Dr. Peter Hellmold arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Arzt in verschiedenen afrikanischen Ländern (Sierra Leone, Malawi und Tansania), derzeit am Lugala Lutheran Hospital in Tansania. Anlässlich der Streichung der Gelder für USAID und PEPFAR (US President’s Emergency Plan For AIDS Relief) durch Präsident Trump hat Dr. Martin Ott für feinschwarz.net mit ihm gesprochen.
Ein Interview
feinschwarz: Präsident Trump hat die Gelder für USAID und PEPFAR gestrichen. Was bedeutet das für euch im Krankenhaus in Lugala, einem ländlichen Hospital in einem der ärmsten Distrikte Tansanias?
Dr. Peter Hellmold: Das Medical Store Department (MSD), die staatliche tansanische Schaltstelle für die Versorgung mit Anti-Retro-Viralen (ARV) Medikamenten, hat gemäß uns zugekommenen Informationen keine ARVs mehr auf Lager. Eine langjährig-infizierte Frau, der es gesundheitlich bestens geht und die ein aktives Leben führt, hat berichtet, dass sie, als sie ihre Dreimonatsration an Tabletten, also 90 Tabletten, in einer HIV-Klinik in der Region Kilimanjaro abholen wollte, noch ganze sieben Tabletten bekommen hat.
feinschwarz: Was passiert, wenn HIV-infizierte Menschen ihre tägliche AVR-Tablette nicht mehr einnehmen?
Dr. Peter Hellmold: Die Abwehrkräfte des Organismus werden immer schwächer. Die Menschen erkranken an Hirn- und Hirnhautentzündungen, an Lungenentzündungen, an Entzündungen des Verdauungssystems und an eitrigen Erkrankungen von inneren Organen und der Haut. Die Menschen leiden und sterben an diesen sogenannten opportunistischen Krankheiten, und nicht am Virus.
…es wird alle Möglichkeiten
eines Krankenhauses in einem armen Land
absolut überfordern.
feinschwarz: Was kommt da auf das Krankenhaus zu?
Dr. Peter Hellmold: In Lugala wird die Krankheitslast an Infektionskrankheiten, zuvorderst der Tuberkulose – zusätzlich zu den in den jüngsten Jahrzehnten lawinenartig zugenommenen nicht infektiösen chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislaufkrankheiten, Zuckerkrankheit und Krebserkrankungen – alle Möglichkeiten eines Krankenhauses in einem armen Land absolut überfordern. Seit etwa zwanzig Jahren sind alle Technologien und Strategien öffentlicher Gesundheitsfürsorge gegeben, die Tuberkulose, diese jahrzehntausende alte Geißel der Menschheit, zu eliminieren. Aufgrund jahrelanger konzertierter internationaler, nationaler und WHO-koordinierter Anstrengungen gibt es unter der Direktive ‚End TB!‘ einen weltweiten Trend in Richtung geringerer Prävalenz und Inzidenz dieser ubiquitären mikrobiellen Erkrankung. Diese Anstrengungen werden zunichte sein. Tuberkulose wird das Symbol einer beschämenden globalen Ungerechtigkeit und einer himmelschreienden Armut bleiben.
Feinschwarz: Ist Tuberkulose eine typische Erkrankung in tropischen Ländern?
Dr. Peter Hellmold: Tuberkulose als HIV-Krankheit ist im Wesentlichen eine Erkrankung armer Menschen. Sie ist die bedeutendste opportunistische Infektion in armen Ländern. Wir machen hier keine Tropenmedizin, sondern Armutsmedizin.
Feinschwarz: Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders betroffen?
Dr. Peter Hellmold: Alle Bevölkerungsgruppen, aber leiden und sterben werden vor allem HIV-infizierte schwangere Frauen und Kinder, wobei das elende Leiden und Sterben der Kinder für mich immer das am wenigsten zu ertragende Leid ist. Damit kann ich mich nicht abfinden. Dieses Leid ist für mich durch kein philosophisches oder religiöses System zu rechtfertigen.
Hunderttausende Menschen,
die mit dem HI-Virus leben,
werden schwer krank werden und sterben.
Feinschwarz: Welche Szenarien gibt es, um die Versorgung mit AVR-Medikamenten wiederherzustellen?
Dr. Peter Hellmold: Im Augenblick weiß keiner wie es weiter geht. Wir haben keine gesicherten Informationen, keine Optionen und keine Lösung. Die Vorräte von AVR-Medikamenten werden immer knapper. Wenn es nicht eine entscheidende Kehrtwende in den nächsten Wochen gibt – darf man auf Hilfe aus China, den Golfstaaten oder aus der der EU hoffen? – werden hunderttausende Menschen, die mit dem HI-Virus leben, schwer krank werden und sterben. Ohne ARVs werden wieder ungezählte Menschen eine hohe Viruslast und somit hohe Infektiosität entwickeln; die Viren werden sich, vergleichbar mit der Anfangszeit der Pandemie, unkontrolliert in der Bevölkerung ausbreiten. Menschen werden versuchen auf jede nur mögliche Weise an Medikamente zu gelangen. Dies wird aber sehr wahrscheinlich zu unkontrollierter und teilweise nicht konsequent durchgeführten Therapien führen, und damit auch vermehrt zu Resistenzen gegenüber Medikamenten. Wir werden – epidemologisch gesprochen – an den Beginn der HIV-Pandemie vor mehr 30 Jahren zurückgeworfen.
feinschwarz: Was heißt das genau?
