Kirche geht auch digital – spätestens jetzt. Viera Pirker eröffnet Einblick und theologische Orientierung im Tableau digitaler Angebote in diesen Zeiten.
In der vergangenen Woche hat das Virus Europa voll erfasst. Die dramatische Lage in Italien hat sich ausgeweitet. Während mit dem Frühling neues Leben anbricht, muss mit einer unsichtbaren Gefahr der Ansteckung gerechnet werden. Mit radikalem Tempo greifen jetzt Maßnahmen zur Eindämmung in den Alltag ein. Der tägliche Coronavirus-Update mit dem Chef-Virologen der Charité Christian Drosten hat sich zum wohl meist abgerufenen Audio-Angebot des gesamten deutschsprachigen Internets entwickelt – eine Sternstunde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seine nüchterne und klare Einschätzung zeigt aber auch, wie rasch sich die Lage zuspitzt. Der Impuls, die Eltern zu unterstützen, wird durch den Aufruf zur Selbst-Isolation unterbrochen. Die Sorge, ihnen nicht helfen zu können, mischt sich mit der Unsicherheit, sie über Monate hinweg nicht mehr sehen zu können. Fernbeziehungen stehen unter Druck. Auch Menschen in seelischen Notlagen, für die soziale Kontakte und Begleitung überlebenswichtige Adern darstellen, sind auf einmal in ihre Wohnung gesperrt, können der Einsamkeit nicht entkommen.
Mit #washyourhands ist es nicht mehr getan.
Jetzt muss sich ein sozialer Zusammenhalt erweisen, von dem noch nicht deutlich ist, ob er tatsächlich tragfähig sein wird. Sind wir gesamtgesellschaftlich fähig zu Verantwortungsübernahme, Empathie, Sensibilitäten und Zurückhaltung in der Befriedigung eigener Bedürfnisse? Mit #washyourhands ist es nicht mehr getan. Ganz neue Regeln ergeben sich: #flattenthecurve geht nur mehr mit #stayhome und #socialdistance. Und doch stellt sich auch aktuell und weiterhin die Frage nach der Solidarität, auch unter den EU-Mitgliedsstaaten. Die höchst prekäre Situation an den Grenzen und in den Flüchtlingslagern ist medial, in Köpfen und Herzen nicht mehr präsent, wie Pastoraltheologin Regina Polak auf Facebook kritisiert. Ist sich jetzt jeder selbst der Nächste?
Gottesdienste 2.0 – #sundaymass
Mit gutem Beispiel voran gegangen ist der Vatikan, der deutlich vor dem rigorosen Shutdown in Italien seine eigenen Angebote geschlossen hat. Erst wurde noch geunkt – ist der Papst am Balkon doch weit genug entfernt vor Ansteckungsgefahr – doch es geht nicht um ihn. Verhindert werden sollen große Menschenansammlungen. Der YouTube-Livestream von Vatikan Media begleitet die tägliche Frühmesse von Papst Franziskus; auch die Osterfeierlichkeiten werden ohne Gläubige stattfinden und online übertragen. Franziskus‘ Pilgergang durch die menschenleeren Straßen von Rom hat Eindruck hinterlassen. Und bei Instagram gibt Joanne Bergamin @swissguardwife auch jetzt lebendige Einblicke hinter die Kulissen des Vatikan.
Auch die Osterfeierlichkeiten werden ohne Gläubige stattfinden.
Tatsächlich wurden online Diskussionen darüber geführt, ob Weihwasser und Teilnahme an der Kommunion gar vor Corona schützen. Die Bedeutung der Teilhabe am Gottesdienst für das Glaubensleben der Menschen steht auf einem Prüfstein. Und wie es scheint: Gerade die Kreise, denen eine jährlich mögliche Eucharistieteilnahme in der Amazonas-Region als völlig ausreichend erschien, pochen jetzt auf ihr Recht, die Sonntagspflicht zu erfüllen. Falls sich jemand beunruhigt: Sie wurde für die Zeit der Krise explizit aufgehoben. Inzwischen hat die deutsche Bundesregierung alle religiösen Versammlungen untersagt, in Österreich sind alle Gottesdienste bis nach Ostern abgesagt, Familienfeiern und Hochzeiten werden verschoben oder wie Begräbnisse in engstem Rahmen abgehalten.
