Was geschieht eigentlich auf der kirchenpolitischen Hinterbühne einer Synode? Christian Bauer analysiert Erkenntnisse einer explorativ-theologischen ‚Feldforschung‘ mit Münsteraner Studierenden. Ein Zwischenbericht zur römischen Weltsynode.
Synodale Machtverhältnisse
Angesichts enthusiastischer Erfahrungsberichte aus der Synodenaula bleibt eine Hermeneutik des Verdachts: „Kein Paradies ohne Schlange.“ (Christian Kern). Real existierende Machtasymmetrien verschwinden ja nicht einfach im ‚Gespräch im Hl. Geist‘. Denn auch wenn man an einem Runden Tisch[1] versucht, die jeweiligen Rollen zumindest für einen kurzen Moment abzulegen, so bleiben sie – wenn man die Metapher wirklich ernstnimmt – dennoch im Raum. Entsprechende synodale Machtverhältnisse[2] darf man nicht (weg)spiritualisieren, man muss sie vielmehr spirituell reflektieren[3]. Denn auch mit Blick auf (zumindest zeitweise abgelegte) Kirchenrollen gilt die alte Erkenntnis der Kirchenväter, dass nur das Angenommene auch wirklich erlöst werden kann. Der in Rom oft gehörte Satz „We are all equal” jedenfalls ist weniger eine deskriptive Wirklichkeitsdarstellung als eine normative Zielbestimmung.
Geistliche Unwahrheit
Für die wohl eklatanteste spiritualisierende, d.h. politikverschleiernde Machtverleugnung der jüngeren Kirchengeschichte zeichnet Joseph Ratzinger[4] verantwortlich. Unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst behauptete er auf der Loggia des Petersdomes (immerhin als ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation, der bis zu seinem Tod 2022 fast vierzig Jahre lang den weltkirchlichen Diskurs machtvoll dominierte] ganz treuherzig, im Vergleich zu seinem großen Vorgänger Johannes Paul sei er selbst doch nur „ein einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“[5]. Eine größere geistliche Unwahrheit dürfte vorher wohl kaum auf dem Peterspatz zu hören gewesen sein. Derart offenkundige Machtverleugnung weist auf einen gravierenden Spiritualitätsmangel hin – denn echte christliche Spiritualität beginnt immer mit einem ungeschminkten Blick in die Wirklichkeit.
Schlagseite der Ekklesiologie
Ekklesiologisch ist dieser Mangel mit dem verknüpft, was man – in Analogie zur christologischen Häresie einer einseitigen Betonung der göttlichen Natur Christi – die ‚monophysitische Schlagseite‘[6] der fast ausschließlich auf das Geistliche ausgerichteten Synodenauffassung von Papst Franziskus nennen könnte. Tomas Halik spricht von kollektiven „Exerzitien“, also von geistlichen Übungen, welche die gesamte Weltkirche „zum Umdenken anregen“ sollen. Nun stellt eine weltkirchliche Synode zweifellos ein spirituelles Ereignis dar. Aber sie ist eben zugleich auch eine politische Versammlung. Denn ‚Kirche‘ ist der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils zufolge immer beides: „eine mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der mystische Leib Christi, eine sichtbare Versammlung und eine geistliche Gemeinschaft, eine irdische und eine mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche“ (Lumen gentium 8).
Eine einzige komplexe Wirklichkeit
Die genannten Zweiheiten[7] – man könnte hinzufügen: auch die spirituelle und die politische Dimension des Synodalen – bilden „eine einzige komplexe Wirklichkeit, zu der menschliches und göttliches Element verschmelzen“ (LG 8). Diese kirchliche Einheit von Menschlichem und Göttlichem steht dabei in einer „nicht unbedeutenden Analogie“[8] (LG 8) zum „Mysterium des inkarnierten Wortes“ (LG 8): „So wie die [menschliche] Natur dem göttlichen Wort nämlich als ein lebendiges Organ des Heiles dient, das mit ihm unauflöslich geeint ist, so dient auf eine nicht unähnliche Weise auch das soziale Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der sie belebt, zum Wachstum des [gesamten] Leibes.“ (LG 8). Dieselbe ‚gemischte Wirklichkeit‘ prägt auch das Synodale. Dabei lässt sich das „soziale Gefüge der Kirche“ (LG 8) politisch und der „Geist Christi“ (LG 8) spirituell verstehen – wobei auch hier die göttliche Übernatur die menschliche Natur (gnadentheologisch gesprochen) nicht aufhebt, sondern vollendet[9]. Damit beides wirklich dem universalen Heilswillen Gottes dient, muss das Spirituelle politische, d.h. rechtswirksame Folgen zeitigen und das Politische spirituellen, d.h. jesuanischen Anforderungen entsprechen.
