Einer erkennbaren Strategie der sprachlichen Verharmlosung geht Jan-Niklas Collet im Blick auf Strategien der Formierung eines rechten Projektes nach. Im Vorfeld einer bevorstehenden Frankfurter Tagung warnt er vor falschen Gewöhnungen.
Als 2018 der Katholikentag in Münster zum Forum mit den religionspolitischen Sprecher*innen der Bundestagsfraktionen lud, war mit dem Abgeordneten Volker Münz auch ein Vertreter der Partei AfD eingeladen. Daraufhin intervenierte eine Gruppe von Münsteraner Theolog*innen auf feinschwarz.net mit einem offenen Brief an die Katholikentagsleitung, den etwa 50 weitere deutschsprachige Theolog*innen aus unterschiedlichen Praxisfeldern unterschrieben. Der darin vorgebrachten Aufforderung, die Einladung rückgängig zu machen, kam die Katholikentagsleitung nicht nach.
Offene Frage: Wie kann Abgrenzung zur neuen Rechten gelingen?
Es blieb bei der Einladung, Münz nahm an der Veranstaltung teil, es gab Gegendemonstrationen und eine Störung der Veranstaltung. Dies liegt nun eineinhalb Jahre zurück. Die Frage aber, wie eine gleichermaßen konsequente wie wirksame Abgrenzung und Bekämpfung von rechter Politik gelingen kann, stellt sich für Kirchen und Theologie nach wie vor. Zuletzt zeigte sich dies Ende 2019, als der Vorsitzende des Verbandes katholischer Schützen eine Unvereinbarkeitserklärung des Verbandes mit der Mitgliedschaft in der AfD empfahl.1 Dies zeigt, wie notwendig eine selbstkritische Klärung der entsprechenden Fragen für Kirche und Theologie ist.
Selbstkritische Reflexion von
Theologie und Kirche
Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns im AK Politische Theologie, der sich im Nachgang des Münsteraner Katholikentags 2018 aus dem Initiativkreis der Münsteraner Erklärung „AfD ausladen!“ bildete. Die Tagung „Kirche, Theologie und AfD. Sozialwissenschaftliche und theologische Reflexion der rechten Normalisierung“, zu der wir vom 17. – 19. Januar 2020 im Haus Dom in Frankfurt a.M. einladen, soll einen Beitrag für die angezeigte selbstkritische Reflexion von Theologie und Kirche leisten.2
rechte Normalisierung als Schlüsselkategorie
Dabei stellt – wie der Titel anzeigt – unseres Erachtens der Begriff der rechten Normalisierung eine Schlüsselkategorie dar. Dabei muss zwischen drei Ebenen differenziert werden: erstens der Ebene der politischen Einstellungen von Menschen, zweitens der Ebene des Öffentlichen Diskurses und drittens der Ebene der politischen Organisierung. Der Begriff der rechten Normalisierung bewegt sich auf der zweiten und dritten Ebene.
Grenzen des Sagbaren werden verschoben.
Demnach werden also nicht die politischen Einstellungen der Menschen oder einer größeren Gruppe von Menschen rechter. Vielmehr mobilisieren Akteur*innen wie z.B. – in besonderem Maße – die AfD bestehendes Potential, indem sie im öffentlichen Diskurs die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben und einen Grad an Organisierung bieten, um sich zur Erreichung rechter politischer Ziele (mehr oder weniger fest) zusammenzuschließen und strategisch zu handeln.
Das waren keine Nazis?