„Wir feiern Realpräsenz, nicht Virtual-Präsenz.“
Viele diskutieren und erproben das Streaming von Gottesdiensten auf allen möglichen Plattformen. Allein am Sonntag habe ich einer Instagram-Andacht und einem wackeligen Facebook-Live-Streaming beigewohnt, Predigten auf neuen YouTube-Kanälen und im Podcast gehört. Lohnt dieser Einsatz für Gottesdienste, die zum Hauptgeschäft der Hauptamtlichen gehören, aber schon im normalen Alltag nur wenige Prozent der Christen und Christinnen im deutschsprachigen Raum erreichen? Ob dieses Publikum auf online gestreamte Gottesdienste zurückgreifen wird? – Ist hier nicht die professionelle Konzertierung von Angeboten sinnvoller? Der Bischof von Limburg, Georg Bätzing, seit kurzem Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, feiert jetzt täglich um 10:00 Uhr Gottesdienst mit Livestream, genau wie Bischof Muser von Bozen-Brixen, der auch zu einem Online-Requiem für die Verstorbenen einlädt, und viele andere. Auch Kritik wird laut: Virtuelle Gottesdienste ohne Präsenz einer realen Gemeinde fokussieren übermäßig auf den Priester und sind zugleich des zentralen Punktes im katholischen Gottesdienst enthoben, wie Jan-Heiner Tück in einem Interview auf kathpress festhält: „Wir feiern Realpräsenz, nicht Virtual-Präsenz“. Doch wer darauf verweist, kann die freiwerdenden Kräfte für die Entwicklung anderer, nachbarschaftlicher und seelsorglicher Angebote nutzen, kann die Jungen und Alten, die Gesunden und Kranken, die Einsamen und die Vernetzten in der Gemeinde regelmäßig anrufen: Viele Priester haben schon damit begonnen. Sich zurückhalten und isolieren, um Infektionsketten zu unterbrechen, kann ebenso als Akt der Nächstenliebe verstanden werden, wie die achtsame, solidarische Unterstützung von Schwächeren.
Caritas – #gemeinsamhelfen
Die aktuellen sozialen Herausforderungen betreffen ganz eklatant die diakonische und karitative Dimension der Kirche. Werden wir helfen, die Kranken zu pflegen, die Gefangenen zu betreuen, die Toten zu begraben, die Trauernden zu trösten? Wie kann Kirche aktiv darin handeln, die im Notfall stark eingeschränkten Realitäten in Altersheimen und Kliniken zu begleiten? Wie arbeiten die Tafeln, die vielerorts in Gemeinden betrieben werden, wenn sie aufgrund der Hamsterkäufe keine Nahrungsmittel zu verteilen und durch den Aufruf zur Distanzierung wenige Helfende haben? Soziale Unterstützungsdienste, ebenso wie Besuchsdienste durch Ehrenamtliche und Hauptamtliche, geraten jetzt schon in Bedrängnis, Beratungsstellen schließen ihre Präsenzzeiten, Menschen wissen nicht wohin. Und doch muss Matthäus 25 weiterhin Maßgabe für Christinnen und Christen sein in der Gegenwart, im analogen und auch im digitalen Raum. Soziales Engagement ist besonders herausfordernd, wenn dieses nicht mehr in der persönlichen Begegnung stattfinden kann. Ein gutes Gefühl für Begleitung und Kontaktaufnahme, insbesondere im Wissen, ob andere in innerer oder äußerer Bedrängnis leben, kann alle stärken. Wie ohnehin Hoffnung und Handeln für einander ansteckend wirken kann. In manche Regionen haben sich die jungen Parteivereinigungen zusammengeschlossen und beginnen mit sozialer Unterstützung, mit Einkaufs- und Hilfsangeboten für ältere Menschen in ihrer Umgebung. Wichtig ist nach wie vor die Begleitung von Jugendlichen. Vielerorts organisieren junge Menschen in Wohnhäusern Einkaufsdienste und bieten nachbarschaftliche Hilfe an.
Seelsorge – #ansprechbar
Seelsorger und Seelsorgerinnen in Gemeinden und der kategorialen Seelsorge stehen vor der Herausforderung, die Menschen auch in dieser Lage zu begleiten. Krankenhausseelsorge findet unter verschärften Bedingungen statt. Sind Hausbesuche, Versehgänge, ist die Hauskommunion möglich oder ein zu hohes Risiko? Wie geht Seelsorge, wenn der Zutritt ins Gefängnis nicht mehr möglich ist? Welche Menschen in der Gemeinde sind besonders gefährdet, brauchen Kontakt und Unterstützung? Wer kümmert sich um die, die durch die Maschen des sozialen Systems fallen? Telefonseelsorge und Kindernotruf sind wichtig und werden bereits ausgebaut, ebenso wie Internetseelsorge. Kontakte halten, nachfragen, Informationen streuen, auf Dienste hinweisen, die professionell und vorbereitet sind für Krisenbegleitung und Intervention: All dies kann für einzelne Menschen überlebenswichtig werden. Auch die Erstkommunionsvorbereitung ist ins Stocken geraten; Markus Tomberg baut aktuell gemeinsam mit dem Bistum Fulda einen Pool für familienkatechetische Begleitung auf.
