert. Wir appellieren daher an Sie als zuständige Verantwortungsträger, eine diskriminierende Verbotspolitik zu vermeiden, das Gespräch mit den Beteiligten zu suchen und Bildungsoffensiven für jene Institutionen und Lehrpersonen zu treffen, die unsere plurale Gesellschaft konstruktiv und zukunftsfähig gestalten.
Dr. Martina Kraml (Univ.-Professorin für Katholische Katechetik/Religionspädagogik an der Universität Innsbruck)
Dr. Andrea Lehner-Hartmann (Univ.-Professorin für Katholische Religionspädagogik an der Universität Wien)
Dr. Wolfgang Weirer (a.o. Univ.-Professor für Katholische Religionspädagogik an der Universität Graz)
Erstveröffentlichung der Stellungnahme in: Die Furche, 13.12.2018.
Beitragsbild: Foto von rawpixel.com von Pexels