Kirchenreformerischer Doketismus?
Papst Franziskus versteht Synodalität jedoch vor allem im Sinne einer „geistlichen Gemeinschaft“ (LG 8) und vernachlässigt daher ihren Charakter als „sichtbare Gesellschaft“ (LG 8), er überschätzt also ihr charismatisch-spirituelles und unterschätzt ihr institutionell-politisches Element. Es braucht jedoch eine evangeliumsgemäße Kultivierung auch der real existierenden Kirchenpolitik – ein bislang vernachlässigtes Forschungsfeld der Theologie, das u.a. die Politikwissenschaft zu einer vielversprechenden neuen theologischen Gesprächspartnerin macht. Denn auch hier gilt der bereits zitierte Vätersatz: Was nicht angenommen wird, kann auch nicht erlöst werden. Oder anders formuliert: Verdrängtes kehrt durch die Hintertür zurück. Andernfalls droht kirchenpolitisch ein reformerischer Doketismus: Synodalität als ein geistlicher ‚Scheinleib‘, dessen Erfahrungen sich nicht in rechtliche Strukturen inkarnieren.
Römische Weltkirchenpolitik
Kirchenpolitisch informierte Pastoraltheologie muss daher auch eine Theologie des „Dienstwegs“[10] entwickeln. Die Römische Kurie arbeitet nämlich in der Regel sehr viel weniger planvoll als man gemeinhin vermutet. Vieles geschieht zufällig, nichts aber ist unpolitisch. Ganz im Gegenteil: Hier ist fast alles politisch. Und bisweilen auch überraschend ungeistlich. Bislang kommt der Vatikan jedoch als weltkirchlich machtvoller Ort auf der Landkarte der Pastoraltheologie noch kaum vor[11]. Dabei ist auch dieser pastorale Ort von ganz eigenen persönlichen Biografien, kontextuellen Prägungen und theologischen Optionen bevölkert, deren ‚Provinzialität‘ mit Blick auf gesamtkirchliche Transformationsprozesse überrascht. Dazu ein kurzer Blick in den kirchengeschichtlichen Rückspiegel.
Provinzieller Zentralismus
Dieser provinzielle Zentralismus hat nämlich Geschichte. Man stößt auf ihn z. B. auch in offiziellen lateinischen Protokollen aus der Vorbereitungszeit des Zweiten Vatikanums. In diesen werden nichtitalienische Namen wie ‚Wilhelm‘ nicht – wie man es eigentlich erwarten sollte – weltkirchlich latinisiert („Guilelmus“), sondern vielmehr romkirchlich auf Italienisch („Guglielmo“) wiedergegeben. Ein signifikantes Detail vatikanischer Mentalitätsgeschichte, das weltweit noch immer sehr reale kirchenpolitische Konsequenzen zeitigt. Eine entsprechende theologische ‚Chaostheorie‘ kirchlicher Organisationslogik wäre erst noch zu entwickeln: Ein Wimpernschlag an einem römischen Schreibtisch kann an einer anderen Ecke der Weltkirche einen Orkan auslösen.
Aktivismus, der auch ‚Römisch‘ spricht
Aufgrund dieser schon lange habitualisierten Selbstverwechslung einer partikularen „Romkirche“[12] mit der universalen Weltkirche braucht es nicht nur einen global agierenden Kirchenaktivismus[13], welcher der höchst aktiven Weltkirchenpolitik der katholischen Rechten in robuster Offenheit[14] etwas Anderes entgegensetzt – sondern auch ‚Römisch‘ sprechende Akteur:innen, die in den Kontakt gehen und ihre Reformanliegen in den vatikanischen Behörden kommunizierbar machen. Ein solcher kulturell mehrsprachiger Akteur ist z. B. Kardinal Karl Lehmann gewesen, der seit seinem Studium ein „Römer, aber kein Römling“[15] war.