Zur Veranschaulichung dieser Differenzierung kann beispielsweise der Auftritt von Hans-Georg Maaßen bei Markus Lanz vom 17. Dezember 2019 herangezogen werden. Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sagte in diesem Gespräch unter anderem Folgendes:
„Die Leute, die die Angriffe auf die Asylunterkünfte machen, waren überwiegend […] keine Rechtsextremisten, waren keine Nazis gewesen, […] das waren Leute gewesen, die gehörten eigentlich zur bürgerlichen Mitte und die haben sich radikalisiert. Die haben dann einen Übergriff auf eine Asylunterkunft gemacht. Und da habe ich festgestellt: Der Staat oder die Gesellschaft nimmt hier eine Entwicklung, wo wir es nicht nur zu tun haben mit einer Spaltung, sondern auch mit Menschen, die bisher eine tragende Säule dargestellt haben, die sich abwenden von dem Staat. Mein Ziel ist, die wieder zurückzugewinnen. […] Es geht […] um kleine Angestellte, um normale Menschen, die Angriffe auf Asylunterkünfte machen, es geht mir nicht um Nazis.“
Für Maaßen zeigen normale Menschen
den Hitlergruß
Ein wichtiger Aspekt dieser Ausführungen Maaßens ist seine Annahme und sein Bemühen um eine klare Trennung zwischen einer bürgerlichen Mitte einerseits und Rechtsextremisten andererseits. Auf die Nachfrage von Lanz, ob „Skinheads, die […] ‚Sieg Heil‘ rufen“ zur bürgerlichen Mitte gehören, winkt Maaßen unmittelbar ab: „Also, Herr Lanz, da brauchen wir gar nicht drüber zu [reden], um die geht es nicht“, sondern um „normale Menschen“ – mit dem Zusatz, dass diese eben nicht nur ‚normal‘ sind, sondern darüber hinaus auch noch „Angriffe auf Asylunterkünfte machen“.
Trügerische Annahme, in der bürgerlichen Mitte gebe es keinen Rassismus.
Was beides miteinander zu tun haben könnte, wird nicht gefragt: es wird einfach angenommen, dass normale Menschen aus der bürgerlichen Mitte per Definition mit Gewalt, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nichts zu tun haben. Dieses Problem wird durch eine bloße Addition der Begriffe ‚gelöst‘. Dabei ist allerdings das Ergebnis nicht die konsequente Ausgrenzung und Ächtung rassistischer Gewalt, sondern ihre Integration in den Bereich des Normalen.
Eine politische Strategie sichtbar machen.
Die Tragweite solcher öffentlichen Auftritte und Aussagen wird erkennbar, wenn sie nicht isoliert betrachtet, sondern in den umfassenderen Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung eingeordnet wird. Der Begriff der „rechten Normalisierung“ eignet sich dabei, um die damit verbundene politische Strategie kritisch zu benennen. Exemplarisch lässt sich diese an einem Artikel des Faschisten Martin Sellner, Wortführer der rechtsextremen österreichischen Identitären Bewegung, studieren.
Strategisches Verwischen von
politischen Grenzen.
Für die Rechte ist es nach Sellner eine politische Notwendigkeit, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Anders könne sie ihre Ziele nicht erreichen. Für die Strategie der sogenannten ‚Neuen Rechten‘, die Sellner entwirft, ist dabei zweierlei entscheidend. Erstens die Entwicklung eines „neurechten Kontinuums“3: um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, sieht Sellner es als zentral an, dass die Übergänge zwischen verschiedenen rechten Akteur*innen fließend sind – es also keine scharfe, sondern lediglich eine „tolerante Abgrenzung“ zwischen mehr oder weniger Radikalen geben darf. Daher ist die Bezeichnung eines Teils des ‚Kontinuums‘ als ‚extremistisch‘ für Sellner eine „Todsünde“. Der zweite für Sellners Strategie wichtige Punkt besteht darin, dass Akteur*innen des ‚Kontinuums‘ in der politischen Kommunikation „direkt an der unbewußt identitären Grundhaltung der gesellschaftlichen Mitte andocken und sie über ein langsam wachsendes Kontinuum mit einem breiten Angebot an Information, Aktion und Partizipation auf eine [sic] bewusstes Niveau anheben“ sollen.
Der richtige Name der ‚identitären Frage‘
lautet Rassismus.
