Wie die verfasste Kirche mit der Coronakrise umgeht, ist nicht unumstritten. Miriam Niekämper und Lea Torwesten haben bischöfliche Online-Botschaften auf ihre Kirchenbilder hin untersucht.
„Bund und Länder verbieten bis auf weiteres Gottesdienste, Treffen in Vereinen und Busreisen“, reihte eine dpa-Meldung (16.03.) erste einheitliche Maßnahmen angesichts der Corona-Epidemie auf. Schon vorher hatten Bistümer ihre öffentlichen Gottesdienste abgesagt – und der Schock sitzt tief: „Außergewöhnlich“, „unvorstellbar“, „unendlich schwer“ sei die Situation.
„Doch wenn die Gläubigen nicht zur Kirche kommen können, kommt die eben zu ihnen“, berichtet die BILD (21.3.) bald darauf über alternative Formate. Dass es sich so einfach ‚eben‘ nicht gestaltet, ist aber augenscheinlich. Kirchliche Versammlung und gemeinsame Eucharistiefeier sind mehr als ein optionales Vereinsangebot. Was heißt es für die Kirche, wenn das „Allerwichtigste, das Allerheiligste“ (Woelki, 16.3.), das „kostbarste Vermächtnis unseres Herrn“ (Hanke, 17.3.) für die meisten auf unbestimmte Zeit wegfällt? Wer ist man, wenn „die Mitte des Glaubens“ (Overbeck, 15.3.) plötzlich fehlt?
YouTube-Videos als Erste-Hilfe-Maßnahme
In YouTube-Videos – dem Medium der Zeit, um gefühlt nah, physisch aber in gebotener Ferne zu sein – richten sich die Bischöfe nach dem Veranstaltungs-Shutdown an die Öffentlichkeit. In zwei Dritteln aller deutschen Bistümer werden in der Woche vom 13. bis zum 20. März 2020 Videoansprachen aufgezeichnet. Sie wollen Maßnahmen erklären, Orientierung liefern, Mahnungen und Ermutigungen aussprechen – quasi die Gläubigen in eine erste ‚stabile Seitenlage‘ bringen. Wie verstehen die Bischöfe in diesen Ansprachen ‚Kirche‘ angesichts der Corona-Krise?
Kirchenbilder der Corona-Krise: YouTube-Ansprachen deutscher Bischöfe
In den 18 Videoansprachen tritt ein Bild besonders häufig auf: „Wir wollen betende Gemeinschaft bleiben“, appelliert der neue DBK-Vorsitzende und Bischof von Limburg, Georg Bätzing. Klar: „Zeiten der Not sind Zeiten des Gebetes“ (Jung, 16.3.). Aber das Gebet leistet mehr: Es verbindet Menschen mit Gott und untereinander (Overbeck, 15.3.). „Alternative Wege des solidarischen Betens und Handelns müssen jetzt ausgeschöpft werden“ (16.3), so der Paderborner Erzbischof Becker. Zahlreiche Aktionen zeugen von diesen Bemühungen: gemeinsame Gebetszeiten, Kerzen in Fenstern, besondere Gebete. Als „betende Gemeinschaft“ (Feige, 19.3.) und „Netzwerk der Betenden“ (Benz, 19.3.) wird die Verbundenheit aufrechterhalten.
Leben Sie Hauskirche!
Neben dem Aufruf zum Gebet miteinander und füreinander gilt es diese besondere (Fasten-)Zeit zu nutzen und aus der Not eine Chance für die Intensivierung des geistlichen Lebens zu machen. Wenn nicht in der großen Gemeinschaft, dann – back to the roots: „wie die Jünger nach Ostern“ (Hanke, 17.3.) – als Kirche im Kleinen, in häuslicher Gemeinschaft vor Ort. Vorgeschlagen werden gemeinsames Beten und Singen, Lesen in der Heiligen Schrift (Generalvikar Udo Markus Bentz stellvertretend für Bischof Kohlgraf, der sich zu dem Zeitpunkt in häuslicher Quarantäne befand, 19.3.) oder „die Feier eines kleinen Hausgottesdienstes“ (Feige, 19.3.). „Jetzt ist die Zeit bei Ihnen! Sie sind Kirche vor Ort!“ (17.3.), ermutigt der Eichstätter Bischof Hanke. Da, wo mehrere Menschen zusammenkommen, in Familien-, Haus- und Wohngemeinschaften, konkretisiert sich die Gebetsgemeinschaft bzw. ein Teil von ihr: „Leben Sie Hauskirche!“ (Hanke, 17.3.)