Gallikanische Widerborstigkeit
Oder aber der französische Kardinal Emmanuel Suhard (1874-1949), dessen Hirtenbriefe nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit[16] als ‚quasi-päpstliche‘ Enzykliken gelesen wurden. Suhard, der alle Verhandlungen in Rom nur mit dem Papst selbst führte, sprach seinen ehemaligen Studienkollegen Pacelli direkt auf die römischen Gerüchte an, er errichte als ‚kleiner Papst‘ von Paris ein französisches „Gegenlehramt“[17]. Pius XII. antwortete, auf den Brauch der Gregoriana anspielend, das beste theologische Schlussexamen auszuzeichnen, er solle ruhig fortfahren: „Schließlich hat die Gregoriana mir, anders als Ihnen, niemals seine Goldmedaille zugesprochen.“[18] Die „schreckliche 50er Jahre“[19] des französischen Reformkatholizismus begannen erst nach seinem Tod. Stichwort: Konflikt um die Arbeiterpriester. Als deren hochangesehener „Protektor“[20] leistete Suhard in Rom mit „heiliger Hartnäckigkeit“[21] Widerstand: „Für die Seelen der Arbeiter von Paris wird einst der Bischof von Paris und nicht der Bischof von Rom Rechenschaft ablegen müssen.“[22]
Ergebnisse der Weltsynode
Auch eine synodal verfasste Kirchenpolitik wird von machtvollen Narrativen (z. B. Kirche in Afrika und Asien ist jung und wachsend, in Europa ist sie alt und sterbend)[23] geprägt, die den Spielraum weltkirchlicher Reformen bestimmen. Unsere weltsynodalen Gesprächspartner:innen äußerten unisono die Erwartung, dass es im Rahmen dieser Möglichkeiten im Schlussdokument der Weltsynode zumindest in Richtung zweier Punkte substanzielle Fortschritte geben könnte:
- Dezentralisierung der Weltkirche (im Sinne erweiterter Kompetenzen der Bischofskonferenzen). Eine entsprechende dogmatische Aufwertung der Bischofskonferenzen wäre ein weltkirchlicher Bruch mit der Ära Ratzinger – dieser hatte ihnen spätestens seit seinem Buch Zur Lage des Glaubens (1984) jegliche lehramtliche Eigenständigkeit abgesprochen[24].
- Mitverantwortung des gesamten Volkes Gottes (im Sinne kirchlicher Versammlungen auf allen Ebenen). Mehr Teilhabe des gesamten Volkes Gottes an den Entscheidungen der Kirche[25] würde nicht nur einen Wechsel vom einfachen Teilnehmen zum eingeräumten Teilhaben („Macht teilen“), sondern auch zum selbstbewussten Teilsein bedeuten („Kirche sein“).
Gesamtvision des guten Lebens
Dabei geht es, mit der dualen Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums gesprochen, nicht nur um Reformen ‚ad intra‘ im Sinne von Lumen gentium, sondern auch ‚ad extra‘ im Sinne von Gaudium et spes. Mit ihrer ökologischen Gesamtvision eines „guten Lebens für alle und alles“[26] hatte bereits die Amazoniensynode (2019) den gesamtpastoralen Reformansatz des Konzils reaktiviert, indem sie nicht ‚nur‘ den Schrei der Armen und der Erde hörte, sondern ohne „Opferkonkurrenz“[27] auch jenen der Frauen in der Kirche[28] (allerdings noch ohne päpstliche Umsetzung in allen Fragen). Der französische Konzilstheologe M.-Dominique Chenu skizzierte diesen integrativen Ansatz, der Kirchenthemen in umfassender Weise heilsfinalisiert mit Weltproblemen verknüpft, wie folgt:
„Das Konzil muss das Problem der Kirche […] nach dem Maß der Welt bestimmen […]. Dafür muss man durchaus nicht die Wichtigkeit […] der Liturgiereform, der Renaissance wahrhaft christlicher Gemeinschaften, der Erneuerung der Apostolatsmethoden und der Wiederherstellung der Bischofsfunktion herabstufen, die allesamt auf der Tagesordnung des nächsten Konzils stehen. Aber all diese wichtigeren Operationen finden ihr Licht […] in der Vision einer neuen Welt […].“[29]
Selbstevangelisierung
Diese integrale Sicht ermöglicht eine jesuanische Praxis, die im „Horizont der Gottesherrschaft“[30] auf eine heilende Verwandlung der gesamten Schöpfung zielt. Nach der postnachkonziliaren Zäsur der Missbrauchskrise kann eine sich synodalisierende Kirche neue weltweite Glaubwürdigkeit nur durch eine in diesem Sinn beherzte „Selbstevangelisierung“[31] erlangen, die auch eine entschlossene Reform von Kirchenstrukturen (bis hin zu einer Öffnung der Weiheämter) umfasst: „Mach den Raum deines Zeltes weit“ (Jes 54,2). Denn diese sind derzeit nicht nur in den Ortskirchen des Westens ein manifestes Evangelisierungshindernis, weil sie der Frohen Botschaft widersprechen. Kirchenstrukturen reflektieren Glaubensinhalte oder sie sind nicht evangeliumsgemäß.