Dr. Peter Hellmold: Zu Zeiten des Epizentrums der Epidemie im Jahre 1987 waren in Kagera ca. 30% der Menschen HIV-positiv, heute sind es ca. 3.8%. In Tansania leben ca. 1,5 Millionen Menschen im Alter von 15 Jahren und älter mit HIV. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist weiterhin rückläufig, von geschätzten 72.000 jährlich in 2016-2017 auf 60.000 im Zeitraum 2022-23. Ca. 95% aller HIV-Infizierten kennen ihren HIV-Status und erhalten eine antiretrovirale Behandlung; 94% derjenigen, die eine antiretrovirale Behandlung erhalten, erreichen eine Virussuppression. HIV/AIDS ist heute nicht epidemisch, es ist unter Kontrolle; die mit dem Virus Infizierten nehmen täglich eine Tablette und führen ein normales Leben; sie arbeiten und bekommen Kinder; ich bin seit dem Jahr 2009 in Lugala; in dieser Zeit ich kann mich nicht an eine vertikale Übertragung der Infektion von Mutter zu Kind erinnern. Es gibt ein hohes Engagement der Gesundheitsstellen und aller einheimischen Mitarbeiter. All das ist nun in Gefahr und droht zu kollabieren.
feinschwarz: Gibt es nicht eine große Wut auf die USA?
Dr. Peter Hellmold: Diese vollkommene Empathielosigkeit der Trump-Administration macht wütend und sprachlos. Es ist eine Schande, dass Christen sich noch mit dieser Regierung identifizieren. Viele der HIV-Infizierten hier in Tansania sehen ihrem Tod mit einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Gelassenheit entgegen. Afrikanische Menschen sind sehr pragmatische Menschen. Was können Sie schon tun?
feinschwarz: Du lebst und arbeitest in Tansania seit über 30 Jahren? Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Dr. Peter Hellmold: Es hat sich eine junge, interessierte und dynamische intellektuelle Elite gebildet, aber das sozio-ökonomische Gefälle ist im Rahmen der Globalisierung horrend geworden. In Lugala finden wir von erster bis vierter Welt das gesamte Spektrum. Wenn die World Bank seit 2020 von Tansania als ‚lower middle income country‘ spricht, so erscheint mir das vor dem Hintergrund meines täglichen Erlebens auf dem ‚grassroot level‘ der armen ländlichen Peripherie grotesk und zynisch.
Das Armutsgefälle in Tansania
hat sich enorm vergrößert.
feinschwarz: Und bei den Sozialindikatoren Ernährung, Bildung, Gesundheit?
Dr. Peter Hellmold: Das Armutsgefälle in Tansania hat sich enorm vergrößert. Trotz Ujamaa und Julius Nyerere und einer sozialistischen Staatsideologie ist Tansania weit entfernt, ein Sozialstaat zu werden. Ich habe noch keinen einzigen Fall erlebt, wo das Sozialamt im Distrikt einem armen Menschen materiell aus der Armutsfalle geholfen hat. Die Social Development Goals (die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen) kollabieren, die Strategie-Papiere der Politiker beschreiben ein paralleles Universum von Zielen und Indikatoren, das sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernt.
feinschwarz: Was kann in diesem Kontext ein kirchliches Krankenhaus leisten?
Dr. Peter Hellmold: Wir wollen vor allem den Wert der Gleichheit umsetzen: In Lugala wird niemand abgewiesen, der kein Geld hat. Alle werden gleich behandelt. Wir haben ein spezielles Budget für Arme, das von Spendern aus dem Ausland am Leben gehalten wird. Als Krankenhaus konzentrieren wir uns auf die Grundversorgung, d.h. 80-85% der Krankheiten versorgen wir qualitätsgesichert.
Das Vokabular der Helfer
nutzt sich schnell ab.
feinschwarz: Ihr seid von der Unterstützung aus dem Ausland abhängig?
Dr. Peter Hellmold: Was die Geldmittel angeht: Ja. Was die medizinischen Fachkräfte in der Grundversorgung angeht durch die Herausbildung einer einheimischen Elite deutlich weniger. Darüber hinaus ist internationale Kooperation und Austausch das Gebot dieser Zeit. Es ist heute leider so, dass ausländische Geber immer weniger hören wollen, dass es immer noch Armut und Arme gibt. Das Vokabular der Helfer nutzt sich schnell ab und es wird regelmäßig bereits nach wenigen Jahren durch jeweils opportuner erscheinende Worte der Entwicklungszusammenarbeit ersetzt. An der Lebenswirklichkeit der Menschen ändert das nichts.
feinschwarz: Du bist unlängst 70 geworden. Gibt es ein Resümee deines bisherigen Lebens als Arzt in Afrika?
Dr. Peter Hellmold: Noch wie vor ertrage ich nicht Ungerechtigkeit und Armut und kann mich mit diesem allein von Menschen zu verantwortenden skandalösestem Zustand nicht abfinden. Den Menschen und seine Natur betreffend bin ich absolut ernüchtert. Theoretisch, philosophisch oder religiös sind die Abgründe der menschlichen Geschichte für mich nicht lösbar. Mein „Schmerzmittel“ gegen die schreiende Ungerechtigkeit und das menschliche Leid ist mein eigener Einsatz in der kleinen Welt, in der ich aktiv sein kann.
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Peter Hellmold, Dr. med., studierte Humanmedizin in Göttingen und arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Arzt in verschiedenen afrikanischen Ländern (Sierra Leone, Malawi und Tansania), seit 2009 in Lugala, einem ländlichen Hospital in einem der ärmsten Distrikte Tansanias, das in Trägerschaft der lutherischen Kirche geführt wird.
(Foto: privat)
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