Jana nimmt 10.000 Follower*innen mit in ihre Quarantäne.
Bischöfe (Peter Kohlgraf) und Pastorinnen wie (Theresa Brückner) sind in Isolation. Auch die christliche Influencerin Jana aus dem EKD-Netzwerk Yeet musste aufgrund eines Krankheitsfalls beim Willow Creek-Kongresses in häusliche Quarantäne. Auf ihrem Instagram-Account berichtet sie fast täglich aus ihrem Leben, und hat so ihre über 10.000 Follower*innen in die Quarantäne mitgenommen. Am vergangenen Sonntag hat sie weinend über die Unzufriedenheit, das Eingesperrtsein, das Gefühl, von der Öffentlichkeit abgeschnitten zu sein, berichtet und geklagt, dass dieses Los ausgerechnet sie treffen muss. Sie hat Trost und Zuwendung aus dem Netzwerk erhalten, Freunde und Freundinnen haben sich ihr zugewandt, unterstützend und korrigierend: ihre davon angespornte innere Entwicklung hat sie durchlitten und thematisiert.
Sie zeigt exemplarisch, dass hier auch geistige Herausforderungen zu bestehen sind. Im Laufe der Woche hat Jana ihre Follower*innen unter anderem auf eine intensive Reise mit Paulus genommen. Ihre Worte zur Erfahrung des Schwachheit und Stärke am Mittwoch gehören zu den stärksten Glaubenszeugnissen, die ich bislang auf Instagram wahrgenommen habe. Zugleich sehe ich an ihrem Beispiel das auf uns zurollende Problem der sozialen Isolation, auf das nicht alle Menschen positiv, kreativ und resilient reagieren können. Wie können auch diese Menschen gut begleitet werden, woher kommt Ermutigung im Aushalten? Wer wird jetzt zum Nächsten?
Gebet – #praytogether
Insgesamt wird also viel Aufbruch ins Digitale sichtbar. Wer schon länger aktiv ist in den Social Media-Plattformen, dort Kontakt zu Menschen aufgebaut hat und pflegt, wer die digitale Kommunikation beherrscht, hat jetzt einen deutlichen Vorsprung; viele Freikirchen können ihre spirituelle Praxis nahtlos auf Online-Streaming, Predigt-Podcast und Small Groups verlagern. Auch zurückhaltende Pfarrer und Seelsorgerinnen der Großkirchen denken inzwischen darüber nach, wie sie ihre Gemeinde überhaupt erreichen, wenn sie nicht mehr in direktem Kontakt stehen dürfen. Wohl dem, der einen Verteiler aufgebaut hat. Doch auch althergebrachte Kommunikationsmittel erhalten neue Deutung: Kirchenglocken werden ausdrücklich als Signale fürs gemeinsame Gebet eingesetzt. Die EKD hat mit #digitalekirche viel in Vernetzung investiert, so dass die Akteurinnen und Akteure hier schnell ins Handeln kommen können. So hat Pastorin Josephine Teske am Wochenende das @herz.netz.werk gegründet, in dem sich ganz verschiedene Menschen beteiligen, vom Glauben erzählen, und davon, wie sie einander unterstützen, wenn das Gemeindeleben auf einmal wegfällt.
Wohl dem, der einen Verteiler aufgebaut hat.
Die auf Instagram aktive Gebetsgemeinschaft @manyhailmarysatatime von Kristin Reilly wird in den kommenden Wochen intensiver für Erkrankte, füreinander und für die Menschen in medizinischen Berufen beten. Der täglich live und dialogisch in den Stories gebetete Rosenkranz wird ausgeweitet, ebenso Empfehlungen für den fordernden Alltag mit Kindern zu Hause. Warum nicht auch um eine deutschsprachige Session? Engagement ist hier erwünscht.
Hier wird deutlich: Christentum geht immer auch zurückgezogen, in persönlicher betender Praxis, im Teilen des Alltags und der Sorgen. Das unterstützt auch die wunderbare, online und per App distribuierte Liturgie der „Lichtteilchen“ von Maria Herrmann, die zum täglichen Mitbeten und Mitdenken einlädt. Wer ein klassisches Format bevorzugt: Mit dem Stundenbuch kommt das tägliche Gebet der Kirche als App aufs Smartphone.