Franziskus-Paradoxon
Es ist schon paradox: Nach fast vierzig Jahren des Rollbacks unter seinen beiden Vorgängern ermöglicht Papst Franziskus epochale Kirchenreformen, die jedoch (bei aller Freude über die Veränderungen) immer noch nicht weit genug gehen. Ein Beispiel dafür sind die 42 Laien (davon 27 Frauen plus 27 Ordensfrauen), die nun erstmals bei einer Bischofssynode abstimmen dürfen. Das ist einerseits sehr viel mehr als zuvor, aber andererseits auch von einer repräsentativen Kirchenversammlung noch immer weit entfernt. Nach der Betonung des päpstlichen Primats im Ersten und der bischöflichen Kollegialität im Zweiten Vatikanum braucht es heute eine „ekklesiale Synodalität“[32] des gesamten Volkes Gottes. Sie darf dieses jedoch weder in identitärer Weise abgrenzen [33] noch darf sie es in populistischer Weise überhöhen[34] – vielmehr muss sie es im Sinne einer alteritär-popularen „Leutetheologie“[35] ernstnehmen.
Schritte in die Zukunft
Dazu muss man alle „Lösungen erster Ordnung“[36] hinter sich lassen, die im Sinne eines Absolutismus mit menschlichem Antlitz lediglich ein „Mehr vom selben“[37] in anderem Gewand bieten (z. B. Mitbestimmung von Laien in einer Synode, die ohnehin lediglich eine beratende Funktion hat). Es braucht „Lösungen zweiter Ordnung“[38], die ein „Weniger desselben“[39] ermöglichen, das zugleich ein ‚Mehr des Anderen‘ darstellt: Kirche, aber anders. Diese „heteromorphe“[40] Anderskirche ist auch in der Synode bereits präsent. Ob sie in Zukunft nicht nur die Kraft zu einem Kulturwandel mit persönlichen Bekehrungserfahrungen[41], sondern auch zu einem Systemwechsel mit kirchenrechtlichen Folgen entfalten kann, ist offen. Der Papst jedenfalls, so eine in Rom derzeit oft zu hörende Einschätzung, hat den Hl. Geist aus der Flasche gelassen und kann ihn nun wie Goethes Zauberlehrling nicht wieder zurückverbannen.
Notwendige Trennungen?
Wäre analog zur Idee eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten nicht auch eine Kirche der verschiedenen Geschwindigkeiten denkbar? Vor einigen Jahren berichtete eine Ordensfrau aus ihrer Gemeinschaft: Wir sind erst dann einen Schritt miteinander weitergekommen, als wir nicht mehr auf die allerletzten Schwestern gewartet haben – aber wir haben uns von ihnen den Segen für unser Vorangehen geben lassen. Das gelingt im pastoralen Alltag nicht immer. Entsprechende Ungleichzeitigkeiten sind daher im kirchlichen Normalfall meist nur schwer auszuhalten[42]. Denn es gibt ja nicht nur Katholik:innen, mit denen man nicht einfach reden kann. Sondern auch solche, mit denen man einfach nicht reden kann. Bei diesen hilft dann im Extremfall sogar nur ein klarer Trennungsstrich[43], weil man ohnehin keine kirchliche Gemeinschaft mehr miteinander hat. So wie Abraham einst zu Lot sagte:
„Zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten soll es keinen Streit geben; wir sind doch Brüder. Liegt nicht das ganze Land vor dir? Trenn dich also von mir! Wenn du nach links willst, gehe ich nach rechts; wenn du nach rechts willst, gehe ich nach links.“ (Gen 13,8f).
Knirschzonen
Aus unseren römischen Gesprächen sind mir studentische Aussagen wie „Evangelium vor Einheit“ oder „Weltkirche nicht um jeden Preis“ im Kopf geblieben. Denn so wie sich demokratische Verfahren mit ihren checks and balances gerade als zu ‚langsam‘ für die Klimakrise erweisen, so könnte dasselbe auch für synodale Verfahren mit ihren Runden Tischen angesichts der Kirchenkrise gelten. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Eines scheint mir in den Knirschzonen einer „noch nicht gewussten Kirche“[44] jedenfalls klar zu sein: Wer nicht losgeht (zur Not auch noch ohne ein klares Ziel, sondern nur mit der Sehnsucht, den Ort einer klerikalistischen, misogynen und homophoben Kirche zu verlassen), kommt auch nicht vom Fleck. Denn es gilt ja tatsächlich die synodale Weisheit „Wege entstehen im Gehen“. Und wichtiger noch (so ein wunderbarer Freudscher Versprecher auf dem Synodalen Weg): Wege entgehen im Stehen.
