In populärer Musik lässt sich Gottes demütige Gegenwart entdecken. Der dritte Ökumenismus rockt. Von Dominik Blum.
Ich lese viele theologische Bücher und höre noch mehr Musik. Da treffen sich dann Danger Dan und Tomáš Halík. Auch für mich war „der Schlüssel, der mir das Verständnis der Welt eröffnet hat – und auch der Welt des Glaubens – die Kunst“ (Halík, 226). Aber nicht die geistliche Musik, nicht Bach oder Beethoven oder Arvo Pärt. Sondern Rock und Pop, deutscher Rap, Liedermacher, Singer-Songwriter. Hier entdecke ich den Glauben „in einer impliziten, anonymen Form in der geistigen Suche von Männern und Frauen jenseits der sichtbaren Grenzen der religiösen Doktrinen und Institutionen. Auch die säkulare Spiritualität gehört zur Glaubensgeschichte“ (Halík, 21), zu meiner Glaubensgeschichte ganz besonders. Halík plädiert leidenschaftlich für den Dialog der Christinnen und Christen mit dem säkularen Humanismus und seiner Spiritualität. Nicht als „oberflächliches Zweckbündnis“, sondern um die „mystische Tiefe unserer Verehrung des Menschseins (zu) zeigen.“
Dialog mit den nones und den seekers
Allerdings muss ich ehrlich sagen, dass der intensive Dialog mit den nones und den seekers (vgl. Halík, 144ff) unter den Musikern meine Art zu glauben verändert hat. „Nicht nur jenseits der Grenzen der Kirchen, sondern auch unter ihren Mitgliedern wächst die Zahl derjenigen, die wir als simul fidelis et infidelis bezeichnen könnten.“ Ich bin einer von ihnen, auch in meiner „inneren Welt durchdringen der Glaube, die Skepsis, das Ur-Vertrauen und die Zweifel, das kritische Fragen und die Unsicherheiten einander.“ (Halík, 213)
Alles wird gut?
Kennen Sie KUMMER? Nicht nur den in Ihrer eigenen Seele, sondern den Musiker? Der Chemnitzer Musiker Felix Kummer ist Frontmann der Punkrock-Band Kraftklub und macht unter seinem eigenen Namen Rap-Musik. DER LETZTE SONG (ALLES WIRD GUT) wurde im November 2021 veröffentlicht. Seitdem hörten alleine auf der Plattform Spotify mehr als 60 Millionen Menschen den Titel, einen Schrei nach Erlösung von der Angst – oder zumindest der Hoffnung darauf:
Ich wär‘ gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen
Ich würd‘ dir eigentlich gern sagen
Alles wird gut
Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch
Aber alles wird gut
Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt
Aber alles wird gut
Dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flammen
Aber alles wird gut
Fühlt sich nicht danach an
Aber alles wird gut.
Zärtlicher, tröstlicher – und dabei nicht weniger prekär – ist der Song Eine gute Nachricht von Danger Dan aka Daniel Pongratz. Der Aachener Musiker macht Rap-Musik mit seiner Formation Antilopengang. Während der Corona-Pandemie hat er das viel beachtete, extrem politische Solo-Klavier-Album Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt veröffentlicht. Der Titelsong lotet im Konjunktiv aus, was antifaschistische politische Musik gegen die neue Rechte sagen darf, ehe es justitiabel wird. Große Kunst, wie ich finde. Der existentiell herausforderndste Track des Albums aber heißt Eine gute Nachricht und fragt nach der conditio humana vor der Vergänglichkeit der Welt und des Lebens:
Ich hab ’ne gute Nachricht und ’ne schlechte auch
Zuerst die schlechte: Wir zerfall’n zu Staub
Wir werden zu Asche, kehren in das Nichts
Zurück, aus dem wir alle einst gekommen sind
Und jetzt die gute: Heute nicht
Es bleibt noch Zeit für dich und mich
Und wenn du willst, dann schlaf doch heut bei mir.
Unbedingt sehenswert: Das Video zum Song – aufgenommen im Berliner Museum für Naturkunde. Alleine mit Hilfe der Rezensionen zu diesem Titel in Feuilletons und Musikmagazinen ließe sich eine säkulartheologische Anthropologie schreiben, als Beitrag zur „gemeinsamen Suche nach der Antwort auf die keineswegs einfache, uralte Frage: ‚Was ist der Mensch?‘“ (Halík, 182)
Verändern wir uns noch?
Ebenso beeindruckend auf Danger Dans Album ist die Erzählung von Umkehr und Neuanfang unter dem Titel Lauf davon. Mehr Umkehrpredigt als in Pop, Rock und Rap derzeit war nie. Metanoia-Bedarf wird gesellschaftlich adressiert, ironisch wie in Gute Menschen der Gießener Formation OK KID oder wütend-laut in der Hymne gegen euch von der jungen schwäbischen Indie-Pop-Formation Provinz. Immer öfter aber – so kommt es mir vor – wird Umkehr als persönliche Entwicklung geschildert wie in der Nummer Gut werden der Berliner Singer-Songwriterin Elen:
Sag mal, sind wir richtig?
Oder sind wir falsch?
Werden wir vernünftig
Oder einfach nur alt? (oh, oh)
Ich frag‘: Sind wir richtig?