Dabei darf man sich nicht von den bewusst gesetzten, nebelkerzenartigen Euphemismen irreführen lassen. Die von Sellner sogenannte „identitäre Frage nach unserer Identität und ihrer demographischen, ethnokulturellen Aufnahmefähigkeit“, die der Kern des rechten Kontinuums ist, ist bei genauem Lesen eigentlich die rassistische Frage.4 Ethnokulturelle Aufnahmefähigkeit der eigenen Identität: das heißt nichts anderes als die gegebenenfalls auch gewaltsame Ausgrenzung der als Andere markierten Menschen. Sellners „Politik der Leitkultur, Deislamisierung und Remigration“ ist in Wirklichkeit eine Politik der Homogenisierung, Islamfeindlichkeit und Deportation.
Rassistische Gewalt wird de-skandalisiert.
Wie eine Normalisierung dieser Diskurse von statten geht, lässt sich an Maaßens Aussagen sozusagen in Echtzeit nachvollziehen. Er erfüllte bei seinem Auftritt bei Lanz beide Kriterien Sellners. Erstens de-skandalisiert er die rassistische Gewalt, die aus der sogenannten Mitte heraus geschieht, indem er beide strikt voneinander scheidet. Das Problem ist damit nicht mehr die rassistische Gewalt, sondern die ‚Ängste und Sorgen‘ der Gewalttäter*innern vor ‚Überfremdung‘ usw. – auf diese Weise dockt Maaßen an das an, was Sellner die „unbewußt identitäre Grundhaltung der gesellschaftlichen Mitte“ nennt. Sellner hat erkannt, was rechter Politik unverdächtige Studien seit Jahrzehnten belegen:5 dass die Mitte anfällig für rechte Diskurse ist.
Die Übergänge zu rassistischen Gewalttaten werden bei Maaßen fließend.
Um nicht der skizzierten Strategie der rechten Normalisierung aufzusitzen, sollte man jedoch nicht Sellners Sprachgebrauch übernehmen und im Anschluss an die zitierten Studien besser von einem „autoritären Syndrom“6 sprechen, das in allen gesellschaftlichen Bereichen mehr oder weniger anzutreffen ist und nicht nur in einem vom Weg abgekommenen rechten Rand. Zweitens grenzt sich Maaßen zwar von den angesprochenen Skinheads ab. Diese ‚scharfe‘ Abgrenzung von allgemein als extremistisch angesehenen Gewalttätern ermöglicht aber zugleich jene tolerante Abgrenzung in die Mitte, die zur rechten Normalisierung notwendig ist, sodass Maaßen z.B. die zivile Seenotrettung als „Shuttle-Service“ diffamieren und sich gleichzeitig als Vertreter der ‚normalen Menschen‘ präsentieren kann. Daran können andere sogenannte ‚Gemäßigte‘ anschließen – und gerade deswegen werden die Übergänge bis hin zu rassistischen Gewalttäter*innen fließend.
Einzelne Akteure sind zusammen mit der Strategie der rechten Normalisierung zu problematisieren.
Die Beobachtungen um den Auftritt Maaßens bei Lanz zeigen, wie die Strategie der rechten Normalisierung funktioniert – und was es daher auch für Kirchen und Theologie im Umgang mit ihr zu berücksichtigen gilt. Erstens dürfte es nicht genügen, sich von einzelnen rechten Akteur*innen wie Maaßen oder der AfD abzugrenzen. Ebenso wenig reicht es aus, lediglich auf eine umfassende rechte Ideologie zu verweisen und den Prozess von deren Normalisierung von konkreten Akteur*innen abzulösen: so als hätte die Normalisierung von Rassismus nichts mit dem fließenden Übergang verschiedener Kräfte etwa innerhalb der AfD zu tun. Vielmehr muss es immer zugleich um die umfassende Strategie der rechten Normalisierung und um konkrete Akteur*innen dieser Normalisierung gehen – und zwar in ihrem strukturellen Zusammenhang. Alles andere unterbietet das Problem und spielt den rechten Agitator*innen in die Hände. Deswegen haben wir als AK Politische Theologie uns mit Blick auf die Tagung entschieden, den Fokus auf die Partei AfD, den wir von der Auseinandersetzung um den Katholikentag in Münster her von Anfang an hatten, beizubehalten.