Christian Bauer ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Münster, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie, theologischer Blogger und Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.net.
[1] Gegen die neue Machtarchitektur dieser Sitzordnung gab es massiven Widerstand, vor allem aus der römischen Kurie. Man sah die Würde des Bischofsamtes in ähnlicher Weise bedroht wie sie Kardinal Rainer M. Woekli durch die alphabetische Sitzordnung des Synodalen Weges gefährdet sah. Er war der Meinung, der Synodale Weg etabliere damit ein „protestantisches Kirchenparlamennt“, welches die hierarchische Verfassung der Kirche leugne: „Auch das organische Zueinander von Geweihten und Nichtgeweihten und die Unterschiedlichkeit der Aufgaben, die darin zum Ausdruck kommt, ist in der Tat auch durch die Sitzordnung und durch viele andere kleine Zeichen infrage gestellt und relativiert.“ (zit. nach Kardinal Woelki: Synodalversammlung stellt Hierarchie infrage).
[2] Vgl. Christian Bauer: Macht in der Kirche. Für einen postklerikalen, synodalen Aufbruch, in: Stimmen der Zeit (2019), 531-543 sowie Herbert Haslinger: Macht in der Kirche. Wo wir sie finden – Wer sie ausübt – Wie wir sie überwinden, Freiburg/Br. 2022.
[3] Timothy Radcliffes vielbeachtete Synodenmeditationen von 2023 und 2024 sind exzellente Beispiele für eine entsprechend tragfähige Spiritualität des Synodalen (Vgl. Timothy Radcliffe: Freiheit und Verantwortung: Plädoyer für eine synodale und demokratische Kirche, Freiburg/Br. 2024).
[4] Aus seiner Münsteraner Zeit erzählt man folgende Anekdote: Während einer Vorlesung habe ein Student gefragt, wie es in der Ekklesiologie denn mit der Macht in der Kirche stehe. Ratzingers Antwort sei gewesen: In der Kirche gebe es keine Macht, sondern nur Vollmacht.
[5] Papst Benedikt XVI: Erster Gruß seiner Heiligkeit Benedikt XVI.
[6] Diese steht in der Gefahr, die zur irdisch-menschlichen Existenz der Kirche gehörende Machtstruktur zu verschleiern. Zur entsprechenden metaphorischen Verwendung christologischer Häresiezuschreibungen vgl. den Dissens zwischen Joseph Ratzinger und M.-Dominique Chenu über die Probleme der (nach)konziliaren Kirche. Chenu zufolge litt diese an einem „versteckten Monophysitismus“ (M.-Dominique Chenu: L’Église dans l’histoire. Fondement et norme de l’interpretation du concile, I-DOC 1966, 1), welcher die weltliche Dimension des Evangeliums zugunsten der geistlichen vernachlässige. Ratzinger hingegen war ganz anderer Ansicht: „[Vor dem] […] Konzil haben große Theologen […] von einem faktischen Monophysitismus als der Gefahr der Kirche ihrer Gegenwart gesprochen. Wie weit sie damit die damalige Lage richtig beurteilt haben, kann hier offen bleiben. Offenkundig ist, dass heute die Gefährdung genau umgekehrter Natur ist: Nicht Monophysitismus bedroht die Christenheit, sondern ein neuer Arianismus, oder, milder, wenigstens ein recht ausgeprägter neuer Nestorianismus […].“ (Joseph Ratzinger: Ein neues Lied für den Herrn. Christusglaube und Liturgie in der Gegenwart, Freiburg/Br. 1994, 39f).
[7] Alle ekklesiologisch starken Kirchenbegriffe sind – der Lehre von LG 8 entsprechend – in kreativer Differenz aus einem menschlich, d.h. partikular-begrenzten und einem göttlichen, d.h. universal-unbegrenzten Element zusammengesetzt: Volk (= menschlich) Gottes (= göttlich), Tempel (= menschlich) des Hl. Geistes (= göttlich), Leib (= menschlich) Christi (= göttlich) – anders als der von Theolog:innen wie Joseph Ratzinger favorisierte (und trinitarisch begründete) Kirchenbegriff der ‚hierarchischen Communio‘.