Oder sind wir falsch?“ (oh, oh)
Sind wir überhaupt wirklich?
Selbst wenn Umkehr – wie bei der fantastischen Liedermacherin Dota Kehr – nur im Modus des als ob formuliert wird, bleibt doch die Hoffnung,
dass wir eigentlich ganz andere seien
Und hierher gar nicht gehörten
Und wir sehen es auch immer noch nicht so ganz ein
Dass wir langweilige Realisten geworden sind
Mit einem sinnlosen Job
Hey, wir tun einfach so als ob.
Ein wunderbares Zeugnis der Möglichkeit, ein anderer Mensch zu sein, ist der brandneue Titel Lagerfeuer des Berliner Liedermachers Felix Meyer und seinem project ile. In der Folk-Nummer erzählt er von einer Frau, deren Haare „nach Blumen und Stroh, nach Abenteuer und Sonne“ riechen. An ihr kann er sehen und erkennen:
Und nur der Mensch weiß, wie es scheint,
vom Wunsch, ein andrer Mensch zu sein
Und nur der Mensch fühlt, wie es scheint,
wie es ist, nicht Mensch genug zu sein.
Allein
Auch der Multiinstrumentalist, Autor und Schauspieler Rocko Schamoni hat während der Corona-Isolation neue Musik aufgenommen. Allein hat er alle Musik eingespielt, weil das Zusammenspielen mit anderen Musiker*innen nicht möglich war. Und so heißt das Album dann auch: all ein. Darauf zu finden ist mit Ich und mein Schatten ein Stück, das die Einsamkeit und Depression nicht nur angesichts der Pandemie thematisiert – wenn auch mit einem Augenzwinkern:
Ich brauche kein Haustier
Ich brauch keine Frau
Ich hab ja mein‘ Schatten
Der kennt mich genau
Auch der Musiker und Schriftsteller Jochen Distelmeyer, Kopf der 2007 aufgelösten Formation Blumfeld, hat auf dem gerade erschienenen neuen Album Gefühlte Wahrheiten mit Nicht einsam genug eine fast 12-minütige Bluesrocknummer über die Einsamkeit aufgenommen. Die musikalisch und textlich an Bob Dylan erinnernde Geschichte beginnt so:
Ich bin aufgewacht heut‘ morgen
Und mein Leben war mir fremd
Ich bin rausgegang‘ um nachzusehen
Gucken ob mich jemand kennt
Vor ihrem Haus traf ich ein Mädchen
Sie schenkte mit ihr Taschentuch
Und meinte nur, Du wirst es brauchen
Du bist noch nicht einsam genug.
Was setzt die säkulare Spiritualität der Einsamkeit und dem Alleinsein entgegen? Derzeit eine fast biblisch anmutende Sehnsucht nach Licht. Rocko Schamonis Album eröffnet mit dem mantraartigen Lichthymnus Liebe ist das Licht der Erde. Und dann ist da auch die Hoffnung auf Inseln des Lichts, an deren Anfang Schamoni unüberhörbar I can’t stand the rain zitiert, 1973 von Ann Peebles gesungen und 1984 von Tina Turner erfolgreich als Wavenummer gecovert. Lyrischer ist die Schlussnummer dieser kleinen spirituellen Jukebox. Auch der Liedermacher Gisbert zu Knyphaus setzt auf die Kraft des Lichts. In der eleganten Nummer Das Licht dieser Welt aus dem gleichnamigen Album von 2017 empfiehlt er:
Und wenn du lachst, geht alles wie von selbst
schau wie die Freude kommt und alles hier auf den Kopf stellt
und denk immer dran: selbst wenn das Unglück dieser Welt
mal auf deine Schulter fällt
ein neuer Tag wartet schon auf dich
am Ende jeder noch so langen Nacht.
Auch populäre Musik bewusst zu hören ist eine Auseinandersetzung mit den Zeichen der Zeit. Mehr noch: „Ich glaube, dass Gott, der sich in der kenosis (Selbstentäußerung) Jesu vollständig offenbart hat, so demütig ist, dass er in den Äußerungen der menschlichen Offenheit, Sehnsucht und Hoffnung auch anonym gegenwärtig ist, auch dort, wo er nicht erkannt und genannt wird – also in der säkularen Kultur, wenn sie menschlich authentisch ist.“ (Halík, 47) Was Tomáš Halík hier beschreibt, entdecke ich immer wieder mit dem Kopfhörer auf den Ohren oder vor meiner Bluetoothbox. Wer sich darauf einlässt, dem kann ich versprechen: Der Dialog mit dem dritten Ökumenismus rockt.
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Dominik Blum (Jahrgang 1969) ist Pastoraler Koordinator in der Katholischen Pfarreiengemeinschaft im Artland (www.katholisch-artland.de) im Bistum Osnabrück.
Beitragsbild: S. Hermann & F. Richter auf Pixabay
Tomáš Halík, Der Nachmittag des Christentums. Eine Zeitansage. Freiburg 2022.
Die vorgestellten Titel können auf Spotify in einer Playlist nachgehört werden. Suchnamen für das Profil ist dominikblum und für die Playlist feinschwarz_Herbst2022.