Bildungssystem – #distancelearning
Innerhalb von Stunden, und wenigen Tagen musste sich eine gesamte Branche auf distance learning umstellen. Die Universitäten in Österreich sind mitten im laufenden Semester davon getroffen, und schwerer noch trifft es die vielen Schulen, die jetzt geschlossen sind. Innerhalb von einer Woche werden Dinge möglich, über die vorher noch nicht einmal nachgedacht wurde. Wohl den Schulen, die bereits die Mittel aus dem Digitalpakt eingesetzt haben, um ihre Schülerinnen und Schüler mit mobilen Endgeräten auszustatten. Doch das Bildungssystem ist noch längst darauf eingestellt. In der Regel kann nicht davon ausgegangen werden, dass Schülerinnen und Schüler über Geräte verfügen, mit denen sie an Video-Konferenzen teilnehmen können, ja, dass sie Dokumente überhaupt öffnen können außerhalb ihres oft zersplitterten Smartphone-Bildschirms. Hier wird die Frage nach Bildungsgerechtigkeit laut.
Häusliche Gewalt wird in der Krisenzeit ebenso zunehmen wie die existenzielle Unsicherheit, wie es weitergehen soll.
Wer Zugang zu Ressourcen hat, kann auch die eigene Lernumgebung entsprechend gestalten. Doch in einer kleinen Wohnung, in der mehrere Kinder sich ein Zimmer teilen, in der der einzige Computer von den Eltern zur Sicherung ihres Home-Office verwendet werden muss, da ist keine Möglichkeit, online Schularbeiten zu machen. Nicht zu vergessen, dass es für manche Kinder eine Erholung darstellt, wenn sie angespannte Familiensituationen verlassen und in die Schule gehen dürfen: Auch diese Kinder müssen jetzt 24 Stunden zu Hause sein. Häusliche Gewalt wird in der Krisenzeit ebenso zunehmen wie die existenzielle Unsicherheit, wie es weitergehen soll. Jobs werden jetzt schon massenweise gekündigt, gerade in prekären Beschäftigungen im niedrigen Lohnniveau.
Nicht nur für Religionslehrer und Religionslehrerinnen könnte es bedeutsam werden, die Regeln und Grenzen des Bildungssystems etwas weiter auszulegen, sich mit den Schülern und Schülerinnen direkt zu verbinden, sich sogar als seelsorgliche und sozialpsychologische Begleitung zu verstehen, auf Lerninhalte zu verzichten und stattdessen Fürsorge und Kontakt ermöglichen sowie Beiträge zum sozialen Zusammenleben anzuregen. Briefe an Gefangene, Videos an die Oma im Altersheim zu senden, Erzählungen von den eigenen Erfahrungen anzuregen und Initiativen zu setzen, dass die Schüler und Schülerinnen sich in der schweren Zeit im Rahmen des Möglichen auch gegenseitig unterstützen und nicht alleine lassen. Angesichts der DGSVO grenzt es an Gesetzesbruch, den persönlichen Kontakt mit Schülern und Schülerinnen auf direktem Weg zu suchen, eine geschlossene Instagram- oder WhatsApp-Gruppe innerhalb des Religionsunterrichts zu gründen – und doch könnte genau dies der richtige Weg sein.
Der Frühling weiß nichts von Corona; die Kirche schon. Und was ist jetzt dran, analog und digital: Hoffen und beten? Handeln und füreinander handeln? Nicht die Sorge um sich selbst, sondern die Sorge um die anderen sollte auch diese besondere Zeit dominieren. In jedem Fall: an allen Orten solidarisch sein!
Linktipps (in der Reihenfolge der Erwähnung):
Christian Drosten: Das Coronavirus-Update https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html
Regina Polak: https://www.facebook.com/regina.polak.94/posts/10215331141983485
Papst Franziskus täglich um 06:55 Uhr: Vatikan.de https://www.youtube.com/watch?v=w2mTP4Ym4mA
Joanne Bergamin @Swiss Guard Wife: https://www.instagram.com/swissguardwife/
Bischof Bätzing täglich um 10:00 Uhr: https://bistumlimburg.de/
Bischof Muser täglich um 09:00 Uhr: https://www.rgw.it/
Jan-Heiner Tück: https://www.kathpress.at/goto/meldung/1866152/theologe-vorsichtige-vorbehalte-gegen-virtuelle-gottesdienste
Markus Tomberg: Erstkommunion-Katechese: https://thf-fulda.de/aktuell
Bischof Kohlgraf: https://www.facebook.com/bischof.peter.kohlgraf/Josephine Teske: https://www.instagram.com/seligkeitsdinge_/
Herz.Netz.Werk: https://www.instagram.com/herz.netz.werk/
Kristin Reilly: https://www.instagram.com/manyhailmarysatatime/Maria
Herrmann, Lichtteilchen: https://lichtteilchen.com
Autorin: Dr. Viera Pirker, Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Praktische Theologie, Universität Wien.
Beitragsbild: John Jackson, www.unsplash.com