Theresa Mayer zeigt, wie die Tragödie um Shakahola eine altbekannte Diskussion um die Regulierung religiöser Gemeinschaften in Kenia neu entflammt.
Shakahola. Der Name eines bislang wenig bekannten Dorfes im Südosten Kenias ist zum Inbegriff einer Tragödie geworden, die seit Wochen das ganze Land beschäftigt. Durch Paul Mackenzie, ‚Pastor‘ der von ihm gegründeten Good News International Church, wurden zahlreiche Menschen in den Tod getrieben. Doch was nach den Geschehnissen uneingeschränkt als ‚Sekte‘ bezeichnet wird, agierte lange Zeit unter dem Deckmantel ‚der Kirche‘. In Kenia entfacht erneut eine im Land altbekannte Diskussion um die Frage nach der Regulierung von religiösen Gemeinschaften und die Legitimität religiöser Führungspersonen.
sterben müssen, um Jesus zu begegnen
Seit Mitte April häufen sich die Medienberichte[1] zu Paul Mackenzie, der als ‚Pastor‘ über 200 Menschen (Stand 14.05.2023), darunter viele Kinder, in den Tod trieb. Wie die Untersuchungen mittlerweile ergaben, ist ein Großteil der Toten verhungert, die übrigen starben durch Strangulation oder infolge schwerer Verletzungen. Rund 70 hungernde Anhänger:innen Mackenzies wurden noch lebend gefunden, manche von ihnen immer noch der festen Überzeugung, sterben zu müssen, um Jesus zu begegnen.
Paul Mackenzie war dabei kein Unbekannter. Seine Kirche hat er bereits vor zwanzig Jahren gegründet, mehrmals wurde er wegen seiner fragwürdigen Lehren auffällig und verhaftet. Die Schließung seiner Kirche 2019 in Malindi erklärte Mackenzie seinen Anhänger:innen als die Erfüllung eines von Gott gegebenen Auftrags. Daraufhin zog Mackenzie mit seinen Followern auf eine Farm nach Shakahola.
Während die Ermittlungen Mitte April 2023 in Shakahola begannen, wurde kurz darauf, am 27. April 2023, mit Pastor Ezekiel ein weiterer in Kenia bekannter Prediger verhaftet. Er soll mit Mackenzie gemeinsame Sache gemacht, Geld gewaschen und mit Organen gehandelt haben. Auch in seiner Kirche soll es in letzter Zeit zu Todesfällen gekommen sein. Erst 2022 hatte Pastor Ezekiel eine ganze Kirchenstadt nahe der Küstenstadt Kilifi eröffnet, eine Gebetsstätte mit Platz für 45.000 Menschen und zahlreiche Businessoptionen für die lokale Bevölkerung geschaffen. Landesweit kommen regelmäßig zigtausende Gläubige zu seinen Crusades, nicht selten sind auch hochrangige Politiker:innen und Persönlichkeiten des Landes bei ihm zu Gast.
Wer darf legitim religiöse:r Führer:in sein?
Dass Mackenzie aufs Härteste verurteilt werden soll, steht in Kenia außer Frage. Doch Pastor Ezekiel – ein Sektenführer oder religiöser Scharlatan? Das bezweifeln hier viele und rufen sogar zum Gebet für ihn auf.
Öffentlich diskutiert wird nun nicht allein der ‚Fall Shakahola‘, sondern auch die Frage, wie der religiöse Markt Kenias grundsätzlich reguliert werden kann und wer überhaupt legitime:r religiöse:r Führer:in sein darf. Auf viele derzeitigen Kirchenleitenden wird jetzt ein kritischer Blick geworfen.
‚Die Kirche‘, die in Kenia als Begriff für eine Vielzahl verschiedener religiöser Denominationen dient, steht in der Kritik. Doch Staat und ‚die Kirche‘ schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Während der National Council of Churches of Kenya dem Staat vorwirft, durch sein korruptes System und Wegschauen diese Tragödie zugelassen zu haben,[2] kündigt die Regierung eine neue Strategie zur Regulierung religiöser Gemeinschaften an und richtet eine Kommission zur Überprüfung religiös fragwürdiger und extremistischer Handlungen ein. Eine Selbstregulierung der großen konfessionellen Verbände hat aus Sicht der Regierung demnach nicht funktioniert.
staatliche Kontrolle?