[8] Der ekklesiologisch entscheidende Analogiebegriff wird hier nicht selten überlesen. Das Verhältnis von Christus und Kirche ist nicht symmetrisch im Sinne einer direkten Entsprechung, sondern analog, d.h. prinzipiell asymmetrisch im Sinne der Analogielehre des Vierten Laterankonzils („quia inter Creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“). Die Kirche ist nicht Christus – aber es gibt eine gewisse Ähnlichkeit („similitudo“) zwischen ihnen beiden bei bleibend größerer Unähnlichkeit („maior dissimilitudo“). Denn anders als im ‚theandrischen‘ Geheimnis Christi, überwiegt in den ‚zwei Naturen‘ der Kirche (als einem Geschöpf Gottes) das menschliche Element das göttliche.
[9] Thomas von Aquin: „Gratia non tollit naturam, sed perficit.” (STh I, 1, 8 ad 2).
[10] Günther Siefer: Die Mission der Arbeiterpriester. Ereignisse und Konsequenzen, Essen 1960, 77.
[11] Eine Ausnahme bilden z. B. die jüngsten Papstbücher von Erich Garhammer.
[12] Vgl. Ottmar Fuchs: Ortskirche – Weltkirche – Romkirche. Eine praktisch-theologische Verhältnisbestimmung im Kontext heutiger Globalisierungsprozesse, in Albert Franz (Hg): Was ist heute noch katholisch? Zum Streit um die innere Einheit und Vielfalt der Kirche, Freiburg/Br. 2001, 227-265. Eine sich selbst mit der universalen Weltkirche verwechselnde partikulare ‚Romkirche‘ wäre im Sinne postkolonialer Theorie zu ‚provinzialisieren‘ (vgl. Dipesh Chakrabarty: Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historial Difference, Princeton 2000).
[13] Es gibt eine zunehmende deutschsprachige Aufmerksamkeit für Fragen einer entsprechend wirksamen Weltkirchenpolitik – siehe das vom Bundesverband der deutschen Pastoralreferent:innen 2023 organisierte Worldmeeting of Layministers, die Präsenz der deutschsprachigen Jugendverbände („DACHS“) im Umfeld der aktuellen Weltsynode sowie die kürzlichen Romreisen des ZdK-Präsidiums sowie von diözesanen Führungsfrauen des Bistums Rottenburg-Stuttgart.
[14] Analog zur Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Rechten (vgl. Christian Bauer: Heimat im Offenen? Rechtspopulismus als theologische Herausforderung, in: International Journal of Practical theology (2019), 78–97).
[15] Daniel Deckers: Der Kardinal. Karl Lehmann. Eine Biographie, München 2002, 17.
[16] Ein Leser der Suhardschen Hirtenbriefe war z. B. der junge Gustavo Gutiérrez in Lima (vgl. Christian Bauer: Meine größte Sorge gilt der Befreiung meines Volkes. Ein Interview mit Gustavo Gutiérrez, in: Orientierung (2006), 107-108).
[17] Vgl. Peter Hebblethwaite, Johannes XXIII. Das Leben des Angelo Roncalli, Zürich 1986, 285. Ähnlich gelagerte römische Vorwürfe trafen auch die Nouvelle théologie des dominikanischen Saulchoir und der jesuitischen Fourvière, die in Rom als „Anti-Angelikum“ (Étienne Fouilloux: Autour d’une mise à l’index, in: Institut Catholique de Paris, Le Centre d’études du Saulchoir (Hg): Marie-Dominique Chenu: Moyen-Âge et Modernité, Paris 1997, 25-56, 33) bzw. ‚Anti-Gregoriana’ galten.
[18] Emmanuel Suhard: Vers une église en état de mission. Paris 1965, 190.
[19] Pierre Pierrard: L’Église et les ouvriers en France. 1940-1990, Paris 1991, 263.
[20] M.-Doninique Chenu: Un théologien en liberté. Jacques Duquesne interroge le Père Chenu, Paris 1975, 143.
[21] Le Monde (zit. nach Alfred Günther, Jean Janès: Die Arbeiterpriester. Dokumente, Heilbronn 1957, 18).
[22] Siefer: Die Mission der Arbeiterpriester, 77.