Problem des business as usual einer genügsamen Mitte.
Dass die entsprechenden Klärungen nicht nur sachlich notwendig, sondern auch von höchster Dringlichkeit sind, wird übrigens deutlich, wenn man den Äußerungen Maaßens einen Artikel von der Journalistin und Mitgründerin der Neuen Deutschen Medienmacher*innen Ferda Ataman entgegenstellt.7 Ataman beschäftigt sich in ihrem im SPIEGEL erschienenen Artikel nicht in erster Linie mit den beunruhigenden Wahlerfolgen der AfD, sondern eher mit dem mehr oder weniger achselzuckenden business as usual einer genügsamen Mitte.
Wer kann „ergebnisoffene Debatten“ führen?
„Viele moderate Weiße nehmen das mit dem völkischen Gelaber offenbar sportlich. Sie sehen den rassifizierenden Nationalismus im Parlament und in den Medien als schmuddelige Herausforderung, die zu einer Demokratie nun mal dazu gehört. Im besten Fall sind sie empört. Menschen mit Rassismuserfahrung haben da einen ganz anderen Standpunkt: Sie erkennen darin einen Angriff auf ihre Person, ihre Familie, ihre Gruppe. Wir haben keine Lust, ergebnisoffene Debatten über unsere Daseinsberechtigung zu führen. Da gibt es nichts zu diskutieren.“
Widerspruch zwischen rechter Normalisierung und demokratischem Diskurs
Anders gesagt: Programme der „Rückgewinnung“ der von Maaßen sogenannten „normalen Menschen“ stellen eine reale Gefahr für Menschen dar, die in der von ihm imaginierten Mitte keinen Platz haben. Ein offener Dialog mit Akteur*innen der rechten Normalisierung in der politischen Öffentlichkeit schließt diese Menschen von Beginn an aus. Wenn aber ein Dialog nicht offen ist, wozu führt man ihn dann? Auf welcher Basis soll dann ein demokratischer Diskurs geführt werden – zumal angesichts der unverhohlenen Strategie der Verschiebung der Grenzen des Sagbaren durch die Bildung eines ‚neurechten Kontinuums‘? Diese Fragen sollte berücksichtigen, wer meint zur ‚sachlichen Diskussion‘ mit Akteur*innen der rechten Normalisierung gebe es spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag keine Alternative mehr.
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Autor: Jan Niklas Collet ist Mitglied im AK Politische Theologie und Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Katholische Theologie (Lehrstuhl für Systematische Theologie) der Universität zu Köln
Bild: AK Politische Theologie
- Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/katholische-schuetzen-verbandsvorsitzender-afd.1939.de.html?drn:news_id=1084988 (31.12.2019). ↩
- https://ak-politische-theologie.weebly.com/tagung.html (29.12.2019). ↩
- Martin Sellner, Was fehlt: ein neurechtes Kontinuum, in: https://sezession.de/60814/was-fehlt-das-neurechte-kontinuum (29.12.2019). ↩
- Vgl. Christoph Holbein, Diskurspiraterie: Wie wir die extreme Rechte unterstützen und was wir strategisch dagegensetzen können, in: Judith Gruber / Sebastian Pittl / Stefan Silber / Christian Tauchner (Hg.), Identitäre Versuchungen. Identitätsverhandlungen zwischen Emanzipation und Herrschaft, Mainz 2019, S. 30–38. ↩
- Vgl. v.a. Oliver Decker / Elmar Brähler (Hg.), Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2018, Gießen 2018. Darauf wiesen schon die Studien des Instituts für Sozialforschung um Horkheimer und Adorno hin, in deren Tradition auch die Mitte-Studien stehen. ↩
- Vgl. Decker / Brähler (Hg.), Flucht ins Autoritäre, a.a.O. ↩
- Ferda Ataman, Derweil im Migrationshintergrund. Es brodelt in Kanakistan, in: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/migrationshintergrund-es-brodelt-in-kanakistan-kolumne-a-1298544.html (29.12.2019). ↩