Die Frage nach der Regulierung religiöser Gruppierungen ist seit Jahrzehnten eine wiederkehrende Diskussion in Kenia, die offenbar noch zu keiner funktionierenden Lösung geführt hat. Um diese Diskussion zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die religiöse Landschaft Kenias notwendig:
Kenia ist ein mehrheitlich christliches Land mit einer bedeutenden Anzahl muslimischer sowie einigen kleineren Religionsgemeinschaften. Fest etabliert im Land sind seit Langem die historischen Missionskirchen. Kolonialer Rassismus und politischer Aktivismus führten zur Gründung unabhängiger religiöser Bewegungen wie den AICs (African Initiated Churches). Mittlerweile sind auch die pentekostalen Kirchen eine der wichtigsten religiösen Größen, die mit ihrer Diversität vor allem seit den 1990er Jahren die kirchliche Landschaft in Kenia enorm veränderten. Gleichzeitig haben politische Liberalisierungsprozesse unter dem früheren Präsidenten Daniel arap Moi (1978-2002) zum einen dazu beigetragen, dass die religiöse Landschaft auch medial diverser werden konnte. Ein von Moi eingeführtes Registrierungsverfahren, welches in der Umsetzung jedoch scheiterte, führte zum anderen dazu, dass sich tausende Kirchen informell etablieren konnten.[3] Was dem Staat nun zu schaffen macht, ist das koloniale Erbe eines ungeklärten Verhältnisses zwischen Politik und Religion[4] und der mangelnde Überblick über die v.a. christliche Heterogenität.
Neben funktionierenden Mechanismen zur Regulierung religiöser Institutionen fehle es auch an Gesetzen und Vorschriften, die die Aktivitäten von Einzelpersonen, die Kirchen leiten, unter Kontrolle halten, erklärt Dr. Edith Kayeli Chamwama, Religionswissenschaftlerin an der University of Nairobi.[5]
Diese ungeklärte Situation begünstigte, neben anderen Faktoren, Machtmissbrauch und religiösen Extremismus durch religiöse Führungspersonen. Kenia hat zwar in den letzten 15 Jahren mehrere reaktive Versuche unternommen, den vielfältigen religiösen Markt zu ordnen. Gesetze wurden vorgeschlagen, abgelehnt oder nicht umgesetzt, wie beispielsweise ein 2014 erlassenes Moratorium, welches Neugründungen von Kirchen stoppen sollte. Problematisch ist aber vor allem, dass sich Staat und religiöse Vertretungen nicht einigen konnten, wer die Regulierung letztlich durchführen und verantworten solle.[6] Das ist die bis heute andauernde Situation.
fehlende wissenschaftliche Begleitung
Dass die von der Regierung eingerichtete Kommission einen entscheidenden Beitrag bei der Überprüfung fragwürdiger Gruppierungen leisten kann, bezweifelt Dr. Chamwama. Denn die Kommission sei hauptsächlich zusammengesetzt aus Klerikern und Vertreter:innen aus Politik, Rechtswesen und Psychologie. Doch würden Wissenschaftler:innen von Universitäten fehlen, die ihre Expertise aus religionswissenschaftlicher Perspektive einbringen. Ohne diese könnte die Kommission entscheidende Aspekte übersehen.
Ob die jüngsten, äußerst tragischen Ereignisse dazu führen, dass Regierung und Religionsvertreter:innen eine praktikable Lösung finden, bleibt bislang offen. Herausforderungen werden dabei vor allem sein, die Kirchenleitenden unregistrierter Kirchen nicht über einen Kamm mit Sektenführer:innen zu scheren, sowie Regelungen zu finden, die die Religionsfreiheit nicht antasten. Solange es jedoch keinen funktionierenden Mechanismus gibt, werden religiöse Scharlatane weiterhin leichtes Spiel haben, Gläubige aus oftmals vulnerablen Gruppen für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen.
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[1] Der hier aufgeführte Überblick der Ereignisse folgt der Berichterstattung der in Kenia führenden Printmedien „Daily Nation“ und „The Standard“.
[2] Vgl. Pressemitteilung des National Council of Churches of Kenya (NCCK) vom 3.5.2023, veröffentlicht auf der Facebook-Seite des NCCK: https://www.facebook.com/NCCKKenya (eingesehen am: 13.05.2023).
[3] Vgl. Gez, Yonatan N., Droz Yvan, The Sheep-Stealing Dilemma. The Ambiguities of Church Visits in Kenya, in: Journal of Religion in Africa (47/2017), 163-189, 165ff.
[4] Vgl. Gez, Yonatan N., The Vetting Impasse: The ‘Churches Law’ and Kenya’s Religious Regulation Debate, in: Journal of Religion in Africa (50/2020), 54-78, 59.
[5] Interview mit Dr. Edith Kayeli Chamwama am 10.05.2023. Geführt von Theresa Mayer.
[6] Vgl. Gez, Vetting Impasse, 2020, 68ff.
Theresa Mayer ist Doktorandin in Praktischer Theologie an der Universität Tübingen und forscht zu Prophet:innen im neo-pentekostalen Christentum in Kenia. Derzeit lebt sie zu Forschungszwecken in Nairobi.
Beitragsbild: Tür einer informellen Kirche in Kibera, Nairobi. Foto: Kelvin Juma, Dokumentarfotograf in und aus Kibera.