Die kirchliche Positionierung zur Homosexualität harrt weiter der Erneuerung. Eines ist überdeutlich: Auf symbolische Zeichen zu setzen, genügt heute nicht mehr. Die Lehre der Kirche selbst bedarf der Metanoia. Ein Zwischenruf von Stefan Klöckner.
Es hätte den Verfasser dieser Zeilen auch sehr gewundert, wenn es einmal ohne „Wenn und Aber“ gestimmt hätte! Die Kommunikationsstrategie des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing von Limburg, in Sachen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ähnelte jedoch der alten Echternacher Springprozession: drei Schritte vor – und dann (mindestens) zwei wieder zurück. Dabei ließ es sich diesmal wirklich ohne Übertreibung so lesen, wie es in vielen Publikationen veröffentlicht wurde: nämlich als ein Plädoyer für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, indem er der Zeitschrift „publik forum“ (Ausgabe 29.5.) gegenüber feststellte: „Nicht wenige leiden darunter, dass ihre Beziehung nicht die volle kirchliche Anerkennung erfährt, etwa weil sie wiederverheiratete Geschiedene sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Sie warten auf Zeichen.“ Das hätte eine Richtungsvorgabe sein können – eines hellsichtigen Moderators würdig …
Plötzlich waren es keine Aussagen des Bischofs mehr, sondern nur noch Zitate von Meinungen im Kirchenvolk …
Wenig später jedoch konnte die stramm konservative Würzburger „Tagespost“ ihre Leserschaft mit Aussagen des Pressesprechers der Bischofskonferenz beruhigen: Das alles seien ja nur Interpretationen der Presse und nicht Aussagen des Bischofs. Dieser habe im Grunde nur die Punkte referiert, die im Rahmen des Synodalen Weges zur Diskussion stünden: „Das, was er gesagt hat, bezieht sich auf die Fragestellungen, die unter Katholikinnen und Katholiken vorgefunden werden und denen sich der Synodale Weg u. a. widmen wird“, ließ Bätzing seinen Sprecher Matthias Kopp lt. „Tagespost“ verkünden.
Diese Art der Kommunikation („Ich sage ja nicht, dass ich dafür bin – ich sage nur, dass es Leute gibt, die dafür sind, darüber zu reden …“) hat etwas Rabulistisches. Für manche mag es ja durchaus schon ein Fortschritt sein, dass man heutzutage in zentralen kirchlichen Gremien über Dinge sprechen darf, die noch vor fünf Jahren ein absolutes „no go“ waren. Wer das bereits als Meilenstein auf dem mühsamen Reformweg begreifen will, soll das tun – de facto bringt es aber die Sache nicht einen Millimeter voran; im Gegenteil!
Wie wollen die Amtsträger aus dieser tiefen Aporie entkommen?
Das Vorgehen verdeutlicht nur die tiefe Aporie, in der sich die deutschen Bischöfe sehen. Nehmen wir die Äußerungen des Passauer Bischofs Oster (immerhin für die Jugend der katholischen Kirche zuständig!) vom Dezember 2015 dem Kölner „Domradio“ gegenüber: Die Kirche wolle die Menschen ja in allen Lebenslagen begleiten, „egal welcher Orientierung“. Wer jedoch etwa eine Segnung von schwulen und lesbischen Paaren fordere, kehre die geltende Lehre um. Sexualität habe ihren „genuinen Ort in der Ehe zwischen Mann und Frau“. Natürlich ist es nach einer solchen Positionierung unmöglich, den Menschen wenige Jahre später das genaue Gegenteil zu erklären und nicht zugleich alle Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Und hier kommen wir zum springenden Punkt: Der synodale Weg ist vor allem aus der Not der aktuell aufbrechenden Probleme geboren, die die katholische Kirche vor sich hertreiben wie der Sturm einen entwurzelten Strauch; daher vermittelt er weniger den Eindruck der Souveränität vorausschauenden Handelns als vielmehr den der gehetzten Atemlosigkeit des „Nun-endlich-Reagieren“-Müssens. Wo aber die gravierenden Schieflagen durch ein dem bloßen Naturrecht verhaftetes Menschenbild entstanden sind, das schon seit vielen Jahrzehnten der Korrektur bedurft hätte, ist das bloße Geben von „Zeichen“ zur Beruhigung der Gläubigen der falsche Ansatz.
Sich aufs ‚Zeichen-Setzen‘ zu verlegen reicht nicht aus, wo die Lehre an sich auf die falschen Geleise geraten ist.
Viele Betroffenen spüren dies und empfinden solche „Zeichen“ als leere Gesten ohne „theologische Nachhaltigkeit“. Um eine Formulierung von Bischof Oster aufzugreifen: Die Lehre der Kirche muss in diesem Punkt „umgekehrt“ werden – eine „Metanoia“ sui generis! So lange hier nicht ein wirklich tiefgreifendes theologisch fundiertes Umdenken z. B. mit Blick auf die homosexuelle Veranlagung von Menschen stattfindet, sind gottesdienstliche „Zeichen“ (wie Segnungen) rein kosmetische Makulaturen: Sie stehen letztlich nicht für eine so gewollte kirchliche Realität!
Die homosexuell veranlagten Menschen, die eine feste Lebenspartnerschaft innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft leben wollen, erwarten mehr: nämlich wirkliche Anerkennung und Respekt! Es geht nicht um eine gnadenhafte pastorale Zuwendung „in Mitleid und Takt“ (wie es der Erwachsenenkatechismus formuliert), sondern um eine Begegnung auf Augenhöhe, mit der verdeutlicht wird, dass es sich hier um einen als gleichberechtigt anerkannten Lebensentwurf handelt, der in der Mitte der Gemeinde genauso seinen Platz hat wie andere Formen des Zusammenlebens.
Die gusseiserne Form der kirchlichen Lehre muss endlich aufgebrochen werden. Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich stellt das die katholische Lehre, deren traditionelle gusseiserne Form im Erwachsenenkatechismus verwirklicht ist, auf den Kopf. Genau das aber muss in diesem Punkt (und nicht nur hier!) auch wirklich geschehen: Es reicht schon lange nicht mehr aus, blumige Antworten auf Fragen zu geben, die heute keiner mehr stellt. So gesehen müsste die Debatte über die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit dem Eingeständnis beginnen, dass man eine ziemlich lange Zeit schon falsch gelegen hat – und dass nun die Lehre neu gefasst, die Tradition anders fortgeschrieben werden muss.
Wie sagte es George Bernard Shaw so treffend? „Tradition ist eine Straßenlaterne: Dem Klugen leuchtet sie den Weg, der Dumme hält sich an ihr fest.“
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Professor Dr. theol. Stefan Klöckner lehrt Gregorianik und Geschichte der Kirchenmusik an der Folkwang Universität der Künste in Essen.
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