[23] Synode mit Söding (Tag 8): „Europa erscheint den wachsenden Kirchen Afrikas und Asiens oft erschöpft und müde; die positiven Entwicklungen würden bei ihnen stattfinden. Auch aus Europa hört man hier in der Synode diese Selbsteinschätzung […]. Aber es gilt, genauer hinzusehen. Zum einen haben Vertreter aus dem Globalen Süden auch in der Aula mehrfach beschrieben, dass sich die katholische Kirche bei ihnen durchaus schwertut, im Kontakt mit den jungen Leuten zu bleiben. Es ist nicht mehr so, dass überall in Afrika und Asien die Kirche blüht, es ist vielmehr so, dass sich überall Schwierigkeiten zeigen […]. Zum anderen gibt es in Europa nicht nur Ab-, sondern auch Aufbrüche.“
[24] Vgl. dazu expl. Peter Hebblethwaite: Synod Extraordinary. The inside story of the Rome Synod, November/December 1985, London 1986.
[25] Christian Bauer: Vom Haben zum Sein. Partizipation in einer synodalen Kirche.
[26] Manuela Kalsky am 13. September 2023 auf dem Kongress der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie in Leitershofen.
[27] Regina Ammicht-Quinn: Toxische Befreiung? Versuch über Opferkonkurrenzen.
[28] Das Problem beginnt schon mit dem synodalen Sprachjargon („Frauenthema“ bzw. „Frauenfrage“) – so haben etwa die an unserer Exkursion teilnehmenden Frauen immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, sie seien kein ‚Thema‘ und keine ‚Frage‘, sondern Menschen mit Gesichtern und Geschichten.
[29] M.-Dominique Chenu: Vie conciliaire de l’Église et sociologie de la foi, in Ders.: La foi dans l’intelligence. La parole de dieu II, Paris 1964, 371-383, 381.
[30] Vgl. demnächst Rolf Zerfaß: Zuerst das Reich Gottes. Umrisse einer neuen pastoralen Kultur, Ostfildern 2025.
[31] Papst Paul VI in seinem nachsynodalen Lehrschrieben Evangelii nuntiandi (1975): „Die Kirche beginnt als Trägerin der Evangelisierung damit, sich selbst zu evangelisieren.“ (EN 15). Damit greift er einen Gedanken des indischen Spezialsekretärs Duraisamy Amalorpavadass der Bischofssynode 1974 auf, der in seinem (noch immer höchst lesenswerten) Synthesebericht zum Erfahrungsaustausch in den damaligen circuli minori von einer sich selbst evangelisierenden Kirche („Ecclesia seipse evangelizans“) spricht: „Daher ist es notwendig, dass die Kirche sich selbst evangelisiert. Vor allem muss sie sich den Maßstäben des Evangeliums angleichen sowie sich unaufhörlich erneuern und reformieren, so dass sie eine wirkungsvolle Akteurin der Evangelisierung anderer sein kann. Dieser Prozess ihrer eigenen Evangelisierung und Erneuerung ist eine dauerhafte Entwicklung, die immer wieder überprüft werden muss und zu einer tiefgreifenden Umkehr antreibt.“ (zit. nach Giovanni Caprile: Il sinodo dei vescovi, terza assemblea generale. 27 settembre – 26 ottobre 1974, Rom 1975, 938; vgl. dazu Christian Bauer: Vom Lehren zum Hören? Offenbarungsmodelle und Evangelisierungskonzepte im Übergang vom Ersten zum Zweiten Vatikanum, in: Julia Knop, Michael Seewald (Hg.): Das Erste Vatikanische Konzil. Eine Zwischenbilanz 150 Jahre danach, Darmstadt 2019, 95-116).
[32] Vgl. Rafael Luciani: Von bischöflicher und synodaler Kollegialität zu ekklesialer Synodalität in Lateinamerika und in der Karibik, in: Julia Knop u.a. (Hg.): Synode als Chance: Zur Performativität synodaler Ereignisse, Freiburg/Br. 2024, 312-336.
[33] Auch das Volk Gottes steht in der Gefahr, sich in einem identitären ‚Ethnozentrismus‘ einzuschließen und abzugrenzen. Der vom Zweiten Vatikanum in Lumen gentium heilsuniversal entgrenzte Volk-Gottes-Begriff ermöglicht jedoch eine alteritäre Selbstüberschreitung, welche der theologischen und lehramtlichen Rede vom Volk Gottes alles potenziell Völkische nimmt: „[Gott] […] beruft sein Volk. Die Universalität des Gottesbegriffs […] verhindert […] eine völkische […] Regionalisierung des Volks-Begriffs. Nur als Gottes Volk […] ist das Volk eine Kategorie jenseits des ‚Völkischen.“ (Rainer Bucher: Das deutsche Volk Gottes. Warum Hitler einige katholische Theologen faszinierte und ‚Gaudium et spes‘ für die deutsche Kirche eine Revolution darstellt, in: Hans-Joachim Sander, Hildegund Keul (Hg.): Das Volk Gottes – ein Ort der Befreiung. FS Elmar Klinger, Würzburg 1998, 64–82, 79).