Die Seelsorger*innen bleiben erreichbar.
Eindrücklich wird dennoch immer wieder betont: Auch wenn die Menschen sich nicht versammeln dürfen, sollen die Kirchengebäude offen bleiben als Raum, in denen „Menschen ihre Anliegen vor Gott tragen und für ihr Leben gestärkt werden“ (Wilmer, 14.3.). Es geht um eine offene und präsent bleibende Kirche der Nähe. Die Kirchenglocken läuten weiterhin – mancherorts intensiviert. Die Seelsorger*innen bleiben erreichbar. Eine erweiterte Akzentuierung dieses Bildes setzen die Bischöfe der NRW-Bistümer Essen und Paderborn mit einer Kirche „für alle anderen“ (Overbeck, 15.3.) bzw. „für alle Menschen“ (Becker, 16.3.).
Vor dem Hintergrund einer weltweiten Pandemie wird ein Narrativ verwendet, das sich gut in den medizinischen Kontext einfügt und an die frühe Bezeichnung von Pestspitälern erinnert: Die Kirche solle „Lazarett sein […], in dem Heil und Heilung erfahrbar sein muss“ (Hanke, 17.3.). Es stammt ursprünglich von Papst Franziskus, der 2013 vom „Feldlazarett nach einer Schlacht“ sprach. Diese kriegerische Konnotation, wie wir sie bei den französischen Bischöfen finden werden, bleibt im vorliegenden Fall höchstens implizit.
Klassische Kirchenbilder wie das ‚pilgernde Volk Gottes‘, der ‚Leib Christi‘ oder der ‚gute Hirte‘ tauchen nur punktuell auf: So haben Priester, „ggf. zusammen mit dem Pastoralteam“, ihrer „Hirtensorge“ (Jung, 16.3.) um die Gemeinde auch in Krisenzeiten nachzukommen. Anknüpfend an die Gebetsgemeinschaft versteht Gebhard Fürst, Bischof von Rottenburg-Stuttgart, die Gläubigen „als Glieder des einen Leibes Christi“ (16.3.), die gerade jetzt besonders im Gebet miteinander verbunden seien. Benz deutet dies in Hinblick auf das notwendige solidarische Handeln (das gesamtgesellschaftliche Leitnarrativ der Krise!) weiter aus: „Wenn ein Glied unterstützt wird, werden alle anderen mitgetragen“ (19.3.).
Wir haben Hoffnung!
Zuletzt solle Kirche aber vor allem eines bleiben: eine „hoffnungsvolle Gemeinschaft“ (Bätzing, 14.3.). Fast die Hälfte aller Videoansprachen greift dieses Bild auf. „Wir sind Christen. Wir haben Hoffnung!“ (Schick, 20.3.) Im „Glauben an den auferstandenen Jesus Christus“ (Genn, 16.3.), in „Vertrauen und Zuversicht“ auf Gott (Becker, 16.3.) könne man hoffnungsvoll bleiben. Es werde in Deutschland aber auch eine „gute Vorsorge betrieben“ (Bätzing, 14.3.), es gebe „verantwortungsvoll handelnde PolitikerInnen, eine große Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität, Sorge tragende Arbeitgeber, Christen und Christinnen, die Kraft, Mut und Zuversicht im Gebet finden und das auch an andere weitergeben“ (Genn, 16.3.).
Ein Blick über den Tellerrand: YouTube-Botschaften französischer Bischöfe
Ein Blick in die Video-Botschaften einiger französischer Bischöfe zeigt, dass sich dort dieselbe Frage stellt: das „schmerzhafte Fehlen der Kommunion“ (Percerou, 22.3.) lässt die Kirche in der Krise „mittellos“ (de Kerimel, 17.3.) erscheinen – die französische Antwort jedoch fällt martialischer aus:
Die Kirche ist Gemeinschaft von Glaube, (Nächsten-)Liebe und Hoffnung – und als solche Teil des Kampfes der Nation gegen das Coronavirus. Mehrmals wird die Metapher des „Krieges“ aufgegriffen, die Präsident Macron stark gemacht hatte. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Eric de Moulins-Beaufort, spricht davon, dass die Epidemie nicht gewinnen werde – wenn ihr Nächstenliebe, Hoffnung und Glaube entgegengesetzt werden, die „Waffen Gottes“ (Aumônier, 21.3.), die es nun anzuwenden gelte. So sei nun die „Stunde der Nächstenliebe“ (Percerou, 22.3.) gekommen. Wie in Deutschland wird diese als wichtige Dimension der Kirche wahrgenommen, was mit einem Aufruf zu Solidarität und Dienst an den anderen (Balsa, 23.3.), aber auch zur Brüderlichkeit (Rougé, 20.3.; Ulrich, 22.3.) und Freundschaft (Dinechin, 21.3.) verknüpft wird.
Das Herz weit offen halten
Es gelte, für die Probleme und Ängste der Mitmenschen aufmerksam zu sein (Dinechin, 21.3.; Ulrich, 22.3.; Fonlupt, 23.3.), das „Herz weit offen zu halten“ (Moulins-Beaufort, 20.3.) und die Quarantäne nicht als Isolation zu leben, sondern durch Anrufe, Nachbarschaftshilfe und Fürbittgebete Verbindungen untereinander zu schaffen (Fonlupt, 23.3.). Nicht zuletzt erweise sich an der Nächstenliebe der Glaube selbst (Dinechin, 21.3.). Dessen „Flamme“ gehe durch die fehlende Möglichkeit der Versammlung zum Gottesdienst nicht aus (Rougé, 22.3.), sondern er werde auch durch Gebet und Bibellektüre gelebt. Fürbitten, zeitgleiches Beten oder das Gebet in der Familie können Gemeinschaft stiften (Dinechin, 21.3.).
Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland
Anders als in Deutschland, wo der Schwerpunkt auf der verbindenden Dimension von Gebetsgemeinschaft liegt, wird in Frankreich stärker die Perspektive der individuellen Verinnerlichung (Dinechin, 21.3.) und Meditation (Ulrich, 22.3., Lebrun, 24.3.) betont. Es gehe um eine „spirituelle Verwurzelung“ (Rougé, 20.3.) und darum, in der Krise das Wesentliche wiederzufinden (Fonlupt, 23.3.). Der „Tisch des Wortes“ (de Kerimel, 17.3.) bleibe zugänglich. Daneben sei auch die „spirituelle Kommunion“ (Dinechin, 21.3.; Ulrich, 22.3.; Percerou, 22.3.) bspw. durch die Teilnahme an Gottesdiensten über die Medien möglich. Die Unmöglichkeit, die Kommunion im Brot zu empfangen, wird als „eucharistisches Fasten“ gedeutet, das als Vorbereitung darauf gelebt werden solle, den Herrn zu empfangen (Aumônier, 21.3.).
Eucharistisches Fasten und unsichtbare Gemeinschaft
Ein Großteil der französischen Bischöfe deutet die Situation im Hinblick auf die Fastenzeit. Diese führe auf Ostern zu, das Fest der Auferstehung, und enthalte deshalb eine Hoffnungsperspektive (Balsa, 23.3.). Im Vertrauen auf den Gott des Lebens, der heilen und retten will (Lebrun, 24.3.), der die Finsternis besiegt hat (de Germay, 24.3.) und von dessen Liebe nichts trennen kann (Percerou, 22.3.), sollen Christen*innen in der Krise „Träger der Hoffnung“ (Balsa, 23.3.) sein. Ohne Versammlungsmöglichkeit ist die Kirche zwar eine „unsichtbare Gemeinschaft, aber erfüllt von Hoffnung“ (Ulrich, 22.3.).
Neue und wiederentdeckte Narrative einer kreativen Krisen-Kirche
Somit lässt sich die Brücke zurück zu den deutschen Kirchenbildern der Krise schlagen: Kirche als Hoffnungsgemeinschaft, betende Gemeinschaft, präsent und offen. Beten, Zeugnis der Hoffnung ablegen, nah und da sein – zeitweise in den Hintergrund gerücktes Kerngeschäft; Narrative, denen auch für zukünftige Entwicklungen mehr Potential als bloße krisenbedingte Überbrückungsmaßnahmen inhärent ist.
___________
*Anregungen und Inspiration für diese Arbeit verdanken wir auch Diskussion und Beiträgen der kirchenhistorisch-pastoraltheologischen Tagung „Kirche als erzählte Geschichte“, 11./12. März 2020 – (HU Berlin, RUB/ ZAP Bochum, EKU Tübingen).
Miriam Niekämper und Lea Torwesten sind Doktorandinnen an der Juniorprofessur für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit mit dem Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte und Geschichte des Bistums Essen, Ruhr-Universität Bochum.
Bild von reenablack auf Pixabay