[34] Die beiden so unterschiedlichen Päpste Benedikt XVI. und Franziskus verbindet ein Populismus der ‚kleinen Leute‘ im Volk Gottes. Beide machen sich mit päpstlichem Alleinvertretungsanspruch zum Sprachrohr des (in unkritischer Idealisierung romantisierten) ‚einfachen Volkes‘ und bringen dieses gegen vermeintlich herrschende theologische Eliten in Stellung – und entsprechen somit zentralen Merkmalen des Populismusforschung (vgl. expl. Jan Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016). Bei Franziskus äußert sich dieser päpstliche Populismus in seiner Kritik am angeblich theologisch-elitär gesteuerten Synodalen Weg, bei Benedikt in seiner bereits im Kontext der Lehrverurteilung von Hans Küng formulierten Überzeugung, das kirchliche Lehramt müsse den „Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen“ (Joseph Ratzinger: Was ist Freiheit des Glaubens? Silvesterpredigt 1979, in: Ders.: Zeitfragen und christlicher Glaube, Würzburg 1982, 7–27, 21): „Seine Aufgabe ist es, dort zur Stimme der Einfachen zu werden, wo Theologie das Glaubensbekenntnis nicht mehr auslegt, sondern es in Besitz nimmt und sich über das einfache Wort des Bekenntnisses stellt. Insofern wird zwangsläufig das Tun des Lehramts immer den Ruch des Naiven an sich haben. [Es] […] schützt den Glauben der Einfachen; derer, die nicht Bücher schreiben, nicht im Fernsehen sprechen und keine Leitartikel in den Zeitungen verfassen können.“ (ebd.).
[35] Das englische Wort people lässt sich ins Deutsche nicht nur mit ‚Volk‘ übersetzen, sondern auch mit ‚Leute‘. Eine eigenkontextuell-spätmodernetaugliche Teología popular wäre demnach eine Leutetheologie, welche die vielen kleinen Alltagstheologien („ordinary theologies“) ganz ‚normaler‘ Leute im Volk Gottes als einen theologischen Ort („locus theologicus“) mit eigener Autorität begreift (vgl. expl. Christian Bauer: Leutetheologie – ein theologischer Ort? Pastoraltheologische Angebote zur epistemischen Klärung, in: Johannes Grössl, Ulrich Riegel (Hg.): Die Bedeutung von Gläubigen für die Theologie, Stuttgart 2023, 27-46).
[36] Vgl. Paul Watzlawick u.a.: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels, Bern-Göttingen-Toronto 51992.
[37] Ebd.
[38] Ebd.
[39] Ebd.
[40] Vgl. Christian Kern: In anderen Formen. Theologie als Heteromorphologie.
[41] Eine solche Erfahrung machte z. B. Jorge Mario Bergoglio während der CELAM-Konferenz von Aparecida 2007 in Bezug auf die Dringlichkeit der Klimakrise.
[42] Das gilt besonders dann, wenn man zu dem bereit ist, was Michael Berentzen in folgender Maxime beschreibt: „Nicht früher auseinander gehen als bis man sich verstanden hat.“
[43] Es kann auch im Synodalen einen nicht mehr mediierbaren Dissens geben, der zu notwendigen Abschieden führt, d.h. nur noch den (Aus-)Weg einer wechselseitigen Trennung („parting of the ways“) als gangbar erscheinen lässt (vgl. Christian Bauer: Wer hören will, muss fühlen. Zum Umgang mit Dissens in synodalen Prozessen, in: Dietmar Winkler, Roland Cerny-Werner (Hg.): Synodalität als Möglichkeitsraum: Erfahrungen – Herausforderungen – Perspektiven, Innsbruck 2023, 113-128).
[44] Elke Langhammer: An anderen Orten Gott suchen und Kirche sein. Zum Heterotopiedenken in der aktuellen pastoraltheologischen Diskussion, in: Jörg Ernesti u. a. (Hg.): Orte des Glaubens. Christsein zwischen Beheimatung und Heimatlosigkeit, Innsbruck 2011, 59-68